Europas Abschottungspolitik: Beten und abschrecken

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Das Mittelmeer bleibt die tödlichste Grenze der Welt: Allein am vergangenen Freitag starben circa 170 Menschen beim Versuch, über den Seeweg nach Europa zu kommen. Ein Schlauchboot mit 120 Menschen an Bord war östlich von Tripolis nach Italien aufgebrochen, bevor es auf hoher See zu sinken begann. Die allermeisten InsassInnen ertranken, nur drei überlebten. Fast zur selben Zeit kenterte ein Schiff auf der Route von Marokko nach Spanien: Etwa fünfzig Menschen verloren ihr Leben.

Papst Franziskus versprach Anfang der Woche, nicht nur für die Toten zu beten, sondern auch für die politisch Verantwortlichen. Matteo Salvini, den italienischen Innenminister und Posterboy der neuen europäischen Rechten, wird die päpstliche Schelte wenig kümmern. Seine menschenverachtende Gleichung lautet: Je mehr Menschen sterben, desto grösser die Abschreckung und desto weniger Flüchtlinge kommen künftig in Italien an.

Tatsächlich sinkt die Zahl der ankommenden Schiffe seit Monaten, nicht nur in Italien. Nur steigt gleichzeitig der Anteil der Geflüchteten, die auf dem Weg übers Mittelmeer sterben, immer weiter an, wie Zahlen der Vereinten Nationen zeigen. Der Grund ist einfach: Momentan ist die «Sea-Watch 3» das einzige zivilgesellschaftliche Rettungsschiff, das zwischen Italien und Libyen verkehrt. Am Wochenende nahm es 43 Menschen an Bord.

Andere private Rettungsschiffe werden am Auslaufen gehindert. Solange diese Schiffe nicht mehr in See stechen können, nützen auch die Solidaritätsbekundungen der vielen italienischen und weiteren europäischen Städte wenig, die sich bereit erklärt haben, die Flüchtlinge aufzunehmen, wenn man sie denn nur liesse.

So macht das zivilgesellschaftliche Engagement das politische Versagen der EU nur umso deutlicher: Nichts führt an einem solidarischen Verteilungskonzept für Geflüchtete vorbei. Und solange sich die EU-Mitgliedstaaten nicht darauf einigen können, tragen sie, genau wie Salvini, eine politische Mitverantwortung für das Sterben im Mittelmeer. Das gilt auch für die Schweiz.

Europas Abschottungspolitik bleibt gleichzeitig aber auch ein Souveränitätstheater. Die Politik der geschlossenen Häfen und hochgerüsteten Grenzen suggeriert, dass es möglich sei, Migration zu kontrollieren. Doch die MigrantInnen richten sich nicht nach den Plänen und Gesetzen eines italienischen Innenministers, sie fliehen vor Krieg, vor Armut, vor den libyschen Gefängnissen. Und sie werden weiter fliehen.