Die «Papieri»: In zwei Wochen eine Papierschlaufe um die Welt

Nr. 49 –

In der Papierfabrik Perlen steht «Heidi», die letzte Maschine, die in der Schweiz noch Zeitungspapier herstellt. Hier entsteht auch das Papier für die WOZ. Ein Besuch im Luzernischen.

  • Hundert Tonnen auf dem Weg zur Packmaschine: Eine fertig gewickelte Papierrolle.
  • Und plötzlich schlägt einem 110 Grad heisse Luft ins Gesicht: Walzen und Bespannungen im Bereich Trocken- und Pressenpartie.
  • Material im Überfluss: Ein Gestell mit Papierresten.
  • 2000 Meter Papier pro Minute rasen über die Trockenzylinder.
  • Ein Mitarbeiter bedient die Maschine im Bereich Trockenpartie und Glättwerk.

Die WOZ, die Sie als LeserIn in den Händen halten, ist schon siebenmal recycelt worden. Natürlich wird die WOZ nicht separat wiederverwertet, sie ist aus einem Papierbrei aus NZZ, «Coop Magazin», «Le Matin» und wohl auch etwas «New York Times» oder «La Repubblica» und eben auch dieser Zeitung entstanden.

Warum gerade siebenmal? Zeitungspapier besteht zu 85 Prozent aus Altpapier und zu 15 Prozent aus frischem Holzstoff. Die Frischfasern aus Holz sorgen dafür, dass das Papier seine Festigkeit behält. Nach siebenmaliger Wiederverwertung aber sind die Fasern zu klein und müssen ersetzt werden. Sie werden aus dem Papierbrei ausgewaschen und landen in der Kehrichtverbrennungsanlage, wo sie von Mikroben gefressen werden.

Das Papier für die WOZ wird auf der Papiermaschine 7 (PM 7) in der Papierfabrik Perlen hergestellt. Das gigantische Gerät steht auf einem langen Betontisch. Es verkörpert die jüngste Generation nach einer Reihe von Vorgängermodellen; neben der PM 7 stellt in Perlen eine kleinere PM 4 Papier für Magazine her.

Seit diesem Jahr ist die PM 7 die einzige Maschine, die in der Schweiz Zeitungspapier herstellt. In der Fabrik in Perlen, die zur CPH Chemie und Papier Holding AG gehört, arbeiten 360 MitarbeiterInnen. Die «Papieri», wie sie von Einheimischen genannt wird, hat eine lange Geschichte. 1985, über hundert Jahre nach ihrer Gründung (1873), schrieb Niklaus Meienberg eine aufsehenerregende Fabrikreportage über das damals noch überaus patronale Unternehmen. Die Verhältnisse, die er beschrieb, sind heute Geschichte: Die autoritären Fabrikherren, die aus Offizierskreisen stammten und im Kasernenton führten, sind abgetreten. Heute sind die Hierarchien flacher.

Laut wie ein Düsenjet

Werner Maise, Produktionsingenieur und stellvertretender Abteilungsleiter, lädt zu einem Rundgang um die PM 7. An ihr ist alles gigantisch. Die Maschine ist 130 Meter lang und rund 10 Meter breit. «Wir produzieren hier 360 000 Tonnen Zeitungspapier pro Jahr», sagt Maise. Rund ein Fünftel wird im Inland verbraucht, der Rest in Europa.

In der Papieri ist es Brauch, den Papiermaschinen Übernamen zu geben. Die PM 7 heisst Heidi. Doch mit der Welt im Kinderbuch von Johanna Spyri hat sie nichts gemein. Die PM 7 ist ein garstiges Ding. Sie wird sehr heiss, und nur dank riesigen Lüftungen bleibt die Temperatur in der Fabrikhalle erträglich. Und die PM 7 lärmt wie ein Düsenflugzeug. Darum steuern die PapiermacherInnen die Maschine von verglasten Lärmschutzkabinen aus. Vieles erledigen dabei die Computer, aber nicht alles. Wenn die PM 7 stockt, stöpseln die Papiermacher ihre Gehörschutzstöpsel ins Ohr und flitzen wie der Blitz aus den Kabinen zur Reparatur. Produziert wird in drei Schichten rund um die Uhr, wobei pro Schicht bloss acht bis zehn Papiertechnologen, Anlagenführer und Produktionsmechaniker inklusive Lehrlinge im Einsatz sind. Frauen sind gegenwärtig keine dabei, doch die Papierfabrik bildet auch Papiermacherinnen aus.

Der «Kopf» des grauen Ungetüms wird von einer sogenannten Nassteilwarte aus überwacht. Hier beginnt die Papierherstellung: Papierbrei wird mit viel Wasser auf ein umlaufendes Sieb gespritzt, weitertransportiert und in Vakuumzonen und mit Presszylindern entwässert. Der «Kopf» braucht besonders viel Überwachung.

Miro Jurisic, Industriemeister Papiererzeugung, hat sich gelbes Regenzeug übergezogen und nähert sich mit einem Hochdruckschlauch der PM 7. Dort öffnet er eine Klappe und spritzt Wasser auf eine Walze. «Da blieb ein Kleber hängen», schreit er uns entgegen, «den müssen wir entfernen.» Mit einer Stroboskoplampe und später am Computer kontrolliert er, ob alles wieder rund läuft. «Sauberkeit ist extrem wichtig», sagt Miro Jurisic, «wir müssen dafür sorgen, dass später bei den Kunden das Papier störungsfrei über die Druckmaschinen läuft.»

Werner Maise winkt uns zum langen Rumpf der PM 7 und öffnet eine Klappe. Man sieht, wie die breite Papierbahn rasend schnell über Zylinder läuft. «Das sind Trockenzylinder», ruft Maise, «sie werden mit Dampf beheizt und trocknen das noch feuchte Papier.» Werner Maise gibt ein Handzeichen, noch näher zu treten. 110 Grad heisse Luft schlägt uns ins Gesicht. «Wir produzieren in zwei Wochen so viel Papier, dass man damit ein Band um die Erde legen könnte.»

2000 Meter Papier rasen hier pro Minute vorbei. Kommt es dabei zu Papierabrissen, müssen die Papiermacher schnell reagieren und das Papier wieder über die Zylinder einfädeln.

Unikum in ganz Europa

Am «Fuss» der PM 7 wird das trockene Papier geglättet und auf sogenannte Mutterrollen aufgewickelt. Neben einer solchen Rolle sieht Werner Maise winzig aus. Die Papierrolle ist 9,6 Meter breit, rund 4 Meter dick und wiegt hundert Tonnen. Danach wird das Papier in einer ganzen Batterie von Rollenschneidern in unterschiedliche Breiten geschnitten, von Robotern verpackt und von Staplerfahrern in eine grosse Lagerhalle gebracht. Die PM 7 ist seit 2010 in Betrieb, sie ist die letzte Papiermaschine, die in Kontinentaleuropa für Zeitungspapiere neu installiert wurde. Sie hat 470 Millionen Franken gekostet und ist effizienter als die Vorgängermaschine, braucht fünf Prozent weniger Strom, zehn Prozent weniger Wärme und dreissig Prozent weniger Frischwasser, die CO2-Emissionen pro Tonne Papier wurden halbiert. Die Wärme zur Trocknung der Papierbahnen bezieht sie von einer Kehrichtverbrennungsanlage in der Nachbarschaft.

Mit der PM 7 hat die börsenkotierte CPH, die mehrheitlich den Nachkommen der Gründerfamilie Schnorf aus Uetikon gehört, bisher kaum Geld verdient. Ursache sind der Auflagenschwund im Zeitungsmarkt von bis zu sechs Prozent pro Jahr, zeitweise die Frankenstärke sowie der Preiszerfall als Folge von Überkapazitäten in Europa. Nach einem jahrelangen Konsolidierungsprozess, bei dem weniger effiziente Papierfabriken aufgeben mussten, wirft nun aber die PM 7 im laufenden Jahr zum ersten Mal seit 2014 wieder Gewinn ab.