Staat und Religion: «Müsste nicht auch die CVP ihren Namen ändern?»

Nr. 7 –

Im Kanton Genf hat die Stimmbevölkerung letzten Sonntag Ja zu einem neuen Laizitätsgesetz gesagt, das die GegnerInnen als islamophob und diskriminierend bezeichnen. Doch das Referendumskomitee gibt sich nicht geschlagen.

Pierre Maudet hat wieder einmal gut lachen. «Ein historischer Meilenstein» sei das Abstimmungsresultat, meinte der Genfer FDP-Regierungsrat am vergangenen Sonntag. 55 Prozent der Genfer Stimmenden sagten Ja zum neuen Laizitätsgesetz, das gewissermassen Maudets Kind ist. Ein «Kind», das gleich vier Organisationen mit einem Referendum bekämpften, weil sie es als Gefahr für die Freiheit sehen und für diskriminierend, sexistisch und islamophob halten.

Aus Letzterem wurde auch kein Hehl gemacht. Mauro Poggia, Regierungsrat des rechten Mouvement Citoyens Genevois, sagte am Abstimmungssonntag freimütig in die Kamera von SRF: «Es ist offensichtlich, und man muss es zugeben: Wenn der Islam nicht so präsent wäre in Genf und in Europa, wäre dieses neue Gesetz nie gekommen.»

Ein Gesetz «à la française»

Das neue Genfer Laizitätsgesetz ersetzt jenes von 1907 und soll das Verhältnis zwischen religiösen Gemeinschaften und dem Staat regeln sowie dessen Neutralität festschreiben. Die Debatte entzündete sich vor allem an Artikel 3, der unter anderem festhält, dass gewählte PolitikerInnen und Staatsangestellte im Kontakt mit der Öffentlichkeit keine sichtbaren religiösen Symbole tragen dürfen.

«Das Gesetz gilt zwar für alle, aber nur ein bestimmter Teil der Bevölkerung ist wirklich davon betroffen: jüdische Männer, die eine Kippa, und muslimische Frauen, die ein Kopftuch tragen», sagt Inès El-Shikh vom feministischen Collectif Faites des Vagues, das das Referendum mitlanciert hat. Die öffentliche Debatte im Vorfeld der Abstimmung arbeitete sich denn auch fast ausschliesslich an der «Kopftuchfrage» ab. «In Genf ist man stark an Frankreich orientiert, der dortige Diskurs schwappt auch zu uns über, und es herrscht ein islamophobes Klima», so El-Shikh. So ist in Genf wie in Frankreich das Tragen von Burkinis in öffentlichen Schwimmbädern seit Ende 2017 verboten. Auch das neue Gesetz orientiert sich stark am französischen Laizismus.

Ein Text des Collectif Faites des Vagues zur Abstimmung schlägt jedoch auch den Bogen vom Schweizer Minarettverbot über die «Masseneinwanderungsinitiative» und das Tessiner Burkaverbot zum neuen Genfer Laizitätsgesetz. «Der gemeinsame Nenner ist die Absicht, die muslimische Bevölkerung unsichtbar zu machen. Architektonisch, aber auch in der Öffentlichkeit und in der Gesellschaft generell. Besonders davon betroffen sind muslimische Frauen.» Die Diskussion ist laut El-Shikh dem bekannten Narrativ entlang verlaufen, dass man muslimische Frauen mit einem «Kopftuchverbot» von patriarchalen Strukturen befreie. «Das Gegenteil ist der Fall», so El-Shikh. «Man verweigert ihnen das Recht auf Selbstbestimmung und gefährdet ihre Autonomie.»

Rekurs beim Verfassungsgericht

Direkt vom neuen Gesetz betroffen ist beispielsweise Sabine Tiguemounine. Die grüne Gemeinderätin aus Meyrin ist die einzige Parlamentarierin im Kanton, die ein Kopftuch trägt. Sie arbeitet zudem als Pflegefachfrau in einer kantonalen Einrichtung. Sie ist dieser Tage eine gefragte Interviewpartnerin. Die Anfrage der WOZ kann sie aus zeitlichen Gründen nur schriftlich beantworten. «Das neue Gesetz bedroht die Freiheit des Einzelnen und ist diskriminierend. Es verstösst gegen die Verfassung und die Menschenrechte», schreibt sie.

Tiguemounines Partei hat denn auch einen Rekurs beim Genfer Verfassungsgericht eingereicht. «Als Schweizerin kannst du für ein Amt kandidieren, gewählt werden und zurückgezogen innerhalb von vier Wänden arbeiten. Aber sobald du in die Öffentlichkeit trittst, hast du plötzlich keinen Platz mehr, wenn du ein sichtbares religiöses Symbol trägst? Ein Gewählter repräsentiert nicht den Staat, sondern die Personen, die ihn gewählt haben.» Viele Frauen in ihrem Umfeld hätten nun Angst, ihre Stelle zu verlieren, Jugendliche hätten noch mehr Schwierigkeiten, überhaupt eine zu finden, da jene im öffentlichen Sektor wie im Spital, am Flughafen, bei den Verkehrsbetrieben oder bei der Kantonalbank wegfielen. «Der Staat sollte die Diversität der Bevölkerung verkörpern, die er repräsentiert.» Und wenn man das Gesetz konsequent anwendete, müsste dann nicht auch die CVP ihren Namen ändern?, fragt Sabine Tiguemounine rhetorisch.

Ein wohl gängiger Witz unter den GegnerInnen des Gesetzes. Auch Pierre Vanek vom Ensemble à Gauche stellt diese Frage im Gespräch mit der WOZ. Vanek ist Kantonsrat und Mitglied der Kommission, die Maudets Gesetzesvorschlag bereinigte und schliesslich nur äusserst knapp an den Grossen Rat weitergab.

Maudets Fingerabdruck

Artikel 3 ist nicht der einzige umstrittene des neuen Gesetzes. «Das Gesetz ebnet den Weg für willkürliche Entscheide des Regierungsrats», sagt Vanek. In Genf gibt es keine Landeskirchen. Der Staat unterstützt jedoch die reformierte, die katholische und die christkatholische Kirche bei der Erhebung von Beiträgen. Zukünftig sollen auch andere religiöse Gruppen von dieser Dienstleistung profitieren können. Vanek ist aus zwei Gründen kritisch: «Erstens geht es nicht, dass ein laizistischer Staat Beiträge für private Vereine eintreibt. Zweitens hat der Regierungsrat freie Hand zu entscheiden, welche Organisationen als religiöse Vereinigung betrachtet werden und welche nicht. Das ist Maudets Fingerabdruck.» Dieser zeige sich auch im Gesetzesartikel, laut dem das Tragen von religiösen Symbolen in der allgemeinen Öffentlichkeit vom Regierungsrat temporär verboten werden kann, um öffentlichen Aufruhr zu verhindern. Zudem verbietet das Gesetz religiöse Demonstrationen im öffentlichen Raum. Ein Rekurs des evangelischen Netzwerks gegen diesen Artikel ist ebenfalls beim Verfassungsgericht hängig.

Doch selbst Kritiker Vanek meint, dass das Gesetz eigentlich «zu drei Vierteln gut» sei: «Es hält zum Beispiel fest, dass im Schulunterricht das Thema Religion in all seiner Diversität behandelt werden soll. Oder es erlaubt die unentgeltliche Seelsorge jeglichen spirituellen Hintergrunds in Gefängnissen und Spitälern.»

Von einer Niederlage möchte niemand vom Referendumskomitee sprechen. «Das Gesetz war im Kantonsrat mit 77 Prozent der Stimmen gutgeheissen worden. Nun sprachen sich noch 55 Prozent der Bevölkerung dafür aus», erklärt Inès El-Shikh. Auch Pierre Vanek sagt: «Das ist ein beachtlicher Erfolg, wenn man bedenkt, wie schwierig es zu vermitteln war, dass wir für den Laizismus sind, aber nicht für dieses Gesetz. Die Rechte imaginierte einen Kulturkampf. Wir hatten gegen eine starke islamophobe Argumentation zu kämpfen und haben alle Erwartungen bei weitem übertroffen.»

Vanek hat auch schon die Gründung eines «Vereins für den demokratischen Laizismus» angekündigt, um all die verschiedenen Leute einzubinden, die sich für das Referendum engagiert haben. Auch für Sabine Tiguemounine war diese Abstimmung nur eine erste Etappe einer längeren Kampagne im Kampf für die Religionsfreiheit.