Auf allen Kanälen: Die Partei und ihr Blatt

Nr. 4 –

«Neues Deutschland» ade? Die Zeitung, die zur Hälfte der Partei Die Linke gehört, kämpft ums Überleben.

Viele Tageszeitungen haben in den vergangenen Jahrzehnten massenhaft LeserInnen verloren, aber wohl nur sehr wenige einen so dramatischen Rückgang erlebt wie das «Neue Deutschland» («nd»): In den Achtzigern lag die Auflage des Blattes aus Berlin, das damals noch als Zentralorgan der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) firmierte, bei einer Million, nur die «junge Welt», die mit der Jugendorganisation FDJ verbandelt war, fand in der DDR noch mehr Verbreitung. Heute dagegen beträgt die verkaufte Auflage des «nd» nur noch etwas mehr als 20 000 Exemplare.

Und jetzt bangt das «Neue Deutschland» ganz um seine Existenz. Der Zeitung sterben schlicht ihre AbonnentInnen – überwiegend ältere Ostdeutsche – weg. Ginge sie pleite, würde nicht nur ein linkes Medium, das längst kein Propagandablatt mehr ist, verschwinden und das Zeitungssterben um ein trauriges Kapitel erweitert. Der Fall des «nd» hat überdies eine politische Dimension: Die Zeitung gehört nämlich zur Hälfte der Partei Die Linke.

Es knirscht

Deswegen kam es schon vergangenen Sommer – lange vor den französischen Gilets jaunes – in Leipzig zu Protesten von Gelbwesten. In der ostdeutschen Stadt fand damals der Parteitag der Linken statt; MitarbeiterInnen des «Neuen Deutschland» in neongelben Warnwesten nutzten den Anlass, um bei den Delegierten um neue AbonnentInnen zu werben und bei einer Ansprache in der Halle die Partei in die Pflicht zu nehmen: Eine Abwicklung des Blattes sei unbedingt zu vermeiden.

Zwischen Partei und Zeitung knirscht es, auch wegen des Ortes, in dem Letztere residiert: Das Redaktionsgebäude – ein realsozialistischer Bau wie aus dem Bilderbuch – liegt im Berliner Trendbezirk Friedrichshain, nicht weit vom weltberühmten Club Berghain; das dazugehörige Grundstück ist 25 000 Quadratmeter gross. Laut einem Bericht der «taz» wurde der Wert des Areals 2004 auf knapp fünf Millionen Euro geschätzt; nach etlichen Jahren explodierender Immobilienpreise in der deutschen Hauptstadt dürfte er heute weit höher liegen.

In den vergangenen Monaten bemühte sich nun die Partei, die eigenen Besitzanteile am Grundstück auf Kosten des Verlags zu erweitern. Vonseiten der Zeitung wurde dies als wenig solidarisch gedeutet, da es wie eine Vorsichtsmassnahme wirkt, im Fall einer Insolvenz des «nd» das Areal aus der Konkursmasse herauszuhalten – ein Indiz, dass Die Linke, die in der Vergangenheit das Blatt schon einmal finanziell rettete, nicht länger bereit ist, in die Bresche zu springen.

In der Zwischenzeit sei die Veränderung der Eigentumsverhältnisse weitestgehend vollzogen, sagt Jörg Reichel, der Landesgeschäftsführer der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in Berlin-Brandenburg: «Wir als Gewerkschaft haben klargemacht, dass wir die Partei in die Verantwortung nehmen, wenn sie die Zeitung jetzt an die Wand fahren lässt.» Auch «nd»-Chefredaktor Wolfgang Hübner bestätigt, dass die «Rechtskonstruktion» verändert worden sei; allerdings gebe es verschiedene Ansichten darüber, wem bis dahin was genau gehört habe, je nachdem, ob man beim Betriebsrat oder aber bei der Geschäftsführung und der Partei nachfrage. Hübner betont zugleich: «Es geht hier ja auch um ein grosses linkes Haus in Berlin, dessen Fortbestand im schlimmsten Fall einer Insolvenz gesichert werden soll.» Im Gebäude sind neben der Zeitung auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie zahlreiche linke Vereine untergebracht.

«Supernova» zündet

Sollte das «nd» verschwinden, wäre das ein Verlust für die deutschsprachige Publizistik, die um eine linke Stimme ärmer wäre. Und es wäre bitter für eine Redaktion, die sich verjüngt, eine zeitgemässe Wochenendausgabe entwickelt und zudem das an ein urbanes Publikum gerichtete Onlinemagazin «Supernova» lanciert hat. In Letzterem findet man Beiträge à la «Ich habe versucht, so deutsch wie möglich zu sein – zum Glück hat es nicht geklappt» oder «Wenn Frauen doppelt bluten: Leben mit der Tamponsteuer». Mit dem Muff der DDR hat das nichts mehr zu tun. Der Lohn: In den letzten Monaten konnte die Zeitung 3000 ProbeabonnentInnen gewinnen. «Es bleibt ein Existenzkampf, aber unsere Perspektiven sind wieder besser geworden», sagt Hübner.