Kommentar zur Strommarktliberalisierung: Die Steckdose und das Vertrauen

Nr. 43 –

Wollen Sie lieber gelben oder blauen Strom? Die von Doris Leuthard beschlossene Liberalisierung des Strommarkts ist ein falsches Versprechen.

Nochbundesrätin Doris Leuthard hat vergangene Woche ihr Abschiedsgeschenk vorgestellt: die vollständige Strommarktliberalisierung. Alle sollen künftig ihren Strom dort einkaufen dürfen, wo sie wollen. Oder wie es im Faktenblatt zur Strommarktöffnung formuliert wird: «Die heutige Situation lässt sich beschreiben als Markt, auf dem 630 Bäcker Brot anbieten. Der kleine Verbraucher darf sein Brot aber nur bei einem einzigen und immer dem gleichen Bäcker kaufen. Einen solchen Zwang würden die Kunden auf keinem anderen Markt akzeptieren.»

Die Brotmetapher ist fies und irreführend. Strom ist Strom. Ob er von «hoher» oder von «minderer Qualität» ist, lässt sich an der Steckdose nicht feststellen. Im Gegensatz zu einem knusprigen Holzofenbrot im Vergleich zu einem schlabbrigen Industriebrot. Als in Deutschland der Strommarkt liberalisiert wurde, kreierte eine Werbefirma den Slogan «Mein Strom ist gelb». Er ist brillant, weil er die Leute dazu verführt, darüber nachzudenken, ob sie vielleicht auch gelben Strom haben möchten oder vielleicht doch lieber blauen, weil der besser zu den Möbeln passt.

Man kann aus der Stromversorgung einen Wettbewerb machen. Doch darf sich danach niemand wundern, wenn es teurer wird. Wettbewerb in existenziellen Versorgungsbereichen wird immer kostspielige Auswüchse produzieren. Das ist hierzulande längst erprobt mit dem sinnlosen Kampf der Krankenkassen um die KundInnen in der Grundversicherung. Im Strommarkt dürfte es ähnlich ablaufen. Es werden viele neue Jobs für Lobbyisten und Zwischenhändlerinnen entstehen, die alle Geld verdienen wollen – was dann die Stromversorgung teurer, aber sicher nicht besser macht.

Der grösste Teil der KundInnen kommt heute gar nicht auf die Idee, sich einen freien Markt zu wünschen. Die Vorlage ist aber schlau austariert: Die Umweltorganisationen werden ganz zufrieden sein damit, weil in der Grundversorgung künftig nur noch Schweizer Wasserstrom angeboten werden soll. Auch die grossen Stromversorger wie Axpo und Alpiq werden glücklich sein, weil die Vorlage ihnen – nach Jahren des Darbens – wieder ein solides Geschäftsmodell verspricht.

Die Vernehmlassung dauert bis Ende Januar 2019. Man wird noch Zeit haben, die technischen Details der Vorlage genau anzuschauen. Unbestritten ist: In der Energieversorgung muss sich tatsächlich einiges ändern, wenn der AKW-Ausstieg und die Ziele des Pariser Klimaabkommens realisiert werden sollen. Das lässt sich aber nicht mit einer Liberalisierung erreichen. Und es lässt sich auch nicht erreichen, wenn sich nur energiepolitisch Interessierte damit beschäftigen. Was nämlich vollkommen übersehen wird: Die Strom- wie die Wasserversorgung repräsentieren den Staat wie sonst kaum etwas in unserem Leben. Die meisten anderen Kontakte mit dem Staat sind belasteter: Er bestraft und kontrolliert oder verlangt Steuern. Dass der Strom immer da ist und das Wasser in höchster Qualität aus dem Hahn kommt, schafft Vertrauen in den Staat. Wird die Versorgung liberalisiert, gibt man leichtfertig diesen Bezug und dieses Vertrauen preis.

In Deutschland hat die Liberalisierung den Begriff der «verletzlichen KonsumentInnen» hervorgebracht. Sie drohen auf der Strecke zu bleiben, weil sie sich plötzlich um Dinge kümmern müssen, um die sich vorher der Staat verlässlich gekümmert hat. Es sind vor allem die Armen und die schlecht Gebildeten, die darunter leiden. Für sie macht es einen grossen Unterschied, ob der Strom im Monat einige Euro mehr oder weniger kostet. Der Markt bringt ihnen keine Sicherheit, er löst vielmehr ein Gefühl von Schutzlosigkeit und Überforderung aus: Man muss nun stets das beste Angebot jagen.

Diese Liberalisierungsvorlage ist deshalb eine Vorlage, die weit über Energie- oder Umweltpolitik hinausgeht. Die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (Skos), die Caritas, Arbeitslosenprojekte oder Armutsbetroffene sollten sich damit beschäftigen. Man braucht keine technische Spezialkenntnis, um zu erkennen, dass Energiepolitik auch Sozialpolitik ist.