Traumlandschaften: Einblicke in die schwarze Stille bohren

Nr. 4 –

Die neue Reihe des Schweizer Fotografen Dominic Büttner bringt Licht ins Dunkel – und umgekehrt. Fotografische Technik und Gedankenspiele verschmelzen zu Reflexionen über die Nachtseite der Aufklärung.

Surreale Flächen, gleissendes Licht: Dominic Büttners verwischte Schritte führen in die Tiefe, hier auf dem Morteratschgletscher im Engadin (2012). Foto: Dominic Büttner

«Geh nicht in Frieden in die gute Nacht!», ruft Dylan Thomas in seinem bekanntesten Gedicht dem Vater in die Dunkelheit des Todes hinterher. Nacht und Dunkel sind die Kehrseite zu unserem Tagverstand, sie sind Projektionsfläche, Verheissung: ängstigend und gottfern.

Auf Caspar David Friedrichs Gemälde «Chasseur im Walde» von 1814 hat sich ein französischer Soldat mit seinem Goldhelm im Wald verlaufen, letztes Tageslicht erhellt den Winterboden. Der Soldat blickt auf Dunkelheit und Verderben, die nicht nur den zerriebenen napoleonischen Truppen entgegenschlagen, sondern auch der Aufklärung im nächtlichen deutschen Wald. Das Dunkel, verdrängt von hellem Leuchten, gleichzeitig verdichtet und um Schattierungen gebracht, ist auch die Grenze der «Dreamscapes», einer faszinierenden Bilderfolge von Dominic Büttner.

Ein merkwürdiger Stillstand

Der Basler Fotograf trägt gleissendes, kühles Licht nächtens an sorgfältig ausgewählte Orte: durch Baumreihen, über Kiesfelder und Felsen, an rissigem Putz, nachlässigen Mauern vorüber. Das Dunkel zeichnet die Maserung von Tunnelwänden nach, gibt gespenstisch herumstehende Gebäude, Reklamewände, Scheunentore frei. Im Dunkel verschachtelt sich Architektur zu surrealen Flächen, eine Handleuchte zwingt ihr bleiche, fast monochrome Szenerien ab. Büttner nutzt die lange Belichtungszeit, um mit der Lampe in der Hand Einblicke in schwarze Stille zu bohren. Eine Welt tritt da hervor, indem sie das Licht reflektiert oder schluckt – wie genau, kann der Fotograf erst bei Betrachtung der Negative herausfinden.

Das Ergebnis der technischen Prozedur und des hübschen Gedankenspiels hält einen in Atem. Fotografie lässt Zeit gefrieren, die Verschlusszeit setzt ihr zudem eine genau abgezirkelte Tiefe entgegen. Die schmale Spur von Büttners Schritten führt geisterhaft durch die Aufnahmen. Jedes Bild ergibt komplexe Kompositionen, die man aus einem Überschuss an Realismus herausfiltern kann. Da strecken sich Eislandschaften und Schneewehen, fahler Bewuchs drängt aneinander. Wald und Fels wirken ruppig, kalt, abgewandt. Büttner schaut auf einen merkwürdigen Stillstand, Bäume sind entwurzelt, Hohlwege versperrt, Felsen zertrümmert. Auf einem Lavafeld liegt noch ein Schuh. Nirgends blüht etwas, im Schlaf verbirgt die Natur ihre Farben.

Büttners verwischte Schritte nehmen uns mit in die Tiefe, verbinden unseren Standpunkt mit dem Schwarz der Nacht. Zeigen den Weg an, der vor uns liegt, vielleicht die Richtung, aus der wir kamen. Die dünne Schneedecke im Winterwald liegt vor uns, wie sie wohl auch vor Friedrichs Chasseur lag, erste Zweige greifen nach uns, eine Trift führt nur tiefer ins Dunkel. Wir beginnen, sein Unbehagen zu verstehen, sein Blick auf die Finsternis lässt das Gefühl wachsen, verloren zu sein.

Wir sind kurzsichtig

Nicht nur das, was uns als Natur erscheint, auch die menschengemachte Welt gibt Rätsel auf. Büttners einsames, körperloses Licht lässt ein Blickfeld mal ein Dutzend Meter ausgreifen, prallt dann gegen geschlossene Türen, fensterlose Wände, eine verwaiste Tankstelle. Eine Unbehaustheit herrscht da, Betonquader und Sandhaufen verbauen den Überblick, Nacht herrscht am Ende des ungastlichen Tunnels. Schwärze umringt uns, rahmt einzelne Objekte ein, lässt sie hervortreten. Etwas ist nicht fertig gebaut – oder schon obsolet. Die Richtung, die wir eingeschlagen haben, verspricht nichts Gutes. Ringsum Flächen, an denen der fotochemische Prozess stillsteht, Verweise auf die Grenze der Fotografie selbst. Aufklärung ist ein mühsamer Prozess, wir sind kurzsichtig.

Die Bilderwelten der Träume sind auch Reisen ins Innere. Um die Nacht im Subjekt drin kreist die Philosophie der Aufklärung. Eine «dunkle Stelle, die gesetzt werden muss, damit man in Abgrenzung zu ihr auf einer von Vernunft erhellten Karte» Wissbares eintragen könne, nennt es Elisabeth Bronfen in ihrer Kulturgeschichte über die Nacht. Für ihren Essay zu den «Dreamscapes» zieht Bronfen den deutschen Philosophen Hegel heran, der von der Nacht des Ich wusste: «Diese Nacht erblickt man, wenn man dem Menschen ins Auge blickt.» Und so gräbt sich die Reise durch die «Dreamscapes» Zugänge zum Kern des Subjekts, in dessen Tiefe die Psychotherapie Verdrängung, Triebe, Traumata besänftigen will.

Bei Büttner türmt sich entlang dieser Wege Zerborstenes, Eingerissenes, seiner Funktion Enthobenes. Als hätten gewaltige Kräfte gewütet. Im kalten Licht der Vernunft liegen Trümmer. Dazu singt die Nacht keine Lieder, legt sich nicht beschönigend um trügerisch beleuchtete Flächen, taucht keine Verheissungen in bunte Farben. Ihre Undurchdringbarkeit lässt Beton, Gestrüpp, Schutthaufen theatral hervortreten, macht sie zu harschen, kargen Skulpturen. Die inneren Welten der Traumlandschaften sind kühl, stumm und leer.

«Empör dich, weil das Tageslicht erstirbt!», wütete Dylan Thomas gegen den Tod. Das Dunkel war ihm keine Beruhigung oder Versöhnung: «Geh nicht in Frieden in die gute Nacht!»

Dominic Büttner: Dreamscapes. Mit Texten von Elisabeth Bronfen und Nadine Olonetzky. Verlag Scheidegger & Spiess. Zürich 2018. 144 Seiten. 65 Franken