Durch den Monat mit Caroline Arni (Teil 2): Sind Sie eine Rabenmutter?

Nr. 41 –

Die ersten organisierten Feministinnen in den dreissiger Jahren des 19. Jahrhunderts sahen Mutterschaft als Arbeit. Die Historikerin Caroline Arni erklärt, wie die Vergangenheit zur Zumutung für die Gegenwart werden kann.

Caroline Arni mit Tochter Nora: «Man kann die Gleichsetzung von Frausein und Muttersein kritisieren und trotzdem über Mutterschaft nachdenken.» 

WOZ: Caroline Arni, Sie forschen über die ersten organisierten Feministinnen in Frankreich, die sich als «Freie Frauen» bezeichneten. War die ungerechte Verteilung von Zeit und Geld damals schon Hauptkritikpunkt der Bewegung?
Caroline Arni: Geld war ein Thema in den 1830er Jahren, als diese Frauen sich zu Wort gemeldet haben. Sie waren Arbeiterinnen und haben registriert, dass, sobald Frauen in ein Gewerbe reinkommen, die Löhne sinken. Das haben sie angeprangert. Aber fast noch wichtiger war ihnen die Frage der Mutterschaft. Diese Frauen haben etwas vehement eingefordert: dass Kinder den Namen der Mutter und nicht jenen des Vaters tragen. Wir machen die Kinder, sagten sie, wir bringen sie auf die Welt, und wir riskieren dafür unser Leben. Sie sollen heissen wie wir, weil sie unser Werk sind.

Gerade weil bei den Freien Frauen so exzessiv von Mutterschaft die Rede war, beziehen sich Feministinnen nicht so gerne auf sie. Sie selbst schreckt das Thema nicht ab?
Nein. Vielleicht weil ich selbst eine Mutter bin. Aber mich fordert dieses Unbehagen an der Mutterschaft auch als Historikerin heraus.

Aber problematisch ist es doch trotzdem – wenn Frausein mit Muttersein gleichgesetzt wird.
Wir haben uns angewöhnt, Mutterschaft als etwas zu betrachten, das ein Hindernis ist für Emanzipation und das Frauen einschränkt. Und tatsächlich entsteht ja im 19. Jahrhundert ein Diskurs, der Mütterlichkeit als das Wesen der Frau definiert, um die Frauen von anderem fernzuhalten. Es ist richtig, das zu dekonstruieren. Aber man kann die Gleichsetzung von Frausein und Muttersein kritisieren und trotzdem über Mutterschaft nachdenken. Wir müssen sogar. Nur schon, um auch über Elternschaft nachdenken zu können und übrigens auch über Vaterschaft. Und Geschichte hilft beim Denken. An diesen Freien Frauen interessiert mich, dass sie ein ganz anderes Konzept von Mutterschaft hatten.

Und zwar?
Sie hatten genau die umgekehrte Auffassung: In der Anerkennung von Mutterschaft besteht die Emanzipation der Frauen. Das ist eine Provokation für eine wie mich, die als Feministin in den neunziger Jahren sozialisiert wurde. Aber deshalb bin ich so gerne Historikerin: Manchmal ist die Vergangenheit eine Zumutung für die Gegenwart. Als die Freien Frauen die Anerkennung von Mutterschaft einforderten, ging es nicht um Weiblichkeit, sondern um Arbeit, um das, was sie ihrem Körper abrangen, und welchen Wert das hatte. Nicht zufällig redeten sie über Mutterschaft in ökonomischen Begriffen und forderten einen Lohn in Form einer staatlichen Pension.

Die Freien Frauen waren Proletarierinnen. Ist die proletarische Herkunft zentral?
Ja, absolut. Sie waren Wäscherinnen, Näherinnen, Stickerinnen. Für sie stand Mutterschaft im Kontinuum zur Lohnarbeit: Sie arbeiteten, um mit ihren Kindern zu überleben. Sie mussten über sich als Arbeiterinnen nachdenken, und deshalb konnten sie über Mutterschaft nachdenken – als eine andere Form der Arbeit. Diese Frauen sahen sich in ein doppeltes Unrecht versetzt: Von ihrer Mutterarbeit wurden sie enteignet durch den Vaternamen, und als Lohnarbeiterinnen wurden sie ausgebeutet.

Mutterschaft wird ja immer noch mystifiziert …
Im Moment wird sie eher problematisiert: In Bezug auf Mutterschaft können es Frauen nicht richtig machen. In der Lohn-für-Hausarbeit-Bewegung und im Welfare Mothers Movement schwarzer Frauen in den USA ging es in den sechziger und siebziger Jahren noch einmal um die Anerkennung von Mutterschaft und häuslicher Arbeit als Arbeit. Bald aber trat auch für die Frauenbewegung die Erwerbsarbeit in den Vordergrund. Es ging um finanzielle Unabhängigkeit, das eigene Geld, und das ist wichtig für Frauen. Aber es hat nicht einfach zu Geschlechtergleichheit geführt. Fünfzig Jahre später können wir sagen: Schön und gut, dass ich Professorin bin. Ich bin der realisierte Gleichstellungstraum, hundert Prozent erwerbstätig in einer ehemaligen Männerdomäne. Nur ist die Arbeit, die ich zuhause gemacht hätte, ausgelagert an andere Frauen und immer noch gering bewertet. Man hat die sogenannte Hausarbeit neu verteilt unter Frauen.

Sind Sie eine Rabenmutter?
Ich hatte diese Momente am Schreibtisch, meine Kinder in der Kita und im Kopf die Frage: Bin ich nun zwei Dinge, Professorin und Mutter, und muss herausfinden, wie man das vereinbart? Aber diese Frage ist schon das Problem. Als wäre das zwangsläufig voneinander getrennt, entweder das eine oder das andere. Als würde ich durch meine Arbeit nicht meine Kinder ernähren, die zu meinem Professorinnenleben gehören. Wir dürfen uns nicht so spalten lassen. Auch weil die Kehrseite davon ist, dass wir Frauen gegeneinander ausspielen: die Karrierefrau gegen die Hausfrau. Die Freien Frauen aber hätten gesagt: Alle Frauen arbeiten.

Caroline Arni (48) beschäftigt eine Reinigungskraft, auch wenn sie Kindererziehung und Haushalt mit ihrem Partner gleichgewichtig teilt.