Flüchtlingspolitik: Keine Zeit, um aufzugeben

Nr. 38 –

Einst floh Arash Hampay selbst aus dem Iran, nun hilft er denen, die der griechische Staat vergessen hat. Eine Begegnung mit einem Aktivisten, der eigentlich selbst Unterstützung bräuchte.

Geht nicht aus, weil er nicht weiss, worüber er sprechen soll, wenn nicht über seinen Aktivismus: Arash Hampay. Foto: Shona McCarthy

Am Omoniaplatz im Zentrum von Athen treffen sich täglich die, die von der Gesellschaft vergessen wurden. Geflüchtete Menschen, Menschen ohne Obdach, Menschen mit Suchtproblemen. Auf einem Betonsockel sitzt Arash Hampay. Der 32-Jährige hat seine grüne Mütze tief in die Stirn gezogen. Neben ihm stehen fünf Aluminiumboxen, die mit je einer Mahlzeit gefüllt sind. Alle fünf Minuten zieht er sein Telefon aus der Hosentasche, entsperrt es, schaut auf die Uhr und sperrt es wieder. «Heute kommt der Barbier», sagt er. Er habe es ihm versprochen. Genauso wie die Band, die auf dem Platz für Stimmung sorgen solle. Versprochen habe sie es gestern schon. Und vorgestern. Hampay war da, sie nicht.

Seit Mitte Juli sitzt Hampay jeden Tag am selben Fleck. Denn er hat einen Plan. Er möchte diesen Ort, der nicht gerade für seine Schönheit bekannt ist, zu einem Treffpunkt für alle aufleben lassen. Dafür kauft er täglich Essen und wartet von acht bis zehn Uhr, dass es jemand nimmt. Und das, obwohl er selbst mit unzähligen Problemen zu kämpfen hat.

Eingesperrt im «Sektor B»

Hampay kommt aus dem Iran. Dort setzte er sich für afghanische Geflüchtete und Menschen ohne Obdach und in Armut ein. Vor zweieinhalb Jahren musst er fliehen, weil er als Aktivist verfolgt wurde. Mit seinem Bruder Amir wollte er nach Europa. Die beiden erhofften sich, dass dort, wo die Menschenrechte, für die sie im Iran kämpften, niedergeschrieben wurden, auch geachtet würden. Seit Arash Hampay nach der gefährlichen Bootsfahrt übers Mittelmeer im Camp Moria auf Lesbos landete, begann er daran zu zweifeln. Das also sollte Europa sein? Als sein Bruder im April 2017 festgenommen wurde, veränderte sich alles.

Die beiden Brüder haben dieselbe Vergangenheit, aber sie werden nicht dieselbe Zukunft haben. Gemeinsam kämpften sie im Iran für ihre Überzeugungen, gemeinsam sind sie nach Griechenland geflohen und haben über ein Jahr in Moria auf ihren Asylbescheid gewartet. Amirs Antrag wurde abgelehnt, derjenige von Arash hingegen bewilligt. Als Amir vor einem Jahr wie jeden Monat seine ID-Karte erneuern lassen wollte, wurde er ohne Vorwarnung in Handschellen abgeführt und im «Sektor B» eingesperrt, einem abgetrennten Bereich im Camp, der als Gefängnis für abgelehnte AsylantragstellerInnen genutzt wird.

Nach Wochen in Haft und ohne juristische Unterstützung trat Amir mit weiteren Insassen in den Hungerstreik. Als Arash davon erfuhr, ging er mit einem Schild, auf dem «Refugees are not criminals» stand, zum Hauptplatz von Mytilini, einer der grössten Städte auf der Insel, und zettelte dort aus Solidarität ebenfalls einen Hungerstreik an. 41 Tage lang verweigerte er das Essen.

Aktivist ist Arash Hampay beinahe schon sein ganzes Leben lang. So wie alle in seiner Familie. Als er zwölf Jahre alt war, erzählt er, sei der Vater von der paramilitärischen Polizei erschossen worden, weil er für bessere Arbeitsbedingungen gekämpft habe. Wenig später sei der ältere Bruder ermordet worden, weil er sich als Oppositioneller für Bürgerrechte eingesetzt habe.

Wie lebt man richtig?

Hampay lächelt selten. Und wenn doch, dann zeigen sich in seinem Gesicht die Spuren seiner Vergangenheit. Er trägt Zahnprothesen. Seine echten Zähne wurden ihm im Gefängnis im Iran gezogen. Einer nach dem anderen. Ohne Betäubung.

Im Iran sass er mehrmals im Gefängnis – das erste Mal mit siebzehn Jahren. Wegen seiner Arbeit für seine NGO Hamyaran-E-Mehrandish Association, die sich für Menschen in Armut einsetzte, warf man ihm vor, er betreibe Propaganda gegen die iranische Regierung. Im Gefängnis versuchte er, die Gewalt und die Folter gegenüber den Insassen zu dokumentieren, wurde dafür mehrfach zusammengeschlagen. Man zog ihm die gesunden Zähne, drohte, er würde durch Strangulierung sterben.

Wie man richtig lebt, wisse er nicht, sagt Hampay. Er gehe nicht an den Strand, weil er nicht wisse, was er für so einen Tag am Meer brauche. Er gehe auch nicht aus, weil er nicht wisse, worüber er sprechen solle, wenn nicht über seinen Aktivismus. Er wisse nur, wie man protestiere und kämpfe.

Während er in Athen lebt, ist sein Bruder immer noch in Moria auf Lesbos und wartet dort auf einen Termin beim Richter. «Wenn Amir zurück in den Iran geschickt wird, geh ich auch.» Arash Hampay glaubt, sein Bruder würde noch am Flughafen getötet.

Aufgeben kann und will Hampay nicht. Bis zur Entscheidung über seinen Bruder wird Arash weiterhin jeden Tag mit Essen für Menschen ohne Obdach am Omoniaplatz sitzen. Nicht nur Geflüchtete, sondern auch andere Prekarisierte brauchen seine Hilfe. Vor allem hier in Griechenland. Deswegen wird er bleiben und nicht in ein anderes europäisches Land gehen – eines mit weniger Problemen als Griechenland –, obwohl er die Möglichkeit dazu hätte. Er würde sich nicht wohlfühlen, sagt Hampay. Sich zurücklehnen, das könne er nicht. Dafür gebe es zu viele, deren Rechte mit Füssen getreten würden.