Spaniens Antiterrorgesetze: Einen Rapper aus dem Land gejagt

Nr. 46 –

Wegen ein paar Liedzeilen für mehr als drei Jahre ins Gefängnis? Nein, sagte sich der 24-jährige Valtònyc und floh nach Belgien.

Ein Helikopter kreist im grauen Himmel von Brüssel, und der Schumankreisel im EU-Viertel ist von der Polizei abgesperrt. Es ist Mitte Oktober und es findet gerade der zweitägige Asien-Europa-Gipfel statt. Der exilierte spanische Rapper Valtònyc blickt zu einer Gruppe schwer bewaffneter Militärs: «Hier grüssen sie einen wenigstens, nicht wie bei uns die Guardia Civil.»

Josep Miquel Arenas Beltrán heisst der 24-jährige Mallorquiner mit bürgerlichem Namen. Seit gut fünf Monaten lebt er in Brüssel im Exil. In seinem Heimatland wurde er zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Grund: Verherrlichung von Terror, Aufruf zu Gewalt und Majestätsbeleidigung in seinen Liedtexten – wegen Strophen wie «Der Bourbonenkönig und seine Aktivitäten – man weiss nicht, ob er Elefanten jagt oder bei Prostituierten weilt» oder «Jorge Campos verdient eine Atombombe». Campos ist der Präsident der rechtsextremen Partei Actúa Baleares.

Flucht inmitten des Chaos

Nachdem das höchste Gericht im Mai Beltráns Berufung endgültig abgelehnt hatte, blieben dem Rapper zehn Tage bis zu seinem Eintritt ins Gefängnis – genug Zeit, um sich nach Belgien abzusetzen. Wie seine Flucht genau ablief, will er nicht preisgeben. Stattdessen erzählt der hochgewachsene junge Mann im Trainingsanzug, wie er die Behörden mit einem Trick hinters Licht führte: «Die nationale Polizei war idiotisch genug, meine gesamten Meldedaten im Fernsehen zu veröffentlichen. Daraufhin habe ich meine Twitter-Follower gebeten, Flugtickets in meinem Namen zu kaufen.» Insgesamt 55 Tickets wurden gekauft. Dies löste chaotische Zustände an diversen spanischen Flughäfen aus, da Beltráns Name auf der Flugverbotsliste stand. Inmitten dieses Chaos gelang es ihm, unerkannt zu fliehen. «Nicht einmal meiner Mutter habe ich von meinen Plänen erzählt», gesteht er leicht verlegen.

Bei seiner Ankunft in Brüssel war eine Gruppe von ExilkatalanInnen bereits über seinen Fall informiert – darunter auch Carles Puigdemont, ehemaliger Regionalpräsident von Katalonien und Initiator des Unabhängigkeitsreferendums vom Oktober 2017. Belgien, das sich gleich in mehreren Fällen weigert, Auslieferungsbefehlen der spanischen Regierung nachzukommen, ist derzeit ein sicherer Hafen für heimatlose KatalonierInnen. Dies hat zu diplomatischen Spannungen zwischen der spanischen Zentralregierung und dem belgischen Gliedstaat Flandern geführt. Mitte Oktober entzog Spanien dem flämischen Botschafter in Madrid sogar den Diplomatenstatus.

Die zunehmende Repression in Spanien fusst massgeblich auf zwei Gesetzen: zum einen beruht sie auf Artikel 578, der die «Verherrlichung von Terrorismus» sowie das «Blossstellen der Opfer von Terrorismus» unter Strafe stellt. Das Gesetz stammt aus dem Jahr 2000 und wurde 2015 vom Parlament erweitert, als im Zuge der Wirtschaftskrise eine breite Protestwelle das Land ergriff. Zum anderen wurde 2015 das Gesetz «zum Schutz der öffentlichen Sicherheit» verschärft – umgangssprachlich bekannt als «la ley mordaza», das «Knebelgesetz». Es schränkt das Recht der Bevölkerung auf friedlichen Protest erheblich ein und stellt die Teilnahme an öffentlichen Versammlungen unter saftige Geldstrafen.

Unter diesen Umständen will Beltrán nicht mehr nach Spanien zurückkehren. «Die Polizei würde mich sogleich unter einem neuen Vorwand verhaften», ist er sich sicher. Im derzeitigen Spanien könne man nicht frei leben, sagt der gelernte Informatiker, denn das Land hinke der Zeit vierzig Jahre hinterher. Vierzig Jahre lang hatte Diktator Francisco Franco das Land regiert. In Spanien herrschte damit eine der längsten Diktaturen Europas. Seit Francos Tod 1975 habe sich auf institutioneller sowie personeller Ebene nur wenig verändert. «An der Macht sind noch immer dieselben», sagt Beltrán.

Ein Witz, ein Jahr Gefängnis

Valtònyc ist nicht der einzige Musiker, der für seine Kunst vor Gericht stand. Da ist der Fall von zwölf Rappern des Kollektivs La Insurgencia, die im Dezember 2017 zu jeweils mehr als zwei Jahren Gefängnis und Geldstrafen verurteilt wurden. Oder der Fall der 21-jährigen Studentin Cassandra Vera, die 2017 wegen eines Witzes auf Twitter zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde. Die angehende Juristin hatte sich in einem Tweet über Luis Carrero Blanco, den ehemaligen Premierminister und Francos rechte Hand, lustig gemacht, der 1973 bei einem Bombenanschlag der baskischen Untergrundorganisation Eta ums Leben gekommen war. In den Augen der Behörden verletzte Vera damit die Würde von Carreros Angehörigen, was in Spanien unter Strafe steht. Obwohl das Urteil schliesslich vom Obersten Gerichtshof gekippt wurde, verlor die Studentin wegen der Anklage ihre Stipendien.

Amnesty warnt

Damit gehört der Fall von Cassandra Vera zu den 92 Prozent der Fälle zwischen 2011 und 2017, in denen Artikel 578 auf die «Verherrlichung» von einheimischen bewaffneten Gruppen angewendet wurde. Etwa wegen «Verherrlichung» der Eta oder der kommunistischen Gruppe des antifaschistischen Widerstands des 1. Oktober (Grapo). In nur 14 von 117 Fällen ging es um Äusserungen über ausländische bewaffnete Gruppen. Für Beltrán steht fest: «Der Staat geht nur gegen linke Gruppen und Individuen vor.» Kritik von links werde unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit begraben – Hasstiraden von rechts hingegen würden nicht geahndet, so der Rapper.

Tatsächlich sind die einheimischen bewaffneten Gruppen längst keine Bedrohung mehr für die «nationale Sicherheit»: Die Eta hat 2011 den Waffenstillstand verkündet und sich diesen April offiziell aufgelöst. Bei der Grapo haben de facto die Verhaftungen der letzten sechs Mitglieder 2006 zur Auflösung der Organisation geführt, wenn auch die Gruppe dies nie offiziell bestätigt hat. «Wo keine Terroranschläge geschehen, sollte man auch nicht für deren Verteidigung bestraft werden können», sagt Beltrán.

Die spanische Regierung mache ihre KritikerInnen mit drakonischen Gesetzen mundtot, heisst es in einem Bericht, den die Menschenrechtsorganisation Amnesty International im März veröffentlicht hat. Indem die spanische Regierung zulässige Äusserungen kriminalisiere, missachte sie international gültige Menschenrechte und Standards. Im Bericht warnt Amnesty International grundsätzlich davor, dass die stetige Ausweitung der Antiterrorgesetze europaweit – auch in der Schweiz – zunehmend die Grundrechte angreife.

An Weihnachten alleine

Auch Belgien hat seine Antiterrorgesetze in den letzten Jahren massgeblich verschärft. Trotzdem findet Beltrán das Leben in Brüssel ganz in Ordnung. Vor allem der Lebensstandard, die Löhne und der Schutz der Angestellten seien deutlich besser als in Spanien, wo der Mindestlohn bei 700 Euro liegt. Zwar will der spanische Staat den Betrag auf 900 Euro erhöhen, doch Beltrán, als überzeugter Kommunist, ist kritisch. Damit bezwecke die Regierung einzig die Ruhigstellung der Arbeiterklasse. Das Schlimmste dabei findet er jedoch die Reaktion der ArbeiterInnen, die sich aus Angst vor den wirtschaftlichen Folgen für eine geringere Erhöhung des Mindestlohns aussprächen. «Die haben ein richtiges Stockholmsyndrom. Das ist doch pervers», echauffiert sich der Musiker.

Als einzigen Ausweg aus der Krise sieht er die Unabhängigkeit Kataloniens. Diese ebne den Weg für eine spanische Republik, hin zu einer echten Demokratie. Dass er dafür mit PolitikerInnen zusammenarbeitet, die seine kommunistischen Überzeugungen alles andere als teilen, nehme er in Kauf. Er sei zwar nicht einverstanden mit den neoliberalen Ansichten des Wahlbündnisses um Puigdemont. Doch vorerst gehe es darum, die katalanische Unabhängigkeit zu erreichen. Erst wenn das geschafft sei, müsse sich die Linke über die zukünftige Politik Kataloniens einig werden.

Gegen Ende des Gesprächs wird der exilierte Musiker ein wenig traurig: Er vermisse seine Mutter und seine Schwestern in Mallorca, sagt Valtònyc. Es ist das erste Jahr, an dem er Weihnachten alleine verbringen wird. Denn seine Schwester erwartet ein Kind, deshalb kann ihn die Familie nicht besuchen. Bei dem Gedanken wird er wehmütig; sein Neffe wächst auf, ohne seinen Onkel zu kennen.