Hass im Netz: 7000 gesperrte Kommentare

Nr. 38 –

Täglich kämpft die «Meldezentrale für Eidgenossen» gegen Mordfantasien und Vergewaltigungsdrohungen auf der Plattform Facebook. Und wird jetzt dafür selbst angefeindet.

Die «Meldezentrale» dokumentiert den Hass auf ihrem Blog. Foto: Corey Hochachka, Alamy / Montage: WOZ

«Manchmal wird einem schon alles zu viel. Dann muss man den Computer für eine Zeit lang ausschalten», sagt Maya Weber von der «Meldezentrale für Eidgenossen». Ihr Mitstreiter Roger Hubacher ergänzt: «Was wir jeden Tag sehen, lässt sich teilweise nur noch mit Sarkasmus aushalten.» Die beiden begegnen sich beim Interview mit der WOZ zum ersten Mal persönlich. Bisher fand der Austausch nur via Facebook statt. Weber und Hubacher heissen eigentlich anders, aber um sich vor dem virtuellen Hass, der auch ins reale Leben übergreifen kann, zu schützen, wollen sie anonym bleiben.

Die Meldezentrale für Eidgenossen besteht aus rund zehn Leuten, die sich vor einem Jahr dazu entschieden haben, dem Hass auf dem Netz etwas entgegenzustellen. Sie melden Facebook systematisch Beiträge und Kommentare, die gegen dessen Richtlinien und häufig zugleich auch gegen Schweizer Gesetze verstossen. Gezielt suchen sie nach bestimmten Stichwörtern, die auf Hassrede hinweisen. So stossen sie auf Gewalt- und Vergewaltigungsandrohungen gegen Andersdenkende. Manche sehnen sich in den Kommentarspalten Adolf Hitler zurück und möchten am liebsten alle Linken und AusländerInnen «nach Auschwitz deportieren und vergasen».

«Erschiesst diese Arschlöcher!»

Aufsehen erregte die Meldezentrale für Eidgenossen mit dem Fall der Aargauer SVP-Grossrätin Nicole Müller-Boder. Die Meldezentrale erreichte, dass deren Facebook-Seite immer wieder gesperrt wurde. Müller-Boder behauptete etwa auf ihrer Seite, dass «alle Terroristen Muslime sind». BesucherInnen der Seite hinterlegten darüber hinaus Gewaltaufrufe. So schrieb einer mit Blick auf AktivistInnen der Berner Reitschule: «Habt doch einmal den Mut zwei oder drei dieser Arschlöcher zu erschiessen.» Andere Kommentare waren eindeutig persönlichkeitsverletzend. «Müller-Boder kann sich in ihrer Rolle als Politikerin nicht einfach aus der Verantwortung stehlen, sie ist verantwortlich für die Moderation ihrer eigenen Seite», sagt Maya Weber.

Die Meldezentrale für Eidgenossen dokumentiert auf einem Blog fein säuberlich einen Teil der von ihr gemeldeten und gesperrten Kommentare. Wer sich also ein Bild vom toxischen Hass im Netz machen will, kann das jederzeit tun. Trotzdem bezeichnete die «Weltwoche» in einem Artikel von vergangener Woche das Vorgehen der Meldezentrale für Eidgenossen als «Treibjagd auf Andersdenkende». «Wenn jemand die Forderung stellt, alle Linken qualvoll zu ermorden, oder öffentlich von Vergewaltigungen träumt, hat das für mich nichts mehr mit Meinungsfreiheit zu tun», sagt Roger Hubacher. Dabei sei man sogar noch relativ zurückhaltend beim Melden von Kommentaren.

Eine Verschiebung des Diskurses

In einem Fall stiessen die BetreiberInnen der Meldestelle auch auf eine ernst zu nehmende Gewaltandrohung eines psychisch kranken Mannes, die sich ganz konkret gegen eine Gruppe von SVP-ExponentInnen richtete. «Wir haben daraufhin ein Mitglied der SVP, auf deren Seite die Kommentare gepostet worden waren, benachrichtigt und auf den Mann aufmerksam gemacht», erzählt Hubacher. «Wir werden also nicht nur bei Hasskommentaren von Rechten aktiv.» Allerdings habe man die Erfahrung gemacht, dass es deutlich mehr Hassrede von rechts gebe. Über 7000 Kommentare und Beiträge sind aufgrund von Meldungen der Meldezentrale für Eidgenossen bisher von Facebook gesperrt worden. Besonders seitdem Facebook die Zahl der MitarbeiterInnen aufgestockt habe, würden ihre Meldungen öfter zu Sperrungen führen, sagt Hubacher. «Es gibt auch einzelne User, die sich nach mehreren Sperren im Ton gemässigt haben. Das sind immerhin kleine Erfolgserlebnisse.» Maya Weber sieht allerdings ein grundsätzlicheres Problem. Sie spricht von einer «verrohten Gesprächskultur» und einer «Verschiebung des Diskurses»: «Aussagen, die vor fünfzehn Jahren noch undenkbar gewesen wären, sind heute salonfähig.»

Neben der zunehmend aggressiven Sprache bereitet den beiden auch die Verbreitung von Fake News Sorge. Zahlreiche Seiten produzieren in rasendem Tempo gefälschte Nachrichten, die systematisch Hass gegen Minderheiten und Andersdenkende schüren. Facebook-UserInnen teilen diese tausendfach und tragen so zur weiteren Verbreitung bei. Die Plattform selber steht diesem Problem bisher hilflos gegenüber. Für Maya Weber, Roger Hubacher und ihre KollegInnen gibt es auch in Zukunft genügend zu tun.