Asyl: Direkt ins Gefängnis ausgeschafft

Nr. 44 –

In Sri Lanka kommt der Expräsident zurück an die Macht – ein mutmasslicher Kriegsverbrecher. Schon vor diesem offensichtlichen Rückschritt in Bürgerkriegszeiten ist ein Mann im Gefängnis gelandet, der zuvor in der Schweiz Asyl beantragt hatte. Wie konnte das passieren?

Soldat am Flughafen Bandaranaike bei Colombo: Hierhin wurde Senthuran Sinnadurai ausgeschafft, hier sei er von Polizisten verprügelt worden. Foto: Chamila Karunarathne, Anadolu

«Der Prozess schleppt sich hin – und hin und hin. Wie lange geht das so noch weiter?», fragt der 23-jährige Senthuran Sinnadurai*. Er ist seit mehr als einem Jahr wieder in Sri Lanka und steht hier noch immer vor Gericht. «Ich bin in meinem eigenen Land gefangen, ohne Pass, ohne Zukunft.» Direkt nach seiner Wegweisung aus der Schweiz Ende Mai 2017 wurde er am Flughafen bei Colombo verhört und inhaftiert. Zwei Wochen sass er im Gefängnis. Seither muss er immer wieder vor Gericht erscheinen.

Sinnadurai hätte Sri Lanka im April 2017 nicht verlassen dürfen. Jedenfalls nicht so, wie er es getan hat. Mit der Hilfe einer Agentur, die ihm ein gefälschtes Visum und ein Flugticket von Colombo nach Genf besorgte. Er reiste illegal aus. Einer Schlepperorganisation bezahlte er dafür viel Geld: vier Millionen Rupien, umgerechnet über 20 000 Franken. Sinnadurais Vater verkaufte dafür ein Stück Land und lieh bei Verwandten Geld. Doch wie sollte das gehen, legal ausreisen, wenn man flüchten will? Die Schweiz hat das Botschaftsasyl 2012 abgeschafft, dessen Ersatz, ein humanitäres Visum, gewährt die Schweizer Botschaft praktisch nie. «Ich bin doch nicht ein solcher Mensch», sagt Sinnadurai, «ein Mensch, der ins Gefängnis muss, der sich verstecken muss. Ich habe keinen grossen Fehler gemacht; ich hatte nur Kontakt mit ein paar Leuten der Tamil Tigers, denen ich geholfen habe.»

Übergriffe am Flughafen

Sinnadurai sitzt auf der Terrasse eines guten Freundes im Norden Sri Lankas und schiebt sich ein Stück gebratenen Tintenfisch in den Mund. Vom nahen Tempel bimmeln Glockenschläge herüber, irgendwo bellen Hunde, Motorräder hupen. Sinnadurai spricht von seiner Flucht in die Schweiz, von den 56 Tagen im Flughafenverfahren in Genf und vom Flug zurück. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) lehnte sein Asylgesuch ab, beurteilte ihn wohl als nicht gefährdet.

Der Husten, eine Folge der Tage im Gefängnis vor mehr als einem Jahr, unterbricht ihn hie und da. Was Sinnadurai erzählt, passt nicht wirklich zu der Art, wie er es erzählt. Leise, zurückhaltend, vorsichtig. Auch jetzt, als er von den Übergriffen nach seiner Ankunft in Colombo zu sprechen beginnt.

An diesem Tag Ende Mai 2017 wartet Sinnadurais Bruder am Bandaranaike-Flughafen vergeblich auf ihn, Sinnadurai wird über Nacht festgehalten. Mit fünf anderen Menschen aus Sri Lanka, die auf dem gleichen Flug waren, ist er noch durch den langen Korridor gegangen, durch den alle Passagiere gehen. Dann mussten sie in einen Lift steigen und ihre Dokumente, den temporären Pass etwa, in einer Art Warteraum abgeben. Die SinghalesInnen werden kurz darauf wieder freigelassen. Sinnadurai hingegen bringen Polizisten in einen anderen Raum, wo ihm einer von ihnen seine Faust gegen die Rippen geschlagen habe; einer habe ihm mit dem Knie einen Schlag verpasst – danach sei er zu Boden gesackt, worauf ihn einer der Polizisten auf einen Stuhl gesetzt habe.

Stunden später, inzwischen im Büro des CID, des Criminal Investigation Department der sri-lankischen Polizei, habe ihn ein Beamter mit der Faust gegen die Schulter und in die Rippen geschlagen. Ein anderer habe ihm einen Holzstab in die Seite gestossen, in den Magen und in den Oberschenkel. Die singhalesischen Beamten werfen Sinnadurai, dem Tamilen, vor, eine Visumsseite aus seinem Pass gerissen zu haben. Auf Tamilisch mit singhalesischem Akzent befragen sie ihn über seine Familie. Wollen wissen, ob er die Tamil Tigers unterstützt habe, wie er ausgereist sei, woher er so viel Geld für die Agentur gehabt habe. Am nächsten Tag, nach einer Nacht ohne Schlaf und mit den immer gleichen Fragen des CID, bringen ihn die Beamten ins Gefängnis von Negombo. Untersuchungshaft wegen illegaler Ausreise.

Besuche beim Vater

In Sri Lanka öffentlich über Misshandlungen und Gewalt zu sprechen, ist gefährlich, weshalb wir Sinnadurais Geschichte nicht schon vor Monaten gebracht haben, sondern erst jetzt erzählen. Was er von den Befragungen am Flughafen und vom Gefängnis in Negombo nahe Colombo berichtet, ist schwierig nachprüfbar, doch es deckt sich mit verschiedenen Berichten von Menschenrechtsorganisationen.

«Nach der ersten Nacht im Gefängnis hat mich ein Wärter mit dem Fuss getreten. Frühmorgens habe ich mich im Innenhof bis auf die Unterwäsche ausziehen müssen», erzählt Sinnadurai. «Nach Stunden in der Hitze bin ich in einen Befragungsraum gerufen worden, wo mich ein Wärter mit seinen Stiefeln so heftig in den Bauch getreten hat, dass ich umgefallen bin. Die Nacht zuvor hatte ich kaum geschlafen. In der wohnzimmergrossen Zelle war ich mit 150 Männern eingepfercht, die offene Toilette mittendrin, dafür kein Ventilator, keine Matratzen. Ich konnte mich im Schlaf kaum bewegen, ohne einen Nachbarn zu berühren. Wenn wir tagsüber unser Essen auf dem Teller hatten, stank es von der Toilette her nach Urin. Klar, man gewöhnt sich daran. Einige Tage später musste ich mit einem Mitinsassen stundenlang grüne Chili schneiden, ohne ein richtiges Messer. Meine Hände brannten und waren ganz wund. Ein anderes Mal, beim Rüsten von Okras, krabbelten Würmer aus dem Gemüse. Wir wollten sie aus den Okras entfernen, doch der Wärter befahl uns, die Würmer mit den Okras in die Schüssel zu geben. Wenn wir uns danach nicht in die Schlange fürs Essenholen einreihen wollten, wurden wir geschlagen. Wenn ich heute mit meiner Freundin darüber spreche, sagt sie, dass ich mir keine Sorgen machen solle; das hilft mir. Doch nur ich weiss, was ich im Gefängnis erlebt habe. Es holt mich immer wieder ein; sei es, wenn ich auf der Strasse einen Gefängnisbus sehe oder wenn ich irgendwo eine dreckige Toilette benutzen muss. In diesen vierzehn Tagen ist wirklich genug passiert.»

Nach zwei Wochen kommt Sinnadurai vor Gericht und kurz darauf frei. Sein Bruder zahlte dem Gericht eine Kaution und dem CID Bestechungsgeld. Sinnadurai ist bereits auf dem Weg vom Gefängnis zu seinem Bruder in den Norden, als spätabends beim Haus seines Vaters in der kleinen nord-sri-lankischen Stadt Unbekannte vorbeikommen: «Ihr Sohn wurde freigelassen. Ist er schon nach Hause gekommen?» Ein paar Monate später, im Juli dieses Jahres, streichen erneut zwei Männer, in Jeans und Shirt, um das Haus des Vaters. Dieser ist gerade nicht da. Sie stellen ihre Fahrräder ab und fragen die NachbarInnen, wer in diesem Haus wohne. Wirklich niemand ausser dem Mann mit dem jüngsten Sohn, Sinnadurais jüngerem Bruder? «Sie sagten den Nachbarn dann, dass sie gekommen seien, um den Zaun rund ums Haus zu reparieren», erzählt Sinnadurai. Er lacht jetzt und fällt beinahe aus der Hängematte, auf der er hin und her schaukelt: «In Jeans und Shirt? Und wir wissen im Dorf ja, wer hier die Zäune flickt. Ausserdem wurde unser Zaun gerade erst repariert.»

Wegen Besuchen wie diesen wohnt Sinnadurai nicht mehr bei seinem Vater, der ihn damals im April 2017 aus Angst in die Schweiz geschickt hatte. Sinnadurai fürchtet, dass ihn Sicherheitskräfte wegen seiner früheren Kontakte zu Leuten der Tamil Tigers suchen könnten – in Sri Lanka auch nach dem Ende des Bürgerkriegs 2009 häufig ein Grund für Verhaftungen wie auch Folter. «Ich streune umher wie ein Hund», sagt Sinnadurai. Er wohnt bei seinem älteren Bruder, zwei Busstunden vom Dorf des Vaters entfernt. Manchmal auch bei einem anderen Bruder oder der Schwester.

Schulden beim Onkel

«Gerade ist mein Onkel aus der Schweiz zu Besuch», sagt Sinnadurai, die Hängematte steht still, das Lachen ist weg. «Er möchte das Geld zurück, das er mir für die Agentur und den Anwalt in der Schweiz geliehen hat.» 1,8 Millionen Rupien, gut 10 000 Franken, schuldet die Familie ihm. Sie versucht nun, zumindest eine Million zurückzuzahlen; der Vater wird wohl ein weiteres Stück Land verpfänden oder verkaufen. «Mein Bruder ist wütend, dass wir wegen mir Probleme haben. Doch ich habe gesagt: ‹Ihr habt mich doch damals ins Ausland geschickt, das war eure Entscheidung! Ihr fandet, dass ich in Gefahr bin.›»

Es ist Ende September geworden, mal wieder steht ein Gerichtstermin an. Sinnadurai fährt mit einem anderen aus der Schweiz weggewiesenen Mann vom Norden eine Nacht lang durchs Land Richtung Hauptstadt. Fünf Mal wurde der Prozess bisher verschoben. Bis vor kurzem hatte das CID noch nicht einmal die Anklageschrift eingereicht. Doch jetzt, ein Jahr und vier Monate nach seiner Rückkehr, hat der Richter den Fall abgeschlossen. Sinnadurai wird wegen illegaler Ausreise schuldig gesprochen und muss 50 000 Rupien Strafe zahlen, umgerechnet 300 Franken. Immerhin kann er jetzt einen neuen Pass beantragen. Doch im Moment fehlt ihm das Geld für die dafür nötige Reise nach Colombo.

* Name geändert.

Machtverschiebung in Sri Lanka : «Migrationspartnerschaft» angestrebt

Die neusten politischen Entwicklungen in Sri Lanka lassen für Menschen wie den Tamilen Senthuran Sinnadurai* nichts Gutes hoffen. Am Freitag letzter Woche hat Sri Lankas Präsident Maithripala Sirisena – ein Singhalese wie die meisten im Land – den Ministerpräsidenten abgesetzt und durch den mutmasslichen Kriegsverbrecher und Expräsidenten Mahinda Rajapaksa ersetzt. Dies, obwohl ihm die Verfassung die Macht dazu gar nicht gibt. Zudem hat er das Parlament bis zum 16. November ausgesetzt. «Als wir für Sirisena auf die Strasse gingen, taten wir dies gegen eine Politik der Angst und der Repression. Nun bringt der gleiche Sirisena den Mann zurück an die Macht, der uns terrorisierte», sagte etwa die Frau eines 2010 verschwundenen Journalisten. Rajapaksa werden Kriegsverbrechen im 2009 beendeten Bürgerkrieg vorgeworfen. Seit der Abwahl Rajapaksas 2015 hat die Schweiz ihre Asyl- und Wegweisungspraxis bei TamilInnen kontinuierlich verschärft.

Selbst mit den vermeintlichen Fortschritten unter Sirisena ist Sinnadurai nicht der Erste, der von Problemen nach der Rückkehr erzählt. Die WOZ berichtete vor einem Jahr über einen anderen Tamilen, der sich nach seiner Ausschaffung in Sri Lanka verstecken musste (siehe WOZ Nr. 47/2017 ). Im Fall von Sinnadurai räumt das Staatssekretariat für Migration (SEM) ein, man habe Kenntnis von dessen Festnahme bei der Einreise gehabt. Abklärungen der Schweizer Botschaft in Colombo hätten jedoch ergeben, «dass die Rückführung ordnungsgemäss ablief», wie Lukas Rieder vom SEM sagt. Rieder bestätigt zudem, dass dem SEM in den vergangenen Jahren mehrere ähnliche Fälle unterbreitet worden seien. «Die Vorwürfe haben sich nach den jeweiligen Abklärungen nicht erhärtet.»

Aus Sri Lanka geflüchtete Menschen müssen fürchten, bei der Einreise verhaftet sowie inhaftiert zu werden – und später monate- oder jahrelang vor Gericht zu stehen. Diese Situation dürfte sich mit Rajapaksa als Ministerpräsidenten erneut verschärfen. Noch im August hatte SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga eine Absichtserklärung zum Aufbau einer Migrationspartnerschaft mit Sri Lanka unterzeichnet.

Lea Stuber