Schwangerschaftsabbruch: Realitätsfremdes Sprechverbot

Nr. 6 –

Seit mehr als einem Jahr wächst in Deutschland der Widerstand gegen das geltende Abtreibungsrecht. Die jetzt geplante Gesetzesreform dürfte jedoch allenfalls LebensschützerInnen freuen.

Von Berlin bis ins hessische Giessen, von Hamburg bis in den deutschen Süden: Der 26.  Januar war als grosser Aktionstag gegen den Paragrafen 219a geplant, jenes noch aus der Weimarer Republik stammende und von den Nazis wiedereingeführte Gesetz, das es ÄrztInnen in Deutschland verbietet, für Abtreibungen zu werben.

Dieses Gesetz untersagt – wie sich in von LebensschützerInnen angezettelten Gerichtsverfahren erwiesen hat – auch die Bereitstellung von Informationen über den Schwangerschaftsabbruch, zum Beispiel auf den Websites von ÄrztInnen. Gegen diesen Maulkorbparagrafen formiert sich, ausgelöst durch den öffentlichkeitswirksamen Prozess gegen die Giessener Gynäkologin Kristina Hänel, seit über einem Jahr Widerstand, mit dem Ziel, den Paragrafen 219a ersatzlos zu streichen. Das Bündnis reicht von Parteien über Gewerkschaften und Verbände bis hin zu feministischen Gruppen.

Bitte keine Details!

Dass der Aktionstag, der in mehr als dreissig deutschen Städten stattfand und von 6000 Menschen unterstützt wurde, hinter den Erwartungen der VeranstalterInnen zurückgeblieben ist, mag viele Gründe haben. Doch unabhängig davon tendiert die Mehrheitsstimmung in Deutschland eindeutig dazu, dass Frauen das Recht haben müssen, sich ohne grosse Umwege über Abtreibungen informieren zu können.

Nach dem Scheitern der Verhandlungen zwischen Union, Grünen und FDP im Herbst 2017 hätte es dafür sogar eine parlamentarische Mehrheit gegeben. Doch die dann mit der Union über eine erneute Grosse Koalition verhandelnde SPD scheute den Konflikt, ging auf Tauchstation und verpatzte diese Chance. Seither ringen die beiden Koalitionspartner um einen Kompromiss. Das schon im Dezember bekannt gewordene Eckpunktepapier liess nichts Gutes ahnen, und tatsächlich war der kurz nach dem Aktionstag vorgelegte Referentenentwurf, der nun ins Kabinett gehen soll, eine herbe Enttäuschung für die protestierenden Frauen.

Zwar sollen ÄrztInnen künftig darauf hinweisen dürfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten, aber nicht über die Methoden der Durchführung und andere Details informieren. Dies soll der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und der Bundesärztekammer vorbehalten bleiben. Letztere wird ausserdem beauftragt, Listen über abtreibungswillige GynäkologInnen und Kliniken anzulegen – was vor allem die LebensschützerInnen freuen wird, die vor Arztpraxen aufmarschieren und ÄrztInnen an den Pranger stellen. Pro Familia, die in Schwangerschaftskonflikten berät, befürchtet daher, dass solche Listen kontraproduktiv wirken könnten und sich die ohnehin prekäre Versorgungslage in diesem Bereich in vielen Regionen Deutschlands noch verschlechtern wird.

Aus der Opposition hagelte es Kritik an dem Entwurf, aber auch SPD-Abgeordnete sind sauer. Der Kompromiss, sagte etwa Hilde Mattheis, stelle weder Rechtssicherheit noch Rechtsklarheit her, denn es bliebe im Vagen, was Information und was Werbung ist. Ausserdem sei es realitätsfremd, ÄrztInnen Informationen über Abtreibung zu verbieten. Das Misstrauen, das sich in diesem Entwurf offenbart, kennzeichnet auch die Absicht des Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU), der eine Studie zu den negativen «seelischen Folgen von Abtreibung» in Auftrag geben will, obwohl es bereits viele Untersuchungen mit gegenteiligen Befunden dafür gibt.

Ein Kniefall vor den Rechten

«Wahnsinn» nennt dieses Vorhaben die Europaabgeordnete und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen, Maria Noichl. Eine solche Studie sei nur dazu geeignet, «rechtsextremes Gedankengut, wie ich es täglich im Europäischen Parlament erlebe», zu verbreiten. «Statt die Rechte der Frauen zu stärken, verfällt die Bundesregierung der Argumentation der Abtreibungsgegner», empört sich auch die frauenpolitische Sprecherin der Linken, Cornelia Möhring. Ulle Schauws von den Grünen spricht von «reinem Populismus».

Die Ärztin Kristina Hänel, die wegen des Paragrafen 219a zu einer Geldstrafe verurteilt wurde – ein Urteil, das der Richter in zweiter Instanz übrigens bedauerte aufgrund der bestehenden Gesetzeslage bestätigen zu müssen –, stellte fest, dass ÄrztInnen auch weiterhin strafrechtlich bedroht blieben und ihnen ein «Sprechverbot» auferlegt würde. Sie hat angekündigt, bis vor das Bundesverfassungsgericht gehen zu wollen. Das restriktive deutsche Abtreibungsrecht: Es bleibt ein heisses Eisen.