Literatur aus dem Kaukasus: Kakteen wie eine Kolonie grüner Kondome

Nr. 46 –

Die Georgierin Tamar Tandaschwili erzählt in ihrem ersten Roman von der Gewalt in ihrem Land – manchmal amüsant, oft verstörend.

«Das Leben ist eine Form von Humor, strenger als Ironie, aber weicher als Sarkasmus. Wäre die argentinische Mauleselin Camilla noch am Leben, würde sie mir zustimmen.» So endet Tamar Tandaschwilis Roman mit dem irrlichternden Titel «Löwenzahnwirbelsturm in Orange». Was es mit der menschenähnlichen Camilla auf sich hat und mit dem grünen Nilpferdbaby Baggy, das sich nachts auf einem Kindergrab in grüner Farbe wälzt, wie eine Gazelle auf die Autobahn springt und einen schwarzen Toyota Prado mit einem prominenten Politiker aus der Spur reisst: Das ist eine der Geschichten, die die 1973 in Tiflis geborene Autorin in einer Tonlage zwischen Ironie und Sarkasmus erzählt.

Doch zumeist ist das, was ihre Erzählerin Eka berichtet, nicht wirklich lustig, sondern eher verstörend und voll wütender Anklage. Wie die Autorin ist Eka Therapeutin, ihre KlientInnen sind allesamt traumatisiert, und was ihnen angetan wurde, ist in Georgien kein Thema. Stundenlang hört sich die Mittvierzigerin deren Geschichten an, blickt in klaffende Wunden und versehrte Seelen. «Ich habe ein Misshandlungsopfer, einen jungen Mann», erklärt sie ihrer Kollegin, mit der sie sich regelmässig in einem Szenelokal trifft, um sich etwas zu entlasten.

Bei dem jungen Mann handelt es sich um Sandro, der unter der nationalkonservativen Regierung der Natsebi-Partei kaufmännischer Leiter einer Plastikfabrik war, ehe er im berüchtigten Gldani-Gefängnis landet. Dort wird er mit einem Kautschukknüppel vergewaltigt, während man seinen Sohn verschleppt. Schon als Kind war er Demütigungen ausgesetzt. «Frau Eka, liebt mich Gott?», fragt er die Therapeutin mit Augen, die jede heuchlerische Lüge verbieten.

Splitter der Wirklichkeit

Giorgi Mepisaschwili wiederum, Spitzname Mserosa, Vorsitzender des Parteienbündnisses Georgischer Traum, ist einer jener für die Exzesse verantwortlichen «Prinzipientreuen». Mserosa hat eine kurvenreiche kriminelle Vergangenheit hinter sich und steuert am Ende den besagten Toyota. In seiner Jugend wurde er von der schönen und klugen Elena abgewiesen, weil diese sich mehr für Frauen interessiert. Das nimmt der Verschmähte zum Anlass, mit seinen Schulkumpanen eine Party zu veranstalten, auf der er Elena seinen Freunden offeriert – auf dem Operationstisch seiner Mutter, einer Tierärztin, als «Höhepunkt des Rituals der kollektiven Verehrung der georgischen Frau».

Diese Massenvergewaltigung ist eine der härtesten Szenen in diesem nur sehr locker gefugten Roman. Eher splitterhaft gibt er Eindrücke einer gesellschaftlichen Realität wieder, wo Gewalt, Menschenrechtsverletzungen und Missbrauch an der Tagesordnung sind wie fast überall auf der Welt, die in Georgien aber verschwiegen werden: «Wenn die Regierung aufhört, Leute im Gefängnis zu foltern, wirst du noch vor Hunger umkommen», kommentiert Freundin Tea, mit der Eka offen lesbisch zusammenlebt. Auch das ist wie vieles keine Selbstverständlichkeit in diesem Staat am Fuss des Kaukasus, dem seit den neunziger Jahren durch Emigration fast ein Viertel seiner Bevölkerung abhandengekommen ist.

Manche dieser Szenen wirken aber auch etwas abgenutzt, wie der umständliche Sargtransport in einem der «Sowjetwohnblocks, die für die Arbeiterklasse und Lehrerschaft errichtet» worden sind. Anderes liest sich rührend, etwa wenn Eka eine angefahrene Hündin von den Strassen von Tiflis aufliest, das Tier aufpäppelt und mit amputiertem Bein in Deutschland zur Adoption freigibt, weil es das «stabilste» Land Europas sei: «Dort gibt es weder Wirtschaftskrisen noch Naturkatastrophen, die dich bedrohen, zumindest solange Putin keine Atombombe fallen lässt.» Antirussische Reflexe lassen sich in Georgien offenbar auch unter aufklärerischen Stimmen nicht unterdrücken.

Halleluja, verdammt!

Besonders kompromisslos geht die Aktivistin Tandaschwili, die in den USA gelebt und in Ungarn promoviert hat, jedoch mit der orthodoxen Kirche ihres Landes ins Gericht, der sie vorwirft, mit korrupten Politikern unter einer Decke zu stecken und Kriminellen wie Mserosa Unterschlupf zu bieten: «Wer es nicht schaffte, der Jagd auf die organisierte Kriminalität nach Russland zu entkommen, flüchtete in den Corpus Christi», wo das «himmlische Halleluja mit den übelsten Flüchen» harmonierte.

Der «Löwenzahnwirbelsturm» findet bei Tandaschwili nicht nur thematisch Niederschlag, auch formal wirkt das Werk etwas verwirbelt, durchaus stark in seiner mutigen Haltung, aber zerbrechlich in Arrangement und sprachlicher Ausführung. Amüsante Vergleiche – Kakteen wie eine Kolonie grüner Kondome – stehen neben ironisch Verdrechseltem oder sprachlich Schiefem, was möglicherweise auch der Übersetzung anzulasten ist, wenn es etwa heisst, dass «Widerstand nichts Gutes bedeutet», aber gemeint ist, dass er «zwecklos ist». Wie fremd uns dieses Land ist, von dem die Autorin eine Innenansicht gewährt, zeigt das kleine Glossar im Anhang des Buchs, das durchaus noch ausführlicher hätte sein dürfen.

Tamar Tandaschwili: Löwenzahnwirbelsturm in Orange. Roman. Aus dem Georgischen von Natia Mikeladse-Bachsoliani. Residenz Verlag. Salzburg 2018. 124 Seiten. 27 Franken