Russland: Auf der Rückbank der Limousine

Nr. 46 –

Wie tickt die russische Oligarchie? Die österreichische Soziologin Elisabeth Schimpfössl hat dazu geforscht und ist den Superreichen dabei ganz nah gekommen.

Champagner ohne Ende, Partynächte auf der Jacht und das Zücken dicker Geldbündel: An Klischees über die russischen Oligarchen herrscht wohl auch hierzulande, von Zürich bis St. Moritz, kein Mangel. Doch wie tickt sie wirklich, diese ansonsten eher medienscheue und verschwiegene Gruppe? In ihrem Buch «Rich Russians. From Oligarchs to Bourgeoisie» hat die österreichische Soziologin Elisabeth Schimpfössl Leben und Denken der russischen Superreichen erforscht. Dabei interessiert sie sich vor allem für den Wandel seit der Privatisierung in den wilden neunziger Jahren. Damals rissen sich gut vernetzte sowjetische Funktionäre die Kronjuwelen des zerfallenden Imperiums unter den Nagel, während Millionen von RussInnen in die Armut abglitten. Den Ruf der Oligarchen in der russischen Bevölkerung hat das nachhaltig ruiniert.

Zwar geben sich die «Räuberbarone» von einst in ihrem öffentlichen Auftreten inzwischen zunehmend bürgerlich und betätigen sich verstärkt auch als Philanthropen, doch folgt dies laut Schimpfössl einem klaren Kalkül: um sich nämlich als Mäzene zu profilieren, die moderne Kunst fördern, Forschungszentren bauen und spektakuläre Stadtparks stiften. Wie das Buch im Untertitel andeutet: Die Oligarchen wollen sich als neue Bourgeoisie etablieren.

Schimpfössl, die an der Aston-Universität in Birmingham lehrt, schreibt in einem lebendigen und szenischen Erzählstil, und dem Buch, das auf ihrer Dissertation beruht, kommt das zugute. Für ihre Recherchen von New York über London bis Moskau hat sie rund achtzig Superreiche getroffen. Aus rechtlichen Gründen musste sie diese zwar teilweise anonymisieren, doch ist die Leserin auf deren Cocktailpartys oder der Rückbank der Limousinen mit dabei. So erleben wir die Marotten der Reichen mit, ihr Weltbild oder auch ihr zur Schau getragenes Understatement, bei einem Empfang im Jogginganzug.

Stinkreich und für Stalin

Dass Schimpfössl die ProtagonistInnen in ihrem Buch beschreibt, aber nicht kritisiert, wurde ihr von KritikerInnen auch schon als Anbiederung vorgeworfen. Es sei ihr nicht darum gegangen zu urteilen, sondern zu porträtieren, kontert die Autorin. Darin liegt gerade die Stärke von «Rich Russians», denn Schimpfössl schafft es, seltene Einblicke in Lifestyle und Selbstbild der Oligarchen zu geben.

Die Juwelen des Buchs sind also zweifellos die schillernden ProtagonistInnen selbst. Da ist der Ölmagnat Maxim, der mit einem vergoldeten Handy telefoniert, sich aber einen Spass daraus macht, ab und zu mit der Moskauer Metro zu fahren. Da ist der in Odessa geborene Milliardär Leonard Blavatnik, der in London hofiert wird und zuletzt von der Queen zum Ritter geschlagen wurde. Die Oligarchentochter Mascha, die an den besten internationalen Schulen und Unis ausgebildet wurde, aber nichts dabei findet, Stalin zu loben. Oder Jewgeni, ein extravaganter russischer Spätachtundsechziger, der in Paris ein «Museum für die russische Seele» eröffnen will.

Es sind aber vor allem russische Städte, wo zuletzt schicke kulturelle Hotspots aus dem Boden schossen, finanziert mit Oligarchengeldern. Wie etwa im ehemaligen Gorkipark im Moskauer Stadtzentrum, wo eine alte sowjetische Busanlage zur «Garage» umgebaut wurde, einem Museum für zeitgenössische Kunst; der spektakuläre Glasbau nach Plänen des niederländischen Stararchitekten Rem Kohlhaas beherbergt die private Sammlung des – mittlerweile getrennten – Ehepaars Dascha Schukowa und Roman Abramowitsch. Oder das Fabergé-Museum in St. Petersburg, das seit 2013 neben moderner Kunst auch die weltweit grösste Ausstellung von Fabergé-Eiern beheimatet, die wiederum im Besitz von Wiktor Wekselberg sind.

Abramowitsch und Wekselberg sind in der Schweiz keine Unbekannten. Wekselberg, laut «Forbes» mit 14,4 Milliarden US-Dollar der neuntreichste Russe, ist zuletzt in die Schlagzeilen geraten, als er und seine in der Schweiz ansässige Unternehmensgruppe Renova im April dieses Jahres auf die Sanktionsliste der US-Regierung gesetzt wurden. Medienberichten zufolge sollen Schweizer Banken zwei Milliarden Franken seines Privatvermögens blockiert haben.

Von Roman Abramowitsch wurde vor kurzem bekannt, dass ihm eine Aufenthaltsgenehmigung im Schweizer Nobelskiort Verbier verwehrt worden war, weil ihn die Bundespolizei mit «Geldwäsche» und anderen «mutmasslichen Kontakten zu kriminellen Organisationen» in Verbindung gebracht hatte. Die Anwälte des elftreichsten Russen (10,8 Milliarden US-Dollar) wiesen die Vorwürfe zurück. Die Londoner Behörden hatten dem Besitzer des FC Chelsea zuletzt bei der Verlängerung seines Visums Probleme gemacht, inzwischen hat Abramowitsch aber einen israelischen Pass.

Enge Kontakte zum Kreml

Droht den russischen Oligarchen also Ungemach? Die Probleme von Abramowitsch und Wekselberg sind wohl im Zusammenhang mit den politischen Spannungen zwischen Russland und dem Westen nach der russischen Einmischung in den US-Wahlkampf und der Affäre um den Spion Sergei Skripal zu sehen. Abramowitsch und Wekselberg seien aber ohnehin keine typischen Oligarchen, schreibt Schimpfössl in ihrem Buch. So halte sich der Oligarch von heute zwar gerne sein Penthouse in Mayfair, seine Villa in den Schweizer Alpen oder an der Côte d’Azur, aber dauerhaft wolle kaum jemand von ihnen im Westen leben: «Gerade in Krisenzeiten sind regelmässiges Netzwerken und Kontakte mit dem Kreml und den Geschäftspartnern in ihrem Heimatland unerlässlich, um alles im Gleichgewicht zu halten», schreibt Schimpfössl.

Der durchschnittliche Oligarch ist männlich, um die sechzig Jahre alt und gibt gern den Bildungsbürger mit Unternehmergeist – freilich nicht ohne Widersprüche: So ist es mittlerweile en vogue, sich in seiner Familiengeschichte auf die Tradition der intellektuellen Schicht der Sowjetunion, der Intelligenzija, zu beziehen. Dabei hat gerade der Aufstieg der Oligarchen dazu geführt, dass Russland im «Global Wealth Report» der Credit Suisse punkto Ungleichheit mittlerweile ausser Konkurrenz läuft, weil es schlichtweg Kategorien sprengt – eine späte Ironie des Kommunismus, als die Utopie der klassenlosen Gesellschaft platzte und die Stunde der KapitalistInnen schlug.

Zugleich sind die Oligarchen in die Jahre gekommen – und stehen vor der Frage, wie sie ihren Reichtum an die nächste Generation weitergeben wollen. Dass wiederum ihre Kinder, die als Privilegierte an den teuersten Universitäten der Welt studieren können, langfristig zu einer Demokratisierung und Liberalisierung des Landes führen könnten, glaubt Schimpfössl indes nicht: «Eine Umwälzung, die ihr eigenes Vermögen und die Stabilität im Lande gefährden könnte, ist sicherlich nicht in ihrem Interesse.» Eine Stabilität, die den meisten von ihnen zumindest durch Wladimir Putin garantiert wird – wenngleich unter ihm die politische Macht der Oligarchen zugunsten der staatlichen «Vertikale der Macht» immer weiter zurückgedrängt wurde und 2003 sogar der reichste Russe, Michail Chodorkowski, hinter Gitter musste. Der hatte sich zuvor politisch engagiert – seine Verhaftung war ein Signal an alle Oligarchen, es ihm nicht gleichzutun.

Elisabeth Schimpfössl: Rich Russians. From Oligarchs to Bourgeoisie. Oxford University Press. Oxford 2018. 248 Seiten. 59 Franken