Proteste der Gilets jaunes: Die Farbe der Saison

Nr. 50 –

Die Gelbwesten werden in Frankreich wie auch international von links und von rechts bejubelt. Während Macron nun eine Debatte über die «nationale Identität» führen will, wird die Bewegung breiter.

Worte der Solidarität kommen bisweilen aus unerwarteter Richtung: Auch sie verabscheue Gewalt, twitterte Pamela Anderson vergangene Woche anlässlich des allgemeinen Entsetzens über die Strassenschlachten, die sich die Gilets jaunes mit der Polizei in Paris lieferten. Dann allerdings liess die US-kanadische Schauspielerin ein entschiedenes «Aber» folgen: «Was sind schon brennende Luxusautos im Vergleich zur strukturellen Gewalt, die von der französischen und globalen Elite ausgeht?»

Anderson, die in Marseille lebt, war bislang eher aus Klatschmagazinen denn für ihre Kritik an der Klassengesellschaft bekannt. Doch ist sie nicht die einzige US-Amerikanerin, die die Krise in Frankreich kommentiert. Als Staatschef Emmanuel Macron die Erhöhung der Spritsteuer angesichts des Drucks von der Strasse zurücknahm, jubelte US-Präsident Donald Trump, dass auch sein «Freund» Macron endlich eingesehen habe, wie unsinnig das Uno-Klimaabkommen von 2015 angeblich sei. Ähnlich zynisch tönte es aus Moskau: Dort erklärte der Kreml der französischen «Farbrevolution» seine Solidarität – schliesslich findet der Aufstand in diesem Fall ja auch in Paris und nicht in Kiew statt.

Solche Reaktionen veranschaulichen, wie schwer zu fassen die Bewegung der Gilets jaunes noch immer ist: Verschiedenste Lager erkennen in den Protesten ihre eigene Agenda wieder und versuchen, sie mit einer entsprechenden Bedeutung aufzuladen (siehe WOZ Nr. 49/2018 ). Das gilt für Frankreich, wo praktisch alle Oppositionsparteien die Bewegung unterstützen, genauso wie fürs Ausland. In Deutschland etwa bekundete die Linkspartei ihre Sympathie für die Gilets jaunes. Gleichzeitig streiften sich rechtsextreme Wirrköpfe Warnwesten über und versuchten, den «Volksaufstand» im Nachbarland zu imitieren – mit mässigem Erfolg.

Nur bescheidene Zugeständnisse

Die ohnehin heterogene Bewegung in Frankreich hat derweil weitere Facetten hinzugewonnen: Inzwischen gehen die SchülerInnnen auf die Barrikaden, am Dienstag gab es neue Blockaden und Proteste an mehreren Hundert Gymnasien; antirassistische Gruppen, die sich gegen Polizeigewalt in den Banlieues engagieren, wie auch AntifaschistInnen marschieren bei den Demos der Gelbwesten mit; und auch der Gewerkschaftsbund CGT hat seine Zurückhaltung aufgegeben und mobilisiert nun für einen Aktionstag am Freitag. Entzündete sich die Bewegung an den Spritpreisen, steht längst allgemein die prekäre wirtschaftliche Lage im Vordergrund, unter der viele FranzösInnen aller Generationen leiden.

Bei einer Fernsehansprache am Montagabend anerkannte Macron zwar, dass sich das Land in einem «sozialen Notstand» befinde. Trotzdem war er nur zu bescheidenen Zugeständnissen bereit: Unter anderem soll der Mindestlohn ein bisschen mehr und etwas rascher steigen als geplant. Ob dies den Protesten den Wind aus den Segeln nimmt, ist zweifelhaft.

Die Gilets jaunes kennzeichnete bislang nämlich eine ausgesprochene Kompromisslosigkeit, die es der Regierung schier unmöglich machte, mit den Aufbegehrenden in einen Dialog zu treten. Für den in Paris lehrenden Anthropologen Alain Bertho unterscheidet genau dies die Gelbwesten-Proteste von traditionellen sozialen Bewegungen, die stets versucht hätten, ihre Forderungen klar zu benennen und in die Institutionen zu tragen. Charakteristisch für die Gilets jaunes sei dagegen, so Bertho in einem Interview mit der Internetzeitung «Mediapart», dass sie «keiner Form der Delegation oder Repräsentation Vertrauen schenken, und zwar weder aufseiten der Macht noch in den eigenen Reihen».

Für den Wissenschaftler, der schon seit Jahren über urbane Aufstände forscht, sind die Gelbwesten wegen ihrer kategorischen Ablehnung des Repräsentationsprinzips «ein neuer Typ von politischer Bewegung, in dem die Krise der Repräsentation und des Parlamentarismus ihren Ausdruck findet». Seine Analyse würde zumindest erklären, warum sich die Gilets jaunes so schwer ins klassische Links-rechts-Schema einordnen lassen. Nicht von ungefähr bezieht sich dieses ursprünglich auf die Sitzordnung in der französischen Nationalversammlung, also dem repräsentativen Organ schlechthin.

Eine Debatte über Immigration?

Für Thomas Piketty stehen indes materielle Aspekte im Vordergrund: Laut dem Ökonomen ist die Bewegung der Gilets jaunes vor allem Ausdruck einer ungerechten Besteuerung. So schrieb Piketty in «Le Monde», dass das Vorgehen Macrons, erst die Vermögenssteuer abzuschaffen, um dann die Abgaben auf Treibstoffe zu erhöhen, fast zwangsläufig zum Desaster habe führen müssen: «Wenn Macron seine Präsidentschaft retten will, muss er unverzüglich die Vermögenssteuer wiedereinführen und die Einnahmen daraus dafür verwenden, diejenigen zu entlasten, die am härtesten von der Erhöhung der CO2-Steuer getroffen werden.»

Anders aber als von Piketty und anderen Linken gefordert, fehlte gerade die Vermögenssteuer im Paket, das Macron bei seiner Ansprache präsentierte. Stattdessen kündigte er an, dass die Regierung eine landesweite Debatte zur «nationalen Identität» und zur Immigration organisieren wolle. Das ist wohl als Zugeständnis an die Rechtspopulistin Marine Le Pen zu deuten, die seit Wochen lauthals gegen den Uno-Migrationspakt polemisiert. Wofür die gelben Warnwesten letztlich stehen werden, wird sich daran entscheiden, ob sich die Bewegung auf derlei populistische Manöver einlässt – oder aber an der Seite der Schülerinnen und Gewerkschafter für mehr soziale Umverteilung weiterkämpft.

Strassengewalt in Frankreich : Schwere Verletzungen

Seit einem Monat geht die Bewegung der Gilets jaunes in Frankreich regelmässig auf die Strasse, und immer wieder überschatten Gewalttaten die landesweiten Proteste. Unzählige davon sind auf Bildern und Videos dokumentiert, die über Newsportale und Social Media verbreitet werden. Die Bilder offenbaren ein erschreckendes Ausmass an Gewalt – sowohl aufseiten der Protestierenden als auch aufseiten der französischen Sicherheitskräfte.

Zu sehen sind einerseits brennende Barrikaden und Leute in gelben Westen, die mit Eisenstangen und Pflastersteinen auf Kastenwagen der Polizei losstürmen, andererseits Tränengasnebel, Gummischrotsalven und gepanzerte Allradfahrzeuge mitten in Paris. Es sind Bilder, die eher an einen Kriegsschauplatz als an eine Demonstration erinnern.

Nichts deutet derzeit darauf hin, dass der verstörende Bilderstrom so rasch wieder versiegt. Für das kommende Wochenende sind erneut Proteste angekündigt. Aufseiten der Protestierenden ist angesichts gravierender Verletzungen nach Polizeieinsätzen – in Bordeaux etwa hat am vergangenen Wochenende ein Demoteilnehmer wegen eines Gummigeschosses ein Auge verloren, einem anderen Protestierenden zerfetzte mutmasslich eine Polizeigranate die Hand – eine zunehmende Aggression gegen die Staatsgewalt erkennbar. Dies verdeutlicht etwa ein umfangreicher Bericht auf der Nachrichtenplattform «Mediapart», wo mehrere Protestierende übereinstimmend von zahlreichen präventiven Verhaftungen erzählen sowie von Personenkontrollen, die aus dem Ruder liefen und in Festnahmen endeten. «Ich habe immer weniger die Absicht, friedlich zu bleiben, es hat keinen Zweck mehr», sagt ein junger Demoteilnehmer zum Schluss.

Fatalerweise scheinen die französischen Sicherheitskräfte nicht an einer Deeskalation interessiert. Im Moment schaukeln sich eher beide Seiten gegenseitig hoch. Was wiederum einen erbitterten Kampf um die Deutungshoheit in der Gewaltfrage zur Folge hat, der kaum zu einer Entspannung der Situation auf Frankreichs Strassen beiträgt.

Jan Jirát