Wassergesetz: Der flüssige Staatsschatz

Nr. 4 –

Im Kanton Zürich findet eine wegweisende Abstimmung über das neue Wassergesetz statt. Bei einem Ja wird ein uraltes Grundrecht angetastet: das Wasser als Allgemeingut.

Wem soll das kostbare Nass gehören? Blick in die ökologischen Filteranlagen des Seewasserwerks Moos, des ältesten Wasserwerks der Stadt Zürich. Foto: Florian Bachmann

In 57 Sitzungen diskutierte das Zürcher Kantonsparlament die aktuelle Vorlage des neuen Wassergesetzes. Was dabei herauskam, sorgt weit über den Kanton hinaus für Diskussionen. Man ist nahe an einem historischen Tabubruch: Stimmt die Bevölkerung am 10. Februar Ja zum neuen Wassergesetz, dürfte die Trinkwasserversorgung in Zürich langsam, aber sicher aus den Händen der Öffentlichkeit zu privaten Investoren übergehen. Das ist nicht das einzige Problem der Vorlage, aber ein gravierendes.

Wozu braucht der Kanton überhaupt ein neues Wassergesetz? «Die einzige wesentliche Verbesserung brächte ein vollständiges Privatisierungsverbot», sagt SP-Kantonsrat Ruedi Lais. In der ersten Vorlage der Regierung war genau das vorgesehen. Bisher war es möglich, Wasserversorgungsanlagen der Gemeinden oder die rund vierzig gemeinnützigen Genossenschaften in Aktiengesellschaften zu verwandeln. Vom vollständigen Privatisierungsverbot blieb am Ende des langwierigen Geschäfts nur übrig, dass 51 Prozent der Versorgungsanlagen sowie zwei Drittel der Stimmrechte auf der Seite der Gemeinden bleiben müssen. Dass es nun gesetzlich verankert werden soll, Teilprivatisierungen zu erlauben, war nicht die anfängliche Absicht des Regierungsrats. So gesehen ist die Aussage des bürgerlichen Ja-Komitees, die Vorlage bringe eine Verschärfung der bisherigen Gesetzeslage zugunsten der öffentlichen Hand, irreführend.

Auf Kosten der Gemeinden

FDP-Kantonsrätin Barbara Franzen erklärt gegenüber der WOZ: «Es geht darum, die bewährten privatrechtlich organisierten Wasserversorgungsgesellschaften nicht nur weiterbestehen zu lassen, sondern ihnen auch eine Weiterentwicklung zu ermöglichen.» Gemeint sind die althergebrachten Genossenschaften. Linke begrüssen das Modell grundsätzlich wegen des ihm innewohnenden gemeinnützigen Auftrags. Mit der aktuellen Vorlage wären neue Genossenschaftsgründungen jedoch gar nicht mehr möglich. Wenn zwei Drittel der Stimmen auf Gemeindeseite sein müssen, die Gemeinde als juristische Person aber nur eine Stimme als Genossenschafterin besitzt, funktioniert das rein rechnerisch nicht.

Bisher versorgten private Wassergenossenschaften ihre Gemeinden im Rahmen eines öffentlichen Auftrags. Ein Ja zur Vorlage würde den Einfluss der Gemeinden bei privaten Genossenschaften also nicht erst – wie die BefürworterInnen suggerieren – mit dem neuen Gesetz etablieren. Handkehrum hätte ein vollständiges Privatisierungsverbot die bestehenden Genossenschaften keineswegs die Existenz gekostet: Die Bewilligungen, die sie besitzen, laufen nie ab. Vielmehr bedeutet «weiterentwickeln» im Sinne Franzens, dass man mit neuen Aktiengesellschaften rechnet.

Genau das wäre die Idee, wenn etwa an eine Fusion der Wasserversorgungsgenossenschaft Dübendorf mit der Werke Versorgung Wallisellen AG gedacht würde. Das Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft diskutiere solche gemischtwirtschaftlichen Beteiligungen, sagt Franzen: «Diese Entwicklungen wollen wir nicht verhindern, sondern ermöglichen.»

Problematisch wird es, wenn die langfristig sicheren und ertragreichen Anlagen für Grossfirmen und Anlagefonds interessant werden. Gewinnausschüttungen sind gemäss Franzen verboten. Ruedi Lais hingegen warnt, dass Renditen trotz der gesetzlichen Verpflichtung zu kostendeckenden und verursachergerechten Tarifen nicht auszuschliessen wären.

Wenn die Genossenschaft Dübendorf von der Werke Versorgung Wallisellen AG aufgekauft würde, könnten in einer Anfangsbilanz die zu Aktien gewandelten Genossenschaftsanteile möglichst tief bewertet und bei einem teilweisen Verkauf, einer weiteren Fusion oder einer erneuten Kommunalisierung teurer verkauft werden. «Das geht auf Kosten der Gemeinden», sagt Lais. Weil man sich auch bisher nicht streng an die verursachergerechten Tarife gehalten hat, haben viele Gemeinden mehrere Jahresumsätze in der Reserve. Es sei denkbar, dass diese «Staatsschätze», die eigentlich den VerbraucherInnen gehören, in die Hände von Investoren gelangten, sagt Lais. Bei Mischfirmen mit liberalisierten Anteilen, etwa im Strom- oder Fernwärmebereich, wäre es möglich, Kosten und Gewinne hin und her zu schieben, sodass durchaus Dividenden ausgeschüttet werden könnten. Weitere Gefahren sieht Lais auch in möglichen Tarifvorteilen für AktionärInnen – zum Beispiel, wenn sich ein Gemüsebauer dank seines Aktienanteils auch im heissesten Sommer die Wasserversorgung sichern kann.

Ein Blick nach Paris, Berlin oder Budapest würde reichen, um folgenschwere Fehlentscheide zu vermeiden: Privatisierungen der Wasserversorgung führen nicht selten zum Verfall der Infrastruktur. Genau dort sparen die privaten Investoren. In Ballungszentren geht teilweise mehr als die Hälfte des eingespeisten Wassers verloren. Mehrere Städte sind daher dabei, ihre Wasserversorgung zu rekommunalisieren. «Aktionäre richten sich nicht darauf aus, dass Leitungen hundert Jahre halten müssen», sagt Stefan Giger von der Service-public-Gewerkschaft VPOD. «Geht es nach der bürgerlichen Sparlogik, kann man Renovationen den Privaten überlassen. Diese unternehmen jedoch nur etwas, wenn es rentiert.»

Allmend statt Eigentum

Ohne Begründung liessen die Bürgerlichen im letzten Moment der Verhandlungen auch die Passage streichen, nach der die «Öffentlichkeit der Gewässer vermutet wird». Der ursprüngliche Gesetzestext sei der parlamentarischen Mehrheit wohl zu kommunistisch gewesen, mutmasst Lais. Die Passage stammt jedoch aus der tausendjährigen alemannischen Rechtstradition, in der Wasser – sowie ehemals auch Weiden und Wälder – zur Allmend gehörten. Dass man in der Schweiz quer durch den Wald spazieren darf, kommt aus jener Ära. In der aktuellen Vorlage findet sich dazu nur noch ein Verweis auf einen Artikel im Zivilgesetzbuch. Dieser besagt, dass die Kantone regeln müssen, was mit «herrenlosen Gütern» wie Gewässern geschieht. Ein reiner Zirkelschluss.

Anlass, das über hundertjährige Wassergesetz des Kantons zu revidieren, gab der Auftrag des Bundes, ökologische Schutzzonen entlang von Ufern einzurichten. 400 Kilometer kanalisierte Bäche und Flüsse müssen in den nächsten achtzig Jahren renaturiert werden, um das Artensterben einzudämmen und Schadstoffe fernzuhalten. Auch diesen Auftrag hat die bürgerliche Mehrheit zugunsten von HauseigentümerInnen und der Landwirtschaft mit «grösstmöglicher Schonung des privaten Eigentums», wie in Paragraf 17 festgehalten wird, umsetzen können. Düngen können BäuerInnen somit weiterhin bis viel zu nahe an die Ufer; Gleiches gilt für Baurechte, die sich der Hauseigentümerverband gesichert hat – zulasten der Fische, der Insekten und der ganzen Nahrungskette.

Unter einer solchen Gesetzeslage stiege auch die Gefahr von Hochwasserschäden, wie das Nein-Komitee schreibt. Trotzdem dürfen Hochwassermassnahmen an Gewässern künftig nur ein «Minimum» an Land und schon gar kein Bauland beanspruchen. Die Kosten von immer wahrscheinlicher werdenden Hochwasserkatastrophen tragen die Versicherungen – und dadurch die Allgemeinheit.

Damit nicht genug. Mit der Vorlage will die bürgerliche Mehrheit gesetzlich verankern, dass der gemäss Bundesverfassung öffentliche Seezugang als Privateigentum gehandelt werden kann. Auch die Verleihgebühren für öffentliche Gewässer hat die rechte Parlamentsseite abgeschafft. Wenn eine Firma Kühlwasser abpumpen will, kann sie sich mit dem neuen Gesetz die Rechte gratis reservieren – Gebühren bezahlt sie erst nach der Nutzung, wobei diese sich neu nicht mehr nach dem wirtschaftlichen Profit bemessen dürfen.

Wir wissen nicht, was uns die nächsten hundert Jahre bringen – voraussichtlich ein verändertes Klima und politische Umbrüche. Umso wichtiger ist es, die Wasserversorgung für die Allgemeinheit zu sichern und ökologisch strengere Massnahmen zu ergreifen, als sie diese Vorlage vorsieht.