Ein Traum der Welt: Harte Grenzen

Nr. 51 –

Annette Hug würde gern luftig über Schmugglerinnen schreiben

Seit vergangenem Mai geht mir das Wort «passeur» nicht aus dem Kopf. Es tauchte an den Solothurner Literaturtagen unerwartet auf. Da sprachen die literarischen Übersetzerinnen Camille Lüscher und Raphaëlle Lacord über ihre Arbeit. Es begann mit einem schönen Satz von Julia Weber, der französisch werden sollte: «Ich wünsche mir einen Urlaub mit Feuer und Ferne, und Bruno wünscht sich einen Urlaub ohne Alkohol.» Das Publikum stieg in die Diskussion von Varianten ein, und Raphaëlle Lacord sprach über Luxemburg, wo sie aufgewachsen ist: «… on est pas longtemps chez soi, on est vite chez les autres …» Es ging um mehrsprachige Kleinstaaten, Grenzen schienen immateriell geworden, «man ist nicht lange bei sich, man ist schnell bei den andern …».

Und dann tauchte dieser Ausdruck auf: «passeur des mots». «Wortschlepper», verstand ich, weil ich den Begriff nur aus der Flüchtlingspolitik kannte. Camille Lüscher erklärte mir dann aber, das sei so eine übliche Metapher für literarische ÜbersetzerInnen. Die brächten Wörter über die Grenze, und auch Charon, der Seelen ins Totenreich fahre, sei ein «passeur». In der Flüchtlingspolitik ist der Ausdruck angenehm neutral, er entkommt dem deutschen Gegensatz von «gutem Fluchthelfer» und «böser Schlepperin».

Von 2004 bis 2008 hat eine eidgenössische Kommission 137 FluchthelferInnen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs rehabilitiert. Seit 1942 war «Fluchthilfe» ein Straftatbestand. Im Bericht der Rehabilitierungskommission wird der Begriff fast schon zum Ehrentitel. Schliesslich ging es um die Rettung von Verfolgten. Dabei bewerteten die Mitglieder der Kommission das Ergebnis der Fluchthilfe weit höher als die Beweggründe. Wichtig war, dass Verfolgte sicher über die Grenze kamen. Wie das ging, wussten Schmuggler besonders gut, denn sie kannten das Grenzgebiet und die Schleichwege, die Routinen der Grenzwache. Auch Männer, die heute als Schlepper bezeichnet würden, sind rehabilitiert worden, wenn sie die versprochenen Dienste zuverlässig ausführten haben. Nach der politisch motivierten Fluchthelferin Aimée Stitelmann ist seit 2005 eine Schule benannt.

Das Bezirksgericht Brig, das am 7. Dezember die Basler Aktivistin Anni Lanz wegen Widerhandlung gegen das Ausländergesetz zu einer Busse von 800 Franken verurteilt hat, argumentiert ganz anders als die Rehabilitierungskommission. «Der zuständige Staatsanwalt des Kantons Wallis hält in seinem Plädoyer fest, dass er durchaus Verständnis für das Handeln von Lanz aufbringen könne», stand vor einer Woche in dieser Zeitung. «Anni Lanz sei alles andere als eine ‹klassische Schlepperin›.»

Und es wäre nun schön, darüber nachzudenken, welche Schätze eine «passeuse» über die Grenze schmuggelt, damit sie uns nicht vorenthalten bleiben. Aber «Tom» ist in Italien verschwunden. Anni Lanz konnte ihn nicht in die Schweiz bringen, weil sie an der Grenze angehalten wurden. Und Appel d’elles aus der Westschweiz macht seit Monaten darauf aufmerksam, dass Frauen, die nach Italien ausgeschafft werden, besonders grausam an die Kasse kommen – einige schaffen irgendwie den Weg zurück und erzählen davon, welcher Gewalt sie ohne Geld und Kontakte ausgeliefert waren. Da bleibt nur die Frage, wie «passeurs» durch vernünftige Politik überflüssig werden.

Annette Hug ist freie Autorin in Zürich. Sie mag die Mehrsprachigkeit im Oberwallis, zum Beispiel den Familiennamen «de Kalbermatten».