CVP-Bundesratskarussell: Die doppelte Amherd

Nr. 45 –

Viola Amherd avanciert bei der CVP immer mehr zur Bundesratsfavoritin. Die Walliserin gilt als Liebling der Linken. Doch sie hat ein zweites Gesicht – das ihr auch die Unterstützung vieler Konservativer sichern könnte.

Mit machtbewussten Männern hat Nationalrätin Viola Amherd viel Erfahrung. Spricht man sie etwa auf den Alt-SP-Präsidenten und Briger Hotelier Peter Bodenmann an, schmunzelt sie. Dann erzählt Amherd: «Zu Beginn jeder gemeinsamen Sitzung sagte er, Brig habe die schlechteste Verwaltung aller Zeiten.» Bodenmann will sich nicht äussern zur CVP-Bundesratskandidatin Amherd. Aus Rücksicht auf seine Partei, wie er sagt: In Bundesbern gilt Amherd als Liebling der SP.

In Brig regierte Amherd zwölf Jahre als Stadtpräsidentin. Während ihrer Amtszeit hatte sie nicht nur den Linken Bodenmann gegen sich, sie zerstritt sich auch so gründlich mit ihrem Parteikollegen Louis Ursprung, dass dieser auf die Liste der SVP floh. Das bescherte der CVP in Brig herbe Verluste, was Viola Amherd viele noch heute vorhalten. Auch mit der stockkonservativen Osterlamm-Bruderschaft legte sich Amherd an: Nach ihrer Wahl zur Stadtpräsidentin musste die Bruderschaft 2002 mit ihrer Tradition brechen und Frauen zum jährlichen Ostermahl zulassen.

Nun also, im Rennen um das höchste politische Amt des Landes, steht Amherd den machtbewussten Männern wieder im Weg. Die meisten fürchten offenbar das direkte Duell – und haben sich selbst aus dem Rennen genommen. Übrig ist nur einer: Peter Hegglin, Ständerat aus dem Kanton Zug. Für Amherd steht mit den Bundesratswahlen quasi die Krönung eines politischen Kampfes an. Es ist auch ein Kampf für die Gleichstellung der Frau, den sie immer Seite an Seite mit Brigitte Hauser-Süess führte – der Frau, die später Kommunikationsberaterin von Eveline Widmer-Schlumpf wurde, bevor sie fürs Präsidialjahr von Doris Leuthard ins Umweltdepartement wechselte. Hauser ist bis heute Amherds enge Vertraute und Beraterin. Begonnen hat der gemeinsame Kampf, als Hauser die junge Amherd 1990 zur Mitarbeit im Briger CVP-Vorstand überredete. Viele Feinde machten sich die beiden Frauen, als sie im konservativen Wallis 2002 für die Fristenlösung kämpften. Heute eckt Amherd mit ihrem Engagement für die Frauenquote an.

Wo die CVP noch gross ist

Die Wertedebatte von Gerhard Pfister findet Amherd gut. Doch die 56-Jährige führt die Debatte auf ihre Weise, zum Beispiel beim Thema Wirtschaft. Diese sei zwar wichtig für den Gesamtwohlstand, sagte Amherd Monate vor Leuthards Rücktritt im Gespräch mit der WOZ. «Das Profitdenken darf aber nicht über alles gestellt werden.» Auch in Umweltfragen seien Werte gefragt, findet Amherd. Und die Wertedebatte müsse sich bei den einzelnen Entscheiden im Parlament niederschlagen: «Da fehlt mir manchmal die Konsequenz.»

Auf den ersten Blick also verkörpert Amherd nicht den Rettungskurs des neuen Parteichefs, sondern vielmehr einen sozial-liberalen Kurs, der vor allem bei den Linken ankommt. Dennoch: Amherd passt auch in die Strategie einiger Konservativer. Um das zu verstehen, sollte man ins Wallis fahren – den Kanton, wo die CVP noch einen WählerInnenanteil von 41,7 Prozent hat. Mitgliederversammlung der CVP Oberwallis, Frühling 2018. Am Simplon hängen dicke Wolken, auf den Bergen liegt noch ein wenig Schnee. Die Brücke über die Saltina ist hochgezogen, sie wird gerade saniert. So wie die CVP – zwar nicht im Wallis, aber auf nationaler Ebene. Der abtretende Kantonalpräsident Anton Anthamatten wettert denn zu Beginn der Mitgliederversammlung auch gegen die nationale Partei. «Für uns ist es nicht einfach mit einer Mutterpartei, die auf der Verliererstrasse ist.» Hinter den Kernbegriffen der CVP Schweiz könne man stehen, sagt Anthamatten, «doch bei der Umsetzung beginnen die Probleme». Die CVP habe zum Beispiel immer schon den Föderalismus hochgehalten. «Die Realität ist aber ein starker Zentralismus und wachsende Regulierungen.» Anthamatten wettert gegen das Raumplanungsgesetz der eigenen Bundesrätin, gegen die Bürokratie und die wachsende Verwaltung. Die Urversammlungen der Walliser Gemeinden etwa könnten nur noch abnicken, was Bund und Kanton bei den Bauzonen vorgeben würden. Man wähnt sich mittlerweile an einer SVP-Versammlung. Man ist aber einfach im Oberwallis. Hier ist die CVP noch gross. Hier berichtet der vierzigjährige Fraktionschef des Grossen Rates, Philipp Matthias Bregy, noch stolz, seine Fraktion sei selten ein Zebra, sondern meistens brandschwarz: «Wir schlagen die Flanken von rechts in den Strafraum.» Ständerat Beat Rieder, Advokat und Notar aus dem abgelegenen Lötschental, pflichtet ihm bei. Man müsse bloss einmal analysieren, welche Parteien in den letzten Jahren aufgestiegen seien. Die CVP sei immer ein Scharnier zwischen links und rechts gewesen. «Aber diese Zeiten sind vorbei», sagt Rieder. Gefragt seien nun klare Positionen, und zwar jene der Stammlande, «denn die Probleme der CVP beginnen in Zürich und Bern».

Wasserzinsen und Wählerströme

Monate später, nach dem Rücktritt von Doris Leuthard, singt ausgerechnet der konservative Rieder in einem Gastbeitrag im «Walliser Boten» ein Loblieb auf die liberale Bundesratskandidatin Viola Amherd. Der Ständerat wirbt für drei Frauen im Bundesrat und bezeichnet seine Parteikollegin als «einmalige Chance». Wie passt das zusammen? Gegenüber der WOZ erläutert Rieder, der lange Chef der CVP-Fraktion des Walliser Grossen Rates war, seine Strategie: «Eine CVP-Bundesrätin sollte nicht nur dem Land dienen, sondern auch die Politik und Interessen der CVP einbringen und umsetzen», sagt Rieder. Ein exemplarisches Beispiel dafür seien die Wasserzinsen. Da müsse sich die Politik eines CVP-Bundesrats oder einer CVP-Bundesrätin an den Interessen der Bergkantone ausrichten. Eine Senkung der Wasserzinsen etwa könne als Position unmöglich vertreten werden, was leider in der Vergangenheit passiert sei.

Die nationale Partei müsse, so Rieder, die Zahlen und Fakten der letzten Jahrzehnte zur Kenntnis nehmen und schauen, wo die CVP überhaupt noch richtig existiere und wo die Wählerströme hingegangen seien. Im Ständerat ist die CVP zwar mit dreizehn Sitzen noch immer eine Macht. Doch im Nationalrat hat sie nur noch 11,6 Prozent. Bei den nächsten Wahlen droht sie gar unter 10 Prozent zu fallen. Die Partei tut sich schwer, weil sie selten mit klaren politischen Positionen für sich wirbt, sondern oft bloss mit dem Hinweis, man sei lösungsorientiert, kämpfe für den Ausgleich.

Rieder predigt einen konsequenten Rückzug ins Réduit: «Wir können keine Politik für Bern oder Zürich machen.» Dort sei die CVP unbedeutend. Es gehe gegenwärtig vordringlich um Bestandswahrung in den Hochburgen. «Und da passt eine Bundesratskandidatin Viola Amherd ideal ins Bild.» Er habe gesellschaftspolitisch sicher andere Ansichten als Amherd, sagt Rieder. Doch das seien im Hinblick auf die Wahl in die Landesregierung sekundäre Fragen: «Wir brauchen eine Bundesrätin, die bereit ist, die Positionen der Stammlande umzusetzen.» Mit der bisherigen Bundesrätin habe die CVP national schliesslich keine Wahlen gewonnen. Und die Parteileitung habe seit den neunziger Jahren viele strategische Fehler gemacht. «Gerhard Pfister hat das zum Glück realisiert, und ich hoffe, dass uns die Trendwende gelingt», sagt Rieder.

An der Briger Versammlung betritt nach Rieder Viola Amherd die Bühne. Obwohl sie national die Flanken oft von links schlägt, wird sie in der lokalen CVP respektiert. Denn wenn es um Anliegen ihres Kantons geht, steht sie ihre Frau. Als der Journalist des «Walliser Boten» im Auftrag der Partei die Mandatsträgerin kritisch befragt, kommt Amherd gut weg. Sie lächelt trotz ihrer 26 Jahre Politikerfahrung leicht schüchtern und kontert dann alle Fragen prompt. Zu einer Bundesratskandidatur sagt sie damals nur: «Ich werde den Schnee schaufeln, wenn er da ist.»

Jetzt ist er da, der Schnee. Und den Stallgeruch für Rieders Strategie hat Amherd auch. So sitzt sie etwa in den Verwaltungsräten der Belalp-Bahnen, der Datennetzgesellschaft Oberwallis und des Kraftwerksbetreibers En Alpin AG. Im Parlament hat sie sich vehement für die Steuerbefreiung von Pistenfahrzeugen eingesetzt; sie kämpft für eine bessere Versorgung der Randregionen, für flächendeckende Glasfasernetze. «Im Mittelland fehlt oft das Verständnis dafür, dass halt nicht alle die gleichen Möglichkeiten haben und so erfolgreich wirtschaften können wie die, die zum Beispiel in der Agglomeration Zürich leben», sagt Amherd.

Die Positionen, die eine CVP-Bundesrätin im Namen des Gesamtbundesrats vertreten müsse, seien teilweise schwierig, meint Amherd: «Sie werden gerade in unserem Kanton nicht immer gut aufgenommen.» Die Walliser seien da ähnlich wie die Bündner, in ihrer Art seien sie vielleicht sogar noch etwas leidenschaftlicher und emotionaler.

Für Homoehe und Alpenkantone

Leidenschaftlich ist auch Anwältin Amherd, insbesondere wenn es ums eigene Portemonnaie geht. So kämpfte sie 2016 bis vor Bundesgericht vergeblich für den Abzug der Wahlkampfkosten von den Steuern. Und aktuell streitet sie mit Alpiq um Mietkosten für ihre Liegenschaften. In Bundesbern haben ihr diese Streitigkeiten nicht wirklich geschadet. Und vielleicht ist gerade das Kämpferische der Charakterzug, der Rieder am meisten überzeugt. Oder anders gesagt: Den konservativen BerglerInnen ist egal, wenn Amherd für Homoehe und Kinderrechte eintritt, solange sie noch härter für die Pfründen der Alpenkantone kämpft.

Sicher wäre der konservativen WählerInnenbasis ein «schwarzer» Mann näher als die gesellschaftspolitisch bunte Amherd. Doch ein solcher steht nicht zur Verfügung. Und Peter Hegglin, der Steuerdumper aus Zug, kann nicht wirklich glaubhaft für Subventionen und den Service public einstehen, auch wenn er mal Bauer war. Die Urner Regierungsrätin Heidi Z’graggen wiederum hat das Handicap, dass sie in Bundesbern niemand kennt. Vielleicht punktet Amherd am 5.  Dezember also nicht nur bei SP, Grünen, Grünliberalen und BDP, sondern vereinigt auch viele konservative Stimmen aus dem Alpenraum auf sich. Und vielleicht also lag Peter Bodenmann, das Orakel von Brig, für einmal daneben, als er in seiner «Weltwoche»-Kolumne schrieb, in den Bundesrat werde es ein «farbloser Innerschweizer» schaffen, «entweder der Ettlin oder der Hegglin».