Wichtig zu Wissen: Der neue Wähler

Nr. 48 –

Ruedi Widmer über die Legalisierung des digitalen Bürgers von rechts

Niemand hätte eine derartige Marignano- Niederlage für die alten Eidgenossen der Schweizerischen Volkspartei erwartet, deren Politik bis vor kurzem unter dem markigen Kürzel «SVP» der Schrecken aller modernen städtischen Menschen in der Schweiz war.

Das hat die Partei unter ihrem Präsidenten und Erdölmagnaten Albert Rösti selber bemerkt. Der neue Kurs in der Kommunikation, orange Kuschelpolitikplakate mit attraktiven Fotomodellen, sollte aus der alten Bauernpartei eine moderne Krankenkassenpartei machen, die ihre frühere Wut medikamentös behandelt und ganz feinfühlig den Leuten das Geschäft direkt ins Gehirn macht; nicht mehr aus dem Stall, sondern aus dem klimatisierten Bankensitzungszimmer heraus. Angeblich war das ein strategischer Entscheid. Vielmehr glaube ich aber, es ist einfach der Kulturwandel innerhalb der SVP-Führung, deren heutige Zusammensetzung mit den Wutpatrioten aus dem Emmental noch etwa so viel gemein hat wie mit den Antifas aus der Berner Reithalle. Die einstige Kampfrhetorik hat man gewinnbringend ins Ausland an die AfD verkauft, wie die Banken die Arbeitsplätze der Datencenter. Auch die Schweizer Fahne tauchte in keiner Kampagne mehr auf.

Die nächste SVP-Volksinitiative wird nun nicht mehr auf Europa, sondern auf die Erweiterung der Wählerbasis zielen. Es ist ja nicht so, dass es nicht viele SVP-Fans gibt. Schaltete man Social Media ein oder scrollte durch die LeserInnenbriefe von «20 Minuten», «Tages-Anzeiger» oder «Blick», waren da zu achtzig Prozent Beiträge von BefürworterInnen dieser «Selbstbestimmungsinitiative» zu lesen. Deshalb auch die Panik, die die Liberalen und Linken in den letzten Wochen so umtrieb. Doch ist online wirklich auch offline?

Die neue Initiative, die bei Albert Rösti in der Pfanne brutzelt, wird also auf das Missverhältnis zwischen Online-SVPlern und Offline-SVPlerinnen zielen. Genauer gesagt: Es geht um das Stimmrecht für digitale Personen. Den Abertausenden von rechten Bots und Fake-Profilen soll nicht mehr nur das Schreiben auf Facebook und Twitter möglich sein, sondern neu auch das Mitbestimmen in der Schweizer Politik. Und weil die SVP modern ist (orange, Internet, zum Teil teure Autos, Anzüge, Uhren, Kernspaltung), soll die Sache gleich international werden. Heute noch illegale Bots aus Russland, Ungarn oder den USA sollen entkriminalisiert werden, in der Schweiz das Bürgerrecht bekommen und stimmen dürfen.

Die digitalen BürgerInnen sind für die SVP der Anker der Zukunft, denn die Gehirnwäsche am gemeinen Fleischvolk funktioniert nur mangelhaft. Digitale BürgerInnen bilden den Volkswillen viel besser ab als die Schweizer Bevölkerung aus Fleisch und Blut, und sie haben zudem den Vorteil, dass sie keine Sozialkosten verursachen, keine Hautfarbe haben, nirgendwo wohnen müssen und kein Land verschleissen. Die Schweizer Bauernfamilien sollen ihr Land aber trotzdem verkaufen dürfen; statt an Immobilienfirmen einfach an russische Datencenter, die ihre Server mit den Fake-Bürgern auf Schweizer Böden bauen sollen, damit diese den Bezug zur Scholle nicht verlieren.

Die Neuen WählerInnen brauchen auch keine Menschenrechte, nur eine IP-Adresse. Sie werden direkt mit der Parteizentrale vernetzt. Sie sind mehr Soldat als Bürgerin, ein Wahlsoldat; bereit, die direkte Demokratie endlich planbar zu machen. Die nächsten Abstimmungsplakate der SVP werden rosa sein.

Oder doch braun. Denn die geschwächte SVP droht den radikalisierten Teil ihrer fleischlichen WählerInnen an neu entstehende Rechtsaussenparteien zu verlieren, die national und sozial argumentieren. Christoph Blocher hatte diese Szene wenigstens noch haarscharf businessverträglich kontrolliert. Aber in Zeiten von Matteo Salvini und Björn Höcke wollen viele keine Kompromisse mehr eingehen. Sie wollen keine Bits sehen, sondern Blut.

Ruedi Widmer ist Cartoonist in Winterthur.