CO2-Gesetz: In Bern hat das Klima keine Lobby

Nr. 49 –

Die Debatte im Nationalrat um das CO2-Gesetz zeigt: Die Schweiz fällt beim Klimaschutz zurück. Die Öl- und Gaskonzerne behaupten sich, während der zukunftsträchtigen grünen Ökonomie im bürgerlichen Lager die politische Unterstützung fehlt.

Ein Bundeshaus im Ölwahn: In der Schweizer Klimapolitik haben die grossen Energiekonzerne viel mitzureden.

«Für viele geht es um Leben und Tod.» Die Worte des Uno-Generalsekretärs António Guterres am Montag, dem Eröffnungstag der Uno-Klimakonferenz im polnischen Kattowitz, könnten kaum eindringlicher sein. Die verheerenden Folgen des globalen Temperaturanstiegs seien überall sichtbar geworden. Doch die Welt sei bei ihren Bemühungen, den Klimawandel zu stoppen, vom Kurs abgekommen. Nötig sei jetzt ein entschiedenes Handeln. Guterres bezog sich in seiner Rede auf den neusten Bericht des Weltklimarats. Dieser verlangt bis 2030 einschneidende Massnahmen. Gefragt sind insbesondere die Industrieländer, die bislang mit Abstand am meisten CO2 in die Atmosphäre gesetzt haben.

Tags darauf im Bundeshaus in Bern: Ein sanftes Licht scheint in den Nationalratssaal. In den Reihen fläzen sich Bäuche mit Krawatten wie auf Liegestühlen. Hier drin scheint man weniger Dringlichkeit zu spüren. Eine weisse Helvetia hält ihre Hand aufs Herz, die andere streckt sie in Richtung der ParlamentarierInnen, als wollte sie sagen: «Jetzt kommt mal in die Gänge, ihr Lahmärsche.» Der Nationalrat debattiert über das neue CO2-Gesetz. Bald wird deutlich: Die Mehrheit aus SVP- und FDP-ParlamentarierInnen denkt nicht daran, die Worte aus Kattowitz ernst zu nehmen. Man geht dieses Thema in gutschweizerischer Selbstbezogenheit an. Eine Phalanx aus SVP und FDP – mit Unterstützung einiger Abweichler aus der CVP – schwächt ein ums andere Mal den sowieso schon schwachen Entwurf des Bundesrats für ein neues CO2-Gesetz weiter ab. So eliminiert der Nationalrat den Passus, nach dem die angestrebte fünfzigprozentige Reduktion des CO2-Ausstosses (im Vergleich zu 1990) zu mindestens dreissig Prozent im Inland zu erfolgen habe. Später schraubt er auch noch die Mindestanforderungen an ausländische Klimazertifikate zurück. «Wenn das so weitergeht, müssen wir uns ernsthaft fragen, ob wir am Schluss überhaupt noch zustimmen sollen», sagt der Grüne Bastien Girod genervt.

Die Schweiz bleibt zurück

Dass das Parlament überhaupt schon wieder über eine Totalrevision des CO2-Gesetzes berät, hängt damit zusammen, dass das 2013 verabschiedete Gesetz nur bis 2020 gilt. Die darin festgeschriebenen Ziele werden voraussichtlich nicht erreicht. Vor allem im Bereich Verkehr und bei den Gebäuden wird in der Schweiz pro Kopf mehr verbraucht als in den meisten anderen europäischen Ländern. So will der Bundesrat im neuen Gesetz die Treibstoffimporteure zu wesentlich mehr Kompensationsleistungen verpflichten und beim Heizöl die CO2-Abgabe erhöhen. Sollten die Emissionen damit immer noch nicht genügend sinken, müssten für Gebäude Grenzwerte für den maximalen CO2-Ausstoss festgelegt werden können.

Der bundesrätliche Entwurf ist zahm. So wird etwa die Rolle der Finanzindustrie vollständig ausgeklammert, obwohl diese, wie SP-Nationalrat Beat Jans in der Debatte sagt, mit ihren Krediten «der weitaus grösste Hebel des Klimaschutzes» wäre. Laut einer am Mittwoch veröffentlichten Studie der NGOs Urgewald und Banktrack stellte die Schweizer Grossbank UBS der internationalen Kohleindustrie seit Verabschiedung des Pariser Klimaabkommens über 4,4 Milliarden US-Dollar zur Verfügung. Damit liegt die UBS im europäischen Vergleich hinter der britischen Bank HSBC an zweiter Stelle.

Die Diskussion um die Frage, ob die Schweiz ihr CO2-Reduktionsziel zu einem gewissen Teil im Inland realisieren muss, ist beispielhaft. So behauptet etwa der freisinnige Nationalrat Christian Wasserfallen, Klimanationalismus sei fehl am Platz, deshalb sei es egal, wo kompensiert werde. Sein Luzerner Parteikollege Peter Schilliger, Vertreter der Immobilienwirtschaft, sagt im Gespräch: «Wir müssen unseren Job möglichst wirtschaftlich machen, im Sinne der Schweiz.» Wasserfallen will offenbar die Linke provozieren. Schilliger macht klar, dass die FDP, wie auch die SVP, zu denen zählt, die nationalistisch denken. Sie wollen die Schweiz so erhalten, wie sie ist, die Schweiz von Economiesuisse: eine Schweiz, in der auch in Zeiten des Klimawandels mächtige CO2-ausstossende Branchen ihre Macht behalten. Über die Effektivität von Klimaschutzmassnahmen reden die VertreterInnen von FDP und SVP nur in der Kategorie des Preises. Je günstiger, desto besser. Dabei bewirken Kompensationsprojekte im Ausland gemäss mehreren Studien weniger als behauptet oder sogar nichts. Oft werden sie auch schlicht doppelt gezählt (siehe WOZ Nr. 48/2018 ). Inländische Klimaschutzmassnahmen führen dagegen zu Strukturveränderungen im Inland und befördern eine nachhaltige grüne Wirtschaft. Genau das will die bürgerliche Mehrheit des Parlaments offensichtlich vermeiden.

Grüne Wirtschaft läuft auf

Ein Teil dieses nachhaltigen Wirtschaftszweigs ist im Verband Swisscleantech zusammengeschlossen. Der Verband hat am Montag eine Studie veröffentlicht, die zeigt, wie die Schweiz bis 2030 48 Prozent ihres Treibhausgasausstosses (im Vergleich zu 1990) reduzieren könnte. So gebe es bei den Gebäuden viel Spielraum, die Wärmeerzeugung auf erneuerbare Energien umzustellen. Im Bereich Verkehr könnte die Umstellung auf batteriebetriebene Fahrzeuge wesentlich schneller als vorgesehen vorangetrieben werden. Andere europäische Länder seien schon viel weiter. Auch hätten viele weitaus ambitioniertere Ziele im Bereich der inländischen Massnahmen: So hat die EU beschlossen, ihren CO2-Ausstoss bis 2030 um 40 Prozent im Unionsgebiet zu senken, Schweden will den Ausstoss im Inland gar um 63, Grossbritannien um 57 und Deutschland um 55 Prozent senken.

Swisscleantech erhofft sich von ambitionierteren Zielen auch einen Schub für die nachhaltig orientierte Wirtschaft. Wieso wollen so viele Bürgerliche das nicht unterstützen? Swisscleantech-Geschäftsleiter Christian Zeyer vermutet ideologische Gründe: «Es herrscht in vielen Wirtschaftsverbänden immer noch ein neoliberales Denken vor. Man negiert, dass Gemeingüter wie das Klima Schaden nehmen, wenn der Staat sie nicht schützt.» Viele Neoliberale seien überzeugt, dass der «Markt» es schon von alleine richte. Dabei sei ja gerade das Problem, dass für den «Markt» etwas, das nichts koste, auch keinen Wert habe.

Aggressiv und irreführend

Patrick Hofstetter, Klimaexperte bei der Umweltorganisation WWF, macht das Lobbying der Öl- und Gasindustrie für die bürgerliche Abwehrhaltung verantwortlich. Deren Vertreter sässen in den entscheidenden Gremien der Wirtschaftsdachverbände.

Ein besonderes Gewicht beim Lobbying fällt der Erdölvereinigung zu. Sie ist finanzstark und scheut auch vor aggressiven Kampagnen nicht zurück. So verteidigte sie in Inseraten Ölheizungen und Benzinmotoren gegen Holzfeuerung und Elektromobilität. Dabei machte sie mehrmals irreführende und unrichtige Aussagen, wie die Schweizerische Lauterkeitskommission in verschiedenen Entscheiden feststellte. So hiess es etwa in einem Inserat: «Heizen mit Öl: für mehr Klimaschutz».

Mitglieder der Erdölvereinigung sind die Erdölkonzerne und Erdölimporteure, darunter Schwergewichte wie BP und Shell, aber auch das aserbaidschanische Skandalunternehmen Socar. Mit der Erdölvereinigung eng verbunden ist Swissoil, der Dachverband der Brennstoffhändler, dessen Präsident Albert Rösti ist – der Vorsitzende der SVP. Rösti polemisiert in der CO2-Debatte des Nationalrats ganz im Sinne seines Verbands: «Jede Massnahme, die hier beschlossen wird, wird keine einzige Trockenheit verhindern.» In seiner Partei finden sich ausgewiesene LeugnerInnen des Klimawandels (siehe WOZ Nr. 39/2018 ).

Die Erdöllobby spielte immer schon eine zentrale Rolle bei der Klimadiskussion. Nachdem sie noch in den neunziger Jahren auch vor Relativierungen und gar dem Abstreiten des Klimawandels nicht zurückschreckte, verstand sie es ab dem Jahr 2000, Kompensationsmassnahmen im Treibstoffbereich in ihrem Sinn zu steuern: anfänglich mit der freiwilligen Massnahme des «Klimarappens», ab 2012 mit der «Stiftung Klimaschutz und CO2-Kompensation». Diese Stiftung, deren Sitz in der Nachbarschaft von Economiesuisse angesiedelt ist, hat die Aufgabe, derzeit acht Prozent des CO2-Ausstosses, den die Treibstoffe in der Schweiz verursachen, mit Klimaschutzmassnahmen zu kompensieren. Dazu finanziert sie entsprechende Projekte.

«Diese Konstruktion ist von Grund auf falsch», sagt Hofstetter. Doch sei es derzeit kaum noch möglich, auf ein anderes Modell zu wechseln. Ihn stört, dass per definitionem Projekte im In- und neu im Ausland gefördert werden, die sich finanziell nicht lohnen. Daneben liegen all die Massnahmen brach, die sich über die Lebensdauer selber amortisieren. Weil die Erdölunternehmen im Stiftungsrat sitzen, bestimmen sie selber, welche Projekte Unterstützung erhalten. Dadurch können die Konzerne verhindern, dass eine nachhaltige Konkurrenz gefördert wird. So finanziert die Stiftung zu fünfzig Prozent Projekte im Bereich Biotreibstoff, wie Geschäftsleiter Marco Berg sagt. Dieser Treibstoff kann dem Benzin oder Diesel der Ölunternehmen beigemischt werden. Die Kontrolle bleibt so in den Händen der Ölindustrie, die Strukturen bleiben, wie sie sind. Das ist offensichtlich ganz im Sinn der bürgerlichen Mehrheit.

SP-Nationalrat Beat Jans fasst es am Dienstag während der Debatte so zusammen: «In diesem Rat kann man keinen griffigen Klimaschutz machen. Sie machen einfach die Politik von Swissoil und Economiesuisse.»

«Klima-Alarm»

Weltweit finden am kommenden Samstag Kundgebungen statt, auf denen von der Politik ein entschiedeneres Handeln für mehr Klimaschutz gefordert wird. Noch sei es «nicht zu spät, die schlimmsten Folgen der menschengemachten Klimaerwärmung zu verhindern», schreibt die Schweizer Klima-Allianz in einem Aufruf. Deshalb wolle man auch in Bern den «Klima-Alarm» ausrufen und mit «Pfannen und Löffeln, Trommeln und Trompeten» so richtig Lärm machen.

Die Kundgebung vom Samstag, 8. Dezember, beginnt um 12 Uhr auf dem Helvetiaplatz in Bern.