Proteste im Sudan: Alltag und Hoffnung im Tränengas

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Der Volksaufstand gegen die sudanesische Regierung wird trotz brutaler Repression immer stärker. Auch wenn sich ein Szenario mit einer Militärregierung wie im Nachbarland Ägypten abzeichnet, glauben viele noch immer an die Kraft der Zivilgesellschaft. Zum Beispiel die Aktivistin und Journalistin Reem Abbas.

Eine unglaubliche Protestwelle rollt über den Sudan. Was vor etwas über einem Monat in der Provinz begann, hat sich längst über das ganze grossflächige Land im Nordosten Afrikas ausgebreitet: Allein am vergangenen Donnerstag soll es gleichzeitig an über fünfzig Orten Demonstrationen gegeben haben. Das bringt den seit beinahe drei Jahrzehnten regierenden Machthaber Umar al-Baschir zunehmend in Bedrängnis. In den Jahren zuvor gelang es ihm immer, Proteste brutal niederzuschlagen.

Ein Freitagnachmittag in Khartum

Anruf bei Reem Abbas in Khartum: An diesem Freitagnachmittag besucht die Frauenrechtsaktivistin und Journalistin gerade ihre Schwiegereltern in einem anderen Quartier der sudanesischen Hauptstadt. «Ich glaube, dass die Proteste diesmal erfolgreich sein werden», sagt die 29-Jährige am Telefon. «Ich habe überall so viel Widerstandskraft gesehen.»

Reem kommt aus einer DissidentInnenfamilie. Die Eltern leben heute im Exil. Sie studierte in Kairo und kam erst 2010 nach Khartum zurück; bis vor einem Jahr nahm sie noch regelmässig an Protesten teil und wurde dabei mehrmals verhaftet. Kürzlich ist sie Mutter geworden und beobachtet nun die Geschehnisse als Journalistin. «Die Menschen scheinen diesmal hartnäckig an ihrer Forderung festzuhalten», sagt sie. «Sie sind überzeugt, dass diese Regierung zu korrupt und unfähig ist, ihre Lebensbedingungen zu verbessern.» Im Hintergrund sind vielstimmige Demosprüche zu hören. «Gerade ziehen viele Jugendliche hier vorbei, die dagegen protestieren, dass an der Universität gestern ein Student getötet wurde. Sie machen die Regierungspartei dafür verantwortlich», sagt Reem. Dann bricht das Gespräch ab. «Polizei ist hier», schreibt Abbas per Chat, dann: «Tränengas», «Leute verhaftet».

Später erzählt sie, was sich am Freitag in der Strasse nahe des Blauen Nils abspielte. «Wir schauten vom Balkon aus zu, einige der Nachbarn schlossen sich den Protesten an. Die Jugendlichen setzten Reifen in Brand. Dann kamen acht Lastwagen voller Sicherheitsbeamter. Diese hatten Schlagstöcke; ich sah auch eine Kalaschnikow. Sie schlugen wahllos zu und verhafteten drei Männer, die im Haus arbeiten. Uns haben sie mit Verhaftung gedroht, wenn wir nicht vom Balkon verschwänden.» Für Reem und viele andere der vierzig Millionen SudanesInnen ist das zum Alltag geworden: plötzlich aufflammende Proteste, Tränengas, zuschlagende und sogar schiessende Polizisten, Verhaftungen. Bis jetzt sind mindestens 40 Menschen getötet, über 400 teils schwer verletzt worden. Mehr als 1000 DemonstrantInnen, Oppositionspolitiker und Journalistinnen landeten im Gefängnis. Überraschend ordnete der Geheimdienstchef am Dienstagabend an, die Häftlinge wieder zu entlassen. Die Order wird laut Reem teilweise umgesetzt, wobei auch am Mittwoch noch Oppositionelle und StudentInnen verhaftet wurden.

Als am 19.  Dezember 2018 alles begann, hatten die Verdreifachung des Brotpreises, die Unerschwinglichkeit von Benzin und ganz allgemein der wirtschaftliche Niedergang die Leute auf die Strasse getrieben. Doch als die Polizei in der nordöstlichen Stadt Atbara mehrere DemonstrantInnen erschoss, ging Stunden später das Hauptquartier der Regierungspartei in Flammen auf. Seither hallt der Ruf nach dem Ende des Regimes durchs ganze Land. Und eine verbotene Dachgewerkschaft, in der unter anderem Ärztinnen und Lehrer vereint sind, sorgt dafür, dass die Protestwelle nicht mehr abebbt.

Baschir sucht Freunde

Derweil reist Präsident Umar al-Baschir viel herum auf der verzweifelten Suche nach Unterstützern: Ende Dezember besuchte er in Syrien Baschar al-Assad, der weiss, wie man einen Volksaufstand und vieles mehr überlebt. Letzte Woche war Baschir in Katar, Anfang dieser Woche in Ägypten, wo mit Abdel Fatah al-Sisi ein General als Gewinner aus der vermeintlichen Revolution hervorging.

Baschir kam 1989 selbst durch einen Militärputsch an die Macht. Die Armee geniesst aber gerade jetzt ein hohes Ansehen in der sudanesischen Bevölkerung – auch unter den DemonstrantInnen. «Die Armee hält sich aus der Niederschlagung der Proteste heraus und forderte die Polizei auch schon auf, nicht auf die Menschen zu schiessen», sagt Trevor Snapp, ein Sudanexperte in Nairobi, der mit vielen lokalen JournalistInnen in Kontakt steht. «Es ist auch neu, dass die Sicherheitskräfte oft maskiert sind. Sie glauben wohl selbst nicht mehr daran, dass Baschir eine Zukunft hat.»

Dieser sagte kürzlich öffentlich, er könne sich vorstellen, einem Militär Platz zu machen. Auch wenn es im Nachbarland Ägypten anders kam: Viele SudanesInnen hoffen darauf, dass eine frische Armeeregierung das Land aus dem wirtschaftlichen Schlamassel befreien und in eine demokratische Zukunft führen würde. Reem Abbas glaubt aber vor allem an die Kraft der Zivilgesellschaft. «Eine Reihe von Gruppen arbeitet seit Jahren an einem Programm für eine Übergangsregierung», sagt sie. «Wenn die Dinge nach Plan laufen, können wir langsam mit dem Aufbau eines demokratischen und freien Landes beginnen.»