Von oben herab: Ski Heil!

Nr. 7 –

Stefan Gärtner über kalte und heisse Wahrheiten

In der Schweiz weiss man über Deutschland viel mehr als umgekehrt. Zum Beispiel weiss man in der Schweiz, wer Berti Vogts war, während niemand in Deutschland weiss, wer Gian Franco Kasper ist. Gian Franco Kasper aus dem Engadin ist 75, seit über zwanzig Jahren Präsident des internationalen Skiverbands FIS und hat im Interview mit dem «Tages-Anzeiger» nicht nur in Trump-Manier aktuell-lokalen Schneereichtum gegen die Klimaerhitzung in Stellung gebracht («Es gibt keinen Beweis dafür. Wir haben Schnee, zum Teil sehr viel»), sondern auch der simplen Wahrheit zum Ausdruck verholfen, dass Sport und Demokratie, anders als gern behauptet, keine natürliche Freundschaft unterhalten, etwa dann, wenn man das Stimmvolk fragt, ob es Lust auf Olympia hat, und es ist gescheit und hat keine.

«Diktaturen können solche Veranstaltungen mit links durchführen, die müssen nicht das Volk befragen», seufzte da Gian Franco Kasper. «Es geht um den Sport, wo er stattfindet, ist in gewisser Weise sekundär.» Das wollte der «Tagi» nicht glauben und fragte nach dem Menschenrecht, und Kasper stand nicht an, hier aufs Primäre zu verweisen: «Es ist nun einmal so, dass es für uns in Diktaturen einfacher ist. Vom Geschäftlichen her sage ich: Ich will nur noch in Diktaturen gehen, ich will mich nicht mit Umweltschützern herumstreiten», zumal man auch nicht alles glauben müsse, was so in der Zeitung stehe.

1978 fand die Fussballweltmeisterschaft in Argentinien statt, und Berti Vogts sah sich als Kapitän der westdeutschen Mannschaft zu der Feststellung genötigt, Argentinien sei «ein Land, in dem Ordnung herrscht. Ich habe keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen.» Er fand also nicht einmal, dass es sekundär sei, wo der Sport stattfinde, er fand, dass es keine politischen Gefangenen geben könne, wo man sie nicht sehe.

Dem Deutschen Fussball-Bund, das muss zu Vogts’ Ehrenrettung gesagt sein, war die Tatsache, dass Argentinien eine brutale Juntadiktatur war, vollkommen gleichgültig, ja wirklich rundum scheissegal, und ob der damalige Bundestrainer Schön, als Spieler zwischen 1937 und 1941 immerhin sechzehn Mal in der grossdeutschen Auswahl, bloss keinen Ärger wollte oder tatsächlich glaubte, es könne so etwas wie unpolitischen Sport geben («Man sollte versuchen, den Sport so unpolitisch wie möglich zu halten»), sollen Sporthistoriker klären. Vor der Fussball-WM in der gelenkten Demokratie Russland jedenfalls war vom deutschen Manager Oliver Bierhoff die Variation zu hören: «Politische Probleme müssen auf anderer Ebene gelöst werden.»

Trotz dieser Vorbilder will Gian («Francisco») Franco Kasper jetzt alles nicht so gesagt haben: Er sei, beschwerte er sich im Interview mit der deutschen «Sportschau», ungenau zitiert worden; er habe nicht gesagt, es sei «einfacher» in der Diktatur, sondern es sei «leichter» usw., woraufhin Tamedia den genauen Wortlaut zugänglich machte, der sogar noch deutlicher war, weil Kasper «persönlich, vom Geschäft her» die Diktatur bevorzugte.

Aber hat der Mann nicht recht? Ist es nicht geradezu eine Erlösung, wenn ein Funktionär die Heuchelei beendet, der Leistungs- als Fernsehsport sei irgend mehr als «die grösste aller Blödmaschinen» (Metz/Seesslen) und verhalte sich anders als Kapital, das nach dem ergiebigsten Ort strebt? Und fühlt sich, einem anderen Schwindel zum Trotz, das Kapital unter einer Diktatur, die keine des Proletariats ist, nicht pudelwohl? Und arrangiert es sich mit dem vergleichsweise freien Westen nicht deshalb so glänzend, weil der die «Diktatur der Bourgeoisie» (Tucholsky) ist?

Narren und Kinder, heisst es, sagen die Wahrheit. Der alte Kasper von der FIS sagt immerhin die halbe, denn in Hannover hats morgen, Mitte Februar, zwölf Grad plus.

Ski Heil! Und auch sonst.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.