Netzpolitik: «Youtube übers Geld angreifen»

Nr. 39 –

Das EU-Parlament hat einer Urheberrechtsreform zugestimmt. Julia Reda, EU-Abgeordnete der Piratenpartei, kritisiert die Einschränkung der Informationsfreiheit. Die Reform verfehle obendrein das eigentlich verfolgte Ziel.

Aller Kritik zum Trotz hat das Europaparlament in Strassburg eine Reform des Urheberrechts beschlossen. Umstritten sind dabei vor allem die Artikel 11 und 13: Demnach sollen Leistungsschutzrechte und neue Filterfunktionen gewährleisten, dass UrheberInnen von Musik oder Filmen künftig besser entschädigt werden, wenn ihre Inhalte auf Plattformen wie Youtube oder Facebook gratis verbreitet werden.

WOZ: Frau Reda, auf Ihrem Blog schreiben Sie, die Urheberrechtsreform sei ein herber Rückschlag für das freie Internet. Wieso sehen Sie das so?
Julia Reda: Es gibt bereits grosse Probleme mit der freien Kommunikation, denn sie unterliegt der Willkür grosser Firmen. Facebook setzt eigene Community-Regeln durch, die nicht Gesetzen, sondern persönlichen Wertvorstellungen entspringen – etwa wenn es um nackte Haut geht. Die Reform verstärkt diese Prozesse noch, indem sie die Entscheidung darüber, was legal oder illegal ist, aus den Händen der RichterInnen nimmt und in diejenigen der Plattformen legt. Denn genau das macht man, wenn man automatische Filter darüber bestimmen lässt, was man hochladen darf und was wegen vermeintlicher Verstösse gegen das Urheberrecht blockiert wird.

Können die Filter nicht verbessert werden?
Natürlich werden die Konzerne versuchen, die Filter zu verbessern. Trotzdem sind die Anreizstrukturen so, dass im Zweifel lieber mehr gelöscht wird als weniger. Wenn sie zu viel löschen, hat das schlimmstenfalls zur Folge, dass sich jemand öffentlich beschwert. Wenn sie aber zu wenig löschen, kann das zu Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe führen.

Zu den Reformbefürwortern gehört die Musikindustrie: Plattformen sollen Lizenzen für die Musik, die bei ihnen hochgeladen und damit gratis verfügbar gemacht wird, bezahlen. Ist diese Forderung nicht legitim?
Doch, absolut. Allerdings scheinen der Musikindustrie die damit verbundenen Kollateralschäden egal zu sein. Ihre Haltung ist: Wenn Youtube und Facebook die Musik lizensieren, die die Nutzer hochladen, ist alles gut. Aber das stimmt nicht. Denn in dieser Reform geht es eben nicht nur um Musik, sondern um alle urheberrechtlich geschützten Inhalte. Und selbst wenn eine Plattform versuchen würde, sämtliche geschützten Inhalte der Welt zu lizenzieren – es wäre nicht möglich.

Warum nicht?
Weil es erstens nicht für alle Inhalte Verwertungsgesellschaften gibt, die diese Lizenzen ausstellen könnten. Für Musik gibt es die, aber beispielsweise für Software nicht. Zweitens muss nur ein einziger Urheber die Lizenzbedingungen ablehnen, und schon müssten Plattformen Filter einsetzen – denn im Entwurf zum neuen Gesetz steht, dass die Plattformen unmittelbar haftbar für die Urheberrechtsverletzungen ihrer User sind. Sobald also ein Upload stattfindet, für den die Plattform keine Lizenz hat, muss sie das verhindern.

Youtube verwendet mit der «Content ID» bereits heute ein Filtersystem.
Ja, Youtube filtert alle Videos und meldet den Urhebern, wenn jemand ihre Inhalte hochlädt. Dies hat zu einer «Take it or leave it»-Situation geführt. Youtube lässt die Urheber entscheiden: Wenn du willst, nehmen wir die Inhalte runter. Alternativ bieten wir dir an, dass sie online bleiben und du im Gegenzug einen kleinen Teil der Werbeeinnahmen bekommst. Für die einzelnen Urheber ist es rational, dieses Angebot anzunehmen, aber für eine Verwertungsgesellschaft ist das eine Katastrophe: Es verhindert nämlich, dass sie kollektiv im Namen der Urheber verhandeln …

… und überhaupt eine Verhandlungsmacht gegenüber den Plattformen entwickeln kann.
Genau. Die aktuelle Regelung ändert nichts am Machtgefüge. Dafür müsste man Plattformen wie Youtube dazu verpflichten, für jene Inhalte Lizenzen zu lösen, die monetarisiert werden. Indem man die Plattformen also da angreift, wo sie Geld verdienen – nämlich bei der Werbung. Denn in dem Moment, in dem eine Plattform gezielt Werbung für ein bestimmtes Video schaltet, kann sie sich nicht mehr darauf berufen, neutral zu sein.

Profitieren also doch wieder vor allem die Plattformen von der Reform?
Natürlich möchte Google nicht freiwillig für geschützte Inhalte bezahlen. Aber die Verpflichtung zum Filtern ist etwas, was ihnen nutzen könnte. Sie sind es, die die Filtertechniken herstellen. Und sie haben sich in den Anhörungen mehrfach so geäussert, dass Filter an sich sinnvoll und der richtige Weg seien, um illegale Inhalte aus dem Netz zu entfernen.

Die 31-jährige Piratin Julia Reda sitzt seit 2014 im Europaparlament, wo sie dem Rechtsausschuss angehört.