Von oben herab: No Pringles!

Nr. 51 –

Stefan Gärtner über wohlstandsbürgerliches Konsumverhalten

Ich bin ein Wohlstandsbürger und umweltbewusst, und also unterliege ich dem «Dilemma des umweltbewussten Wohlstandsbürgers», das sich hinter der Paywall vom «Magazin» versteckt: «Kann nachhaltiger Konsum die Welt retten? Schwierig, denn: Nicht Kaufen verändert das System, sondern Nichtkaufen», und da bin ich gleich ein guter Systemveränderer und kaufe den Artikel nicht.

Ein Dilemma ist ja was, bei dem mans nur verkehrt machen kann: Entweder ich erfahre, was im Dilemmaartikel steht, dann ist aber die schöne Pointe mit dem Nichtkaufen futsch, oder ich behalte die Pointe, werde aber den Artikel nie kennen. Das Dilemma des Wohlstandsbürgers ist freilich nur dann eins, wenn das Kaufen nicht infrage steht; geht es um Systemveränderung, nämlich hin zu einem System, in dem es nicht mehr ganz so ausschliesslich ums Kaufen und Verkaufen geht, kann die Parole dilemmafrei lauten: Nicht kaufen. (In Werner Bootes Film «Die grüne Lüge», in dem meine liebe Freundin Kathrin Hartmann ihre Recherchen zum Thema Greenwashing vorstellt, sagt ein texanischer Professor, dass, wenn man keinen Palmölraubbau wolle, man eben auf die Kartoffelchips verzichten müsse: «No Pringles.» Ist bei mir daheim zum geflügelten Wort geworden.)

Aber, und hier liegt der Hase im Ökopfeffer, ist es nun mal ein Wohlstandsbürger, der das System verändern will, und das will er natürlich nur so weit, als es den Wohlstand nicht einschränkt, der sich darin ausdrückt, Sachen zu kaufen. Wenn es wg. Umweltbewusstsein mit dem Sachenkaufen so nicht weitergehen kann, es aber doch weitergehen soll, muss nachhaltig gekauft werden, damit die gekauften Sachen bei Produktion und Vertrieb wenigstens keinen Schaden anrichten.

Der Versuch sei hier nicht rundheraus denunziert. Es gibt Dinge, die müssen wir kaufen, Brot vielleicht oder Margarine, und für das eine Brot wird Getreide auf einem toten Acker angebaut und für das andere auf einem lebendigen, und es gibt Margarine aus Palmöl und Margarine ohne (in meinem Supermarkt genau eine). Dass der vermeintlich richtige Kauf am System, das auf Überschussproduktion angelegt ist und der Klassengesellschaft dient, etwas ändert, muss hingegen nicht angenommen werden, denn der konventionelle Bauer kriegt, jedenfalls in der EU, Subventionen und baut, was er anbaut, auch weiter an (und exportierts im Zweifel), und was nicht bio ist, hat sowieso so lange Kundschaft, wie Lohnabhängige nicht die Wahl haben, für ein Brot vier Euro auszugeben. (Hinweis für die Schweiz: In Deutschland ist das das teure Brot.) Auf das Brot für 99 Cent sind sowohl der wachsende Prekärjobsektor als auch das Konsumklima angewiesen, denn Grossfernseher und Fernreise werden auch von dem Geld bezahlt, das nicht für verträgliche Lebensmittel ausgegeben wird. Deren Anteil stagniert im einstelligen Prozentbereich.

Aber dem Magazinisten M. Jauer, der nicht kritischer sein kann, als es der Beruf als Lifestyle-Journalist und Koautor von Ehefrau Alexa Hennig von Lange zulässt («Breaking Good. Mach dich glücklich!»), geht es ja auch nicht um Brot und Butter, sondern um Fairphones, Elektrowagen oder Vintage-Jeans aus Biohanf, also jene Bedürfnisse, die bloss unter waltender Gesellschaft welche sind, und dann, schwierig!, stellt sich das Dilemma ein, dass man kaufen muss, aber nicht kaufen darf, und da kommt dann der Jauer und schreibt, ich wette, was Windelweiches von der Sorte, mit der sich «fünf Kinder» (Verlagsseite) ernähren lassen. Denn wer zahlt, schafft an, und das ist, im «Magazin» wie anderswo, die werbende Wirtschaft. Und die kann mit dem Dilemma des Wohlstandsbürgers und der Wohlstandsbürgerin sehr gut leben, denn das ist halt so die Sache mit den Dilemmata: Da machst nix dran.

Und das soll ja auch niemand.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.