«Black Madonna»: Zwischen Fetisch und Reproduzierbarkeit

Nr. 40 –

Die Ausstellung «Black Madonna» des Künstlers Theaster Gates bringt amerikanische «race politics» nach Basel und feiert die «schwarze Frau» in monumentalen Werken und quasireligiösen Ereignissen.

Die britische Soulsängerin Corinne Bailey Rae ist Protagonistin in Theaster Gates’ Film «Do You Hear Me Calling: Ma Ma Madonna or What is Black Power» (2018). Foto: David Sampson

«Ich bin schwarz, aber schön» oder «Ich bin schwarz und schön»: Das hebräische «we» kann für beide Konjunktionen stehen, für «und» oder «aber». Die Zeile stammt aus dem Hohelied Salomons im Alten Testament, einem Liebesgedicht voller expliziter Erotik, das die christliche Exegese nur mit rigoroser Abstraktion zur Liebe zwischen Gott und Kirche machen konnte. Auf diese eine Zeile führt die neuere Forschung auch die Existenz der im byzantinischen Stil gehaltenen schwarzen Madonnenskulpturen und -bildnisse zurück – und nicht, wie lange Zeit vermutet, auf den schwärzenden Russ der Kirchenkerzen. Die schwarzen Madonnen waren schon immer schwarz und thronen in katholischen Kirchen rund um den Globus, auch in Ascona oder Einsiedeln.

Auf sie bezieht sich der afroamerikanische Künstler Theaster Gates in seiner aktuellen Ausstellung «Black Madonna» im Kunstmuseum Basel und stellt sie in den Kontext US-amerikanischer «race politics». Denn in den sechziger Jahren avancierten die Madonnen zu Ikonen schwarzer Befreiungstheologie. Die Enthüllung eines schwarzen Mariengemäldes in einer Kirchgemeinde Detroits wurde 1967 zur Offenbarung: Selbstbewusstsein, Schönheit und Schwarzsein sollten nicht länger Gegensätze bilden – kein Aber mehr. Der Pastor dieser Kirchgemeinde, Albert Cleage, sah sich als Geburtshelfer von «Black Pride». Er vertrat einen schwarzen Separatismus und hielt die GemeindegängerInnen an, eigene Unternehmen und Institutionen zu gründen, sich unabhängig von der weissen Bevölkerung und ihren diskriminierenden Strukturen zu machen. Die von ihm gegründete orthodoxe panafrikanische Gemeinde The Shrine of the Black Madonna propagiert noch heute über Facebook «black-owned businesses».

Die schwarze Frau in Hochglanz

Von dieser Art der selbstermächtigenden Befreiungstheologie ist auch Theaster Gates geprägt. In Basel rollt er mit der Erfolgsgeschichte von John H. Johnson eine weitere Variante von Black Pride aus. Aufgewachsen im segregierten Arkansas als Enkel von Versklavten, gründete Johnson 1942 in Chicago die Johnson Publishing Company, dank der er es vierzig Jahre später als erster Afroamerikaner auf die «Forbes»-Liste der Milliardäre schaffen sollte.

Als schwarzer Verleger für ein schwarzes Publikum verfolgte Johnson die Mission, ein optimistisches, affirmatives Bild von AfroamerikanerInnen zu verbreiten. 1945 lancierte er «Ebony» und «Jet», zwei Magazine, die sich alsbald grosser Reichweite erfreuten. Erfolgsgeschichten wechselten sich darin ab mit Berichterstattungen über Freiheitsmärsche, dazwischen warben schwarze Models für Mode und Kosmetik. Johnson selbst bewarb mit «Ebony» und «Jet» nicht nur ein neues demografisches KonsumentInnensegment, er tat dies bewusst über die Massenrepräsentation der schönen schwarzen Frau: die schwarze Madonna in Hochglanz.

In Basel gewährt Gates Einblick in das reichhaltige Archivmaterial der Johnson Publishing Company – um so, wie er sagt, ein komplexeres Verständnis von Gender und Blackness zu erzeugen. In Videos und Installationen, die zwischen religiöser Zelebration und medialer Reproduzierbarkeit oszillieren, wirft Gates ein Licht auf die «schwarze Frau»: auf Popstars genauso wie auf Feuerwehrfrauen oder Krankenpflegerinnen. Oder auf seine eigene Mutter – was ihn im Umkehrschluss zu einer Art Jesusfigur macht. Es ist eine Gratwanderung, die der Künstler unternimmt – geht es doch darum, bei einem solchen Vorhaben nicht in den Fetisch abzugleiten, mit dem man eigentlich spielen will.

Archivar schwarzer Kultur

Auf der anderen Seite steht gerade die traditionell weiss-hegemoniale Kunstwelt als Inbegriff für die Komplizenschaft mit einem «imperialistischen Projekt»: Sie produzierte «das Andere» mit. Mittlerweile stellen zwar immer mehr zeitgenössische schwarze KünstlerInnen überall in Europa und den USA aus. Nicht selten werden sie dabei aber partikularisiert: Identitätspolitisches ist gefragt. In gewisser Weise unterliegt auch Gates diesem Framing, obwohl er sich in «Black Madonna» leichtfüssig zwischen verschiedenen Kunstdiskursen bewegt.

Gates sieht sich als Archivar schwarzer amerikanischer Kultur. Seine Arbeiten seien Vehikel, um soziale, politische, aber auch spirituelle Veränderungen innerhalb segregierter Communitys voranzutreiben. Auch für Basel hat er eine Mission: Die oft beschworene Funktion des Museums, Ort demokratischer Teilhabe zu sein, versucht er aktiv herzustellen. In drei Akten will er die Kluft zwischen elitärer Kunstwelt und Gesellschaft kitten. Gates’ Band The Black Monks of Mississippi spielt in den Ausstellungsräumen, wie auch MusikerInnen des Jazzcampus Basel. Die Liveaufnahmen werden direkt auf Vinyl gepresst. Zeitweise wird die Heidelberger Druckmaschine in Betrieb genommen, eine Leihgabe der Papiermühle Basel von nebenan. Damit macht er das Museum zum Verlagshaus: «The Black Madonna Press». Im letzten Akt sprach Theaster Gates im Münster Basel ein öffentliches Gebet. Ob sich die rassistische Gegenwart so einfach weggospeln lässt?

Theaster Gates: «Black Madonna» in: Basel Kunstmuseum, Di–So, 11–18 Uhr, noch bis 21. Oktober 2018. Am Mi, 17. Oktober 2018, findet von 17 bis 19.30 Uhr ein Gespräch zwischen Theaster Gates und Elvira Dyangani Ose, Kuratorin und Dozentin am Goldsmiths College, statt (in Englisch).