Agrarpolitik: Volle Kraft in keine Richtung

Nr. 47 –

Die Klimaerwärmung ernst nehmen sieht anders aus: Auch die neuste Reformetappe der Agrarpolitik bleibt widersprüchlich. Immerhin bringt sie Verbesserungen für die Bäuerinnen.

Möglichst nah am Alltag der Leute – so sollte sie wohl wirken, die Präsentation der neuen Klimaszenarien des Bundes letzte Woche. Fiktive Figuren zeigten, wie sich das Schweizer Klima in der zweiten Jahrhunderthälfte voraussichtlich entwickelt: Bei «Hausbesitzer Urs» steht schon wieder der Keller unter Wasser, «Nonna Lucia» kann vor lauter Hitze nicht schlafen, «Gian» bleibt beim Schlitteln im Gras stecken. Auch wenn solche Veröffentlichungen wichtig sind – der Effekt war seltsam beruhigend: Die Schweiz wird heisser, aber sonst ändert sich offenbar nicht so viel. Die Wirtschaft brummt auch 2060, oder wie könnte sich Urs sonst ein Haus leisten?

Weiter wie bisher: Daran glauben auch Nochbundesrat Johann Schneider-Ammann und das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW), die in der gleichen Woche die nächste Reformetappe der Agrarpolitik vorgestellt haben. Im erläuternden Bericht zur sogenannten AP 22+ kommt die Klimaerwärmung zwar vor: Es sei damit zu rechnen, «dass an gewissen Standorten der Bewässerungsbedarf steigt und Starkniederschläge mit lokalen Überschwemmungen und Erosionsgefahren zunehmen». Doch so schlimm kann es nicht sein, denn schon im nächsten Satz heisst es, der «technische Fortschritt» werde «eine weitere Steigerung der Arbeitsproduktivität, der Erträge im Pflanzenbau, der Leistungen in der Tierproduktion und der Ressourceneffizienz» zur Folge haben. Ein Satz, der fast wörtlich schon 2011 im Bericht zur letzten Reform stand.

Zweieinhalb statt drei Kühe

Die AP 22+ wirkt gespalten, als wüssten die einen Beteiligten nicht, was die anderen tun. Einerseits ist der Bericht durchtränkt vom Glauben an Wirtschaftswachstum, «Markt» und «Fortschritt»: Ein grosses Defizit bestehe bei der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, die LandwirtInnen sollten sich «mit mehr Unternehmertum auf den Markt ausrichten», die Agrarpolitik solle dafür sorgen, dass sich die Schweizer ProduzentInnenpreise den internationalen Preisen annäherten, sprich sinken. Die Wertschöpfung soll allerdings steigen – ein Widerspruch, wie der Bericht auch zugibt. Der Bund findet es ausserdem wichtig, dass für über drei Milliarden Franken Nahrungsmittel exportiert werden und die Arbeitsproduktivität jährlich um eineinhalb Prozent zunimmt, also Menschen durch Maschinen ersetzt werden.

Von konkreten Freihandelsplänen steht nichts im Bericht – Schneider-Ammann hat darauf verzichtet, nachdem seine «Gesamtschau» vor einem Jahr zu Proteststürmen geführt hatte. Doch das ist kein Kurswechsel, nur eine klügere Taktik.

Gleichzeitig zeigt der Bericht aber auch, dass der Traum vom Wachstum im Umgang mit Lebewesen zu Problemen führt: Die Schweizer Landwirtschaft erreicht ihre Umweltziele nicht, weder bei den Nährstoffüberschüssen noch bei der Biodiversität. Pestizide (offiziell immer Pflanzenschutzmittel genannt) und Gülle verschmutzen Wasser und Luft. Dagegen schlägt der Bund Massnahmen vor: Auf einer Hektare soll nur noch der Dünger von zweieinhalb statt drei Kühen erlaubt sein; besonders riskante Pestizide sollen nicht mehr zugelassen werden, in empfindlichen Ökosystemen die Anforderungen regional verschärft werden können.

Das sind Schritte in die richtige Richtung, aber sie reichen nicht. Wie sähe eine Agrarpolitik aus, die Klima, knappe Ressourcen und Artenschutz ernst nähme? Zentral wären die Grundsätze: In der Schweiz leben nur so viele Nutztiere, wie mit Schweizer Futter ernährt werden können. Und (Bio-)Ackerbau soll Menschen satt machen, nicht Nutztiere. Im Berg- und Hügelland, wo es zu steil für Ackerbau ist, könnte immer noch eine stattliche Anzahl Kühe und anderer Wiederkäuer leben – auf der Weide natürlich. Aber Schweine und Hühner, direkte Nahrungskonkurrenten der Menschen, gäbe es nicht mehr viele. Das Importfutter, über eine Million Tonnen Getreide und Soja jährlich, die aus industriellem Ackerbau stammen und hier verdaut werden und zur Überdüngung beitragen, fiele weg. Das «fehlende» Fleisch würde nicht durch Importe ersetzt, denn das verlagert die Probleme nur. Kluge Agrarpolitik ist Ernährungspolitik und bezieht Verarbeitung und Konsum mit ein: Der Bund würde seine Kantinen vegetarisch führen, kurze Wege und direkte Kontakte zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen unterstützen.

Mehr für die Frauen?

Die letzte Reformetappe, die AP 14–17, hat mehr Geld ins Berggebiet gebracht. Vor allem aber war sie eine Reform für die Grossen: Der Bund schaffte damals die Obergrenze für Direktzahlungen pro Betrieb ab – Betriebe mit viel Fläche erhalten jetzt viel mehr Geld. Mit der AP 22+ möchte er gegensteuern – ein bisschen. Ein Teil der flächengebundenen Versorgungssicherheitsbeiträge soll in einen flächenunabhängigen Betriebsbeitrag fliessen, die Direktzahlungen auf 250 000 Franken pro Betrieb begrenzt werden. Das ist eine kleine, ungenügende Korrektur.

Nur in einem Bereich geht der Bund wirklich vorwärts: bei der Gleichstellung. Das ist aber auch bitter nötig: Etwa die Hälfte der Bäuerinnen arbeiten heute gratis auf dem Hof mit, gelten offiziell als nicht erwerbstätig. Bei einer Scheidung landen sie oft direkt in der Armut. Neu sollen zweite oder dritte Säule und Erwerbsausfallversicherung für mitarbeitende Ehefrauen obligatorisch werden, ausserdem werden sie im bäuerlichen Bodenrecht bessergestellt. Zu hoffen bleibt, dass das Parlament die Vorlage wenigstens bei diesem Thema nicht zerzaust.