Wichtig zu wissen: Oabgwählt is!

Nr. 42 –

Ruedi Widmer über Bayern, Balken, Kuchen und Stäbe

Die jüngste Wahl in Bayern wurde wieder einmal von einer unübersichtlichen Anzahl Säulen und Balken, Kuchen und Stäben begleitet.

Der Verlust der CSU (noch 37,2 Prozent) ist nicht erstaunlich, der Aufstieg der Grünen (neu 17,5 Prozent) erfreulich, und an jenen der AfD (von 0 auf 10,2 Prozent) hat man sich mittlerweile gewöhnt. Erschreckend war nur das Abschneiden der Sozialdemokraten (noch 9,7 Prozent). Die «Bild» schreibt: «SPD hat als Volkspartei aufgehört zu existieren.» Das heisst, mit unter 10 Prozent vertritt eine Partei nicht mehr das Volk. Sie vertritt noch einzelne PassantInnen, vielleicht auch noch deren Hunde. Doch das sind selbst bei der 9,7-Prozent-SPD in Bayern (683 884 Stimmen) nicht mal viel weniger als die gesamtschweizerischen Wahlstimmen der Schweizerischen Volkspartei (2015: 734 171 Stimmen), deren Wähleranteil ganze 29,4 Prozent beträgt.

Gerade dieser Vergleich zeigt, wie wenig zielführend dieses Prozentgeprotze ist. Vergleiche über Landesgrenzen sind schon gar nicht möglich. Prozente sagen nichts über die Realität aus. Und warum müssen eigentlich die 100 Prozent dieser Säulen und Kuchen immer aufgefüllt werden? Meist stimmt die Rechnung ohnehin nicht, und dann muss diese verzweifelte Säule «Andere» hinhalten, um die Ungenauigkeit wieder auszugleichen. Wenn die SPD 11 Prozent verliert, dann soll sie das auch verlieren. Es kann nicht im Sinn dieses Vorganges sein, dass diese 11 Prozent plötzlich und wie automatisch bei einer anderen Partei wieder auftauchen. Oder bei der CSU: Die Wendehalsigkeit von Markus Söder kann nicht auf eine andere Partei übertragen werden, das «Nichts» kann nicht etwas werden. Die anderen Parteien, im Fall von Bayern zum Beispiel die Grünen oder die AfD, erhalten diese Verlustprozente letztlich wie gebrauchte Kinderkleider; sie werden ihnen quasi «überschrieben».

Das Erben von Prozenten ist ein grosses Ärgernis in der Politik und führt sowohl zur Verzerrung der Gesamtpolitik als auch zu einer grossen Verunsicherung in der Wählerschaft. Denn je mehr Prozente verloren gehen und wieder als neue Prozente angerechnet werden, desto verdünnter sind sie. Die Qualität nimmt ab. So erreicht die AfD 10 Prozent, aber diese Prozente sind schon so oft durch den demokratischen Wahlfleischwolf gedreht worden, dass da schlichtweg nichts mehr dran ist. Ob ein fünfzigjähriges ehemaliges CSU-Prozent wirklich in Windeseile ein ebenbürtiges AfD-Prozent werden kann? Das ist kaum denkbar.

Eigentlich sollte die Politik lieber laufend ihre Grösse verändern, vielleicht auch mal hin zum Kleinen, weg vom Aufgeblasenen, bajuwarisch Geklotzten. Wenn die WählerInnen enttäuscht sind, dann sollte man einfach die Prozente reduzieren, statt den Prozentverlust mit minderwertigen Balken, Parteien und Säulen aufzufüllen. Warum reichen in der Politik nicht schon 50 Prozent? Das ist günstiger und, wie man aus dem Arbeitsleben weiss, auch viel effizienter, denn die anderen 50 Prozent werden ja doch meist nur für ineffiziente Sitzungen, zum Kaffeetrinken und Herumblödeln verschwendet. Oder, noch weiter gedacht: Man liest oft, es werde sowieso nur Politik für die 1 Prozent gemacht. Nun, das ist gar nicht so schlecht, denn vielleicht tut es dieses eine Prozent auch mal. Wenn das Total 1 Prozent ist, dann ist dieses Prozent von höchster Verdichtung, von grösster Intensität, gerade weil sich darin eine grosse Menge Prozente übereinanderschieben.

Dieses Prozent vereinigt den Willen aller WählerInnen in einem einzigen Punkt. Damit Sie sehen, worauf ich hinauswill, sind wir bei einem Prozent ohne Diskussionen und Alternativen, bei einem Führerprozent, das alle unserer Wege zu einem einzigen Weg macht. Die Vollendung der Demokratie, jener der direktesten Art, derjenigen, die uns in der Schweiz gerade mit orangen Plakaten schmackhaft gemacht wird.

Ruedi Widmer arbeitet hundertprozentig achtzig Prozent.