Mode: Ein Panzer für den Spielplatz

Nr. 40 –

Anhand der Bomberjacke hat Hans-Christian Dany ein Buch über das Verhältnis von Mode, Subkultur und Krieg geschrieben. Ein Gespräch über die Zivilisierung militärischer Kleidung und die Militarisierung des Alltags.

WOZ: Hans-Christian Dany, Sie haben Bücher über Speed, Kybernetik und die Kontrollgesellschaft geschrieben, in Ihrem neuen Buch widmen Sie sich der Mode. Warum hängen Sie das Thema ausgerechnet an der Bomberjacke auf?
Hans-Christian Dany: Weil sich an ihr gut Verflechtungen von Mode, Subkultur und Krieg erzählen lassen. Die Bomberjacke MA-1 brach in den späten fünfziger Jahren mit der kantigen Symmetrie der bis dahin bekannten Uniformen – sie sah eher nach Freizeit aus als nach disziplinierender Arbeitskleidung. Durch den Verzicht auf Rangabzeichen brachte sie in der US-Army, wo sie als Fliegerjacke erstmals eingesetzt wurde, die Hierarchien scheinbar zum Verschwinden. Zehn Jahre später eigneten sich Skinheads und Black Panthers die Bomberjacke an, indem sie diese zu einem subkulturellen Code umdeuteten. In der Modewelt tauchte sie erstmals Ende der siebziger Jahre auf.

Sie beschreiben im Buch, wie Sie sich vor zehn Jahren Ihre erste Bomberjacke kauften. Warum in einer Zeit, als die gar nicht in Mode war?
Während der ersten zivilen Aneignung der Bomberjacke 1966 kam ich gerade erst zur Welt. Bei der zweiten Welle um 1980 hätte ich gerne eine gehabt, für einen Vierzehnjährigen war eine solche Jacke aber zu teuer. Ich hätte meine Eltern um Geld bitten müssen, was nicht zu meinem pubertären Postpunkgefühl passte. Während der dritten Rückkehr der Bomberjacke in den neunziger Jahren erschien mir ihre Breitschultrigkeit als zu männlich – ich wollte feminin wirken, um meine Männlichkeit zu dekonstruieren. Als ich mich einige Jahre später als junger Vater auf dem Spielplatz unwohl fühlte und wieder nach einer männlicheren Haut für meine Verunsicherung suchte, kaufte ich mir meine erste Bomberjacke. Dieses unmodische Verhalten bot sich als Einstieg für das Buch an – jede Mode beginnt ja mit einem Widerspruch gegen die herrschende Annahme, was Mode sei.

Ihr Buch ist ein soziologischer und zeitdiagnostischer Essay, basiert aber auch auf vielen eigenen Erinnerungen. Wieso haben Sie diese Form gewählt?
Ich gebe Denkfiguren gern bildhafte Körper oder setze sie in Geschichten um. Dass ich persönlichen Erinnerungen – vor allem an die Kindheit – so viel Raum gebe, steht aber auch im Bezug zum Inhalt. Mir fiel auf, wie stark sich Modedesigner in Interviews auf ihre Kindheitserinnerungen beziehen: wie sich die Familie am Sonntag anzog oder was als untragbar galt. Mode ist, so glaube ich, eine kollektive Möglichkeit, sich darüber zu verständigen, wo man gerade steht, woher man kommt und wohin man gehen möchte. Aber auch, was einen daran hindert.

Zurück zu den Uniformen. Auch unverdächtige Modeklassiker wie der Trenchcoat, die Parka oder die Cargohose haben ihren Ursprung in militärischer Kleidung. Warum fühlen sich die Leute so wohl darin?
Uniformen bündeln die Ideale des industrialisierten Lebens: Sie sind praktisch und ökonomisch. Sie panzern ihre Trägerinnen und Träger auch, formen eine schützende zweite Haut. Sie symbolisieren Zugehörigkeit, was sie in einer zur Vereinzelung tendierenden Gesellschaft attraktiv macht. Nicht wenige zivile Uniformträgerinnen und Uniformträger fühlen sich vielleicht auch so, als würden sie sich im Krieg bewegen.

Wie meinen Sie das?
Die traditionelle Aufgabe des Militärs, sich schützend vor die Zivilbevölkerung zu stellen, ist durch den Überwachungsstaat ersetzt worden. Der Bomberpilot steuert jetzt aus dem Bunker eine Drohne. Die Risikolast sei damit auf die Zivilbevölkerung transferiert worden, sagen Strategietheoretiker der US-Army. Der Uniformenboom der vergangenen Jahre scheint dieser Zwangsrekrutierung Ausdruck zu verleihen.

Wieso fühlen wir uns deswegen zur Uniformität hingezogen?
Wegen der Überwachung in der Kontrollgesellschaft ist abweichendes Verhalten kein heiteres Spiel mehr. Denn die Überwachung interessiert sich vor allem für Abweichungen. Ich errege die Aufmerksamkeit der Polizei, wenn ich mich nicht der Norm entsprechend verhalte. «Normcore», ein Trend der bewussten Unauffälligkeit, ist auch ein Versuch, gemeinsam unter den Radar zu tauchen.

Die Uniform als eine Form von Widerstand innerhalb der Mode?
Gewissermassen. Einen Style zu erfinden, wird schnell zur unbezahlten Vorarbeit für eine Warenform. Modisches Verhalten ist zudem Teil der permanenten Bewerbungssituation geworden: Ich zeige mich zeitgemäss und offen, woraus potenzielle Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber schliessen können, dass ich bereit bin, mich flexibel mit der Arbeitsanforderung zu entwickeln. Dass sich junge Männer heute wieder so intensiv für Mode interessieren, hat auch mit der Angst zu tun, nicht gut genug für die Arbeitswelt auszusehen.

Subkulturen wie die Mods in den sechziger Jahren oder später der Hip-Hop haben die Unterschiede zwischen High Fashion und Streetwear verwischt. Können Klassenverhältnisse über Mode infrage gestellt werden?
In letzter Zeit konnte man eine Ausbreitung von Luxusartikeln beobachten, vor allem deren Zeichen: gewöhnliche T-Shirts mit Logos teurer Marken oder Imitationen derselben, «türkisch Gucci» genannt. Diese Entwicklung sehe ich als Teil des neoliberalen Versprechens, alle könnten am Luxus teilhaben. Damit wird nicht nur der Konsum beschleunigt, sondern auch eine Illusion von Freiheit und Beteiligung vorgegaukelt, während die tatsächliche Ungleichheit wächst. Im Hip-Hop etwa waren Zeichenmanipulationen ein Mittel der Ermächtigung, und sie können heute noch faszinierend wirken, aber sie gehören mittlerweile auch zum psychosozialen Stress des Überlebens in der Kontrollgesellschaft, in der wir uns alle ständig vorführen sollen.

Was heisst das konkret?
Mir scheint, das Gefüge der feinen Unterschiede ist komplexer, raffinierter und widersprüchlicher geworden – während sich die Klassengesellschaft deutlich schärfer abzeichnet. Die Hells Angels transportieren ihre Kutten mittlerweile in Louis-Vuitton-Koffern, die den wirklich Reichen schon lange zu prollig sind. Und soziale Ungleichheit hebt sich kaum auf, wenn in der ersten Klasse im Flugzeug so viele Jogginganzüge wie bei Aldi zu sehen sind.

Alles andere als modisch

«Die Mode gibt es nicht. Sie spaltet sich ständig auf. Wie eine multiple Persönlichkeit tritt sie einem entgegen, um sich in kürzester Zeit in eine andere zu verwandeln.» Das schreibt der Künstler Hans-Christian Dany in seinem vor kurzem erschienenen Buch «MA-1. Mode und Uniform».

Das Buch beschäftigt sich mit dem Ursprung von Kleidungsstilen in militärischen Uniformen, der vermeintlichen Nivellierung von Klassen- und Gendergrenzen, der Militarisierung des Zivilen und der Zivilisierung des Militärischen. Dany erklärt sich den Hype um die Bomberjacke unter anderem mit dem Einsatz von Drohnen in der modernen Kriegsführung. Die Widersprüche von Modemechanismen und die Wechselwirkungen zwischen Streetwear und High Fashion, aber auch die Digitalisierung sind Ausgangspunkte der Zeitdiagnostik Danys.

Hans-Christian Dany: «MA-1. Mode und Uniform». Nautilus Flugschrift. Hamburg 2018. 192 Seiten. 25 Franken.

Lesung: Do, 11. Oktober 2018, 19 Uhr, Oor Records, Zürich.