Crowdworking: Digitale Heimarbeit in sozialer Sicherheit

Nr. 51 –

Dienstleistungen, die über eine App vermittelt werden, erleben einen Boom. Doch die Arbeitenden sind den Vermittlungsplattformen ausgeliefert. SP-Ständerätin Pascale Bruderer will ihre Risiken mindern.

Flexibel und selbstständig im Homeoffice arbeiten klingt gut. Doch ein Unfall reicht, um die Existenz einer Crowdworkerin zu gefährden. Foto: Alamy

Hecken schneiden und Wäsche waschen für 20 Franken in der Stunde, eine Website für 500 Dollar gestalten: Kleinstarbeiten werden immer häufiger per App oder Website vermittelt. Rechtlich liegt die Gig-Economy – von Gig für Auftritt – in einem Graubereich: Die soziale Absicherung bleibt meist an den Arbeitenden hängen. Deshalb fordert SP-Ständerätin Pascale Bruderer in einem Postulat, das letzte Woche im Ständerat angenommen wurde, dass sich der Bundesrat Gedanken macht, wie diese Selbstständigen gestärkt werden könnten.

Die Gig-Economy umfasst hauptsächlich lokale und reale Dienstleistungen, Taxidienste von Uber etwa oder Übernachtungen via AirBnB. Unter Crowdworking werden vornehmlich digitale Arbeiten verstanden, die sich von irgendwo auf dem Globus erledigen lassen. Sie werden über Plattformen wie freelancer.com oder gigme.ch vermittelt. Die digitale Transformation des Arbeitsmarkts ermöglicht völlig neue Formen der Heimarbeit. So kann ein Flyer problemlos in Bali aus der Hängematte gestaltet werden. Vor allem profitieren die Firmen, die schnell, einfach und günstig an gute Arbeitskräfte gelangen. Statt eine Übersetzerin einzustellen, werden gelegentliche Aufträge an die Crowdworkerin mit dem besten Angebot ausgelagert.

Krankheit als existenzielles Risiko

Für Pascale Bruderer darf dieser Trend nicht mit einem Abbau der sozialen Sicherheit einhergehen. «Die Politik ist aufgerufen, die soziale Absicherung auch jenen zu ermöglichen, die sich dazu entschliessen, als Selbstständige die technologischen Möglichkeiten von Plattformen zu nutzen», erklärt die Ständerätin. Die Plattformen übernehmen häufig eine ambivalente Rolle zwischen Vermittlung und Arbeitgeber. Das führt immer wieder zu rechtlichen Streitigkeiten. So versucht Uber in Grossbritannien verzweifelt, nicht als Arbeitgeber zu gelten. Denn das würde Verpflichtungen mit sich bringen: Entschädigung bei Krankheit und Unfall, Arbeitslosengeld oder die Altersvorsorge.

Die Probleme für die Arbeitenden sind auch in der Schweiz gravierend. Als formal Selbstständige sind sie den grossen Plattformen und ihren Algorithmen weitgehend ausgeliefert. «Das Modell, wie es heute gehandhabt wird, unterwandert die Sozialsysteme», sagt Christian Capacoel von der Gewerkschaft Syndicom. Deswegen fordert die Gewerkschaft, dass es für die Gig-Economy neue Regulierungen brauche, «um die Löhne zu schützen, soziale Sicherheit zu schaffen und Steuereinnahmen zu sichern».

Weil der Organisationsgrad zudem sehr niedrig ist, haben die Arbeitenden kaum Verhandlungsmacht gegenüber den Plattformen. «Die Crowdworker verfügen über keine kollektiven Arbeitsrechte, die es erlauben würden, dass sie sich gemeinsam mit Gewerkschaften gegenüber den Plattformen und Auftraggebern für ihre Interessen einsetzen könnten», schreibt Syndicom. Das wirkt sich auch auf Festangestellte aus. «Durch Gesamtarbeitsverträge abgesicherte Arbeitsbedingungen könnten unter Druck geraten, da der GAV über Crowdworker einfach umgangen wird», meint Capacoel. Plattformen wie gigme.ch oder notime.ch sollen sich deswegen an bestehenden Gesamtarbeitsverträgen und orts- und branchenüblichen Bedingungen orientieren.

Rechtssicherheit trotz Komplexität

In der Schweiz ist Crowdworking nicht unüblich. Aus einer gemeinsamen Studie von Syndicom, der Universität Hertfordshire sowie dem Marktforschungsinstitut Ipsos Mori geht hervor, dass bereits 32 Prozent der befragten SchweizerInnen Crowdwork suchten und knapp ein Fünftel auch tatsächlich fündig wurden. Dabei handelt es sich fast immer um digitale Arbeit, die jedoch bloss als Nebenverdienst herhält. Nur zwölf Prozent der CrowdworkerInnen verdienen ihr Geld ausschliesslich in der Gig-Economy.

Diese Komplexität erschwert auch die Regulierung, denn die Auswirkungen auf die Arbeitenden sind sehr unterschiedlich. Manche leiden unter dem Joch der Plattformen und dem Leistungsdruck der algorithmisch zugewiesenen Arbeit, weil sie damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Für andere ist Crowdwork eine willkommene Sache. «Die Plattformen bieten beispielsweise den Vorteil, dass die Einkommensmöglichkeiten sehr niederschwellig zugänglich sind», erläutert Ständerätin Bruderer. «Davon profitieren auch Menschen, denen der Zugang zum Arbeitsmarkt aktuell verwehrt oder stark erschwert ist. Nun muss dieser Weg dringend mit einer Möglichkeit zur sozialen Absicherung verbunden werden.»

Angesichts der aktuellen Entwicklungen brauche es mehr Rechtssicherheit – im Sinne und im Interesse der auf den Plattformen aktiven Erwerbstätigen. Deshalb müsse der Bundesrat «neue Ansätze der sozialen Absicherung und die Beseitigung allfälliger bestehender Fehlanreize» prüfen, fordert Bruderer in ihrem Postulat. «Das grösste Problem ist, dass man vor lauter Konzentration auf die Risiken, die zweifellos existieren, die Chance verspielt, auch die Vorteile nutzbar zu machen.» Für Pascale Bruderer stehen dabei in erster Linie die Vorteile für die erwerbstätigen Menschen im Vordergrund. Ihr schwebt vor, «dass man sich in Zukunft nicht zwischen Flexibilität einerseits und sozialer Absicherung andererseits entscheiden muss».