Krise in Spanien: Katalonien ohne Ende

Nr. 8 –

Zigtausende demonstrierten am Wochenende in Barcelona für das Recht auf Selbstbestimmung. Bei den vorgezogenen landesweiten Neuwahlen droht allerdings ein Rechtsruck.

Gefeierte «RebellInnen»: 200 000 Menschen unterstützten am 16. Februar in Barcelona die zwölf KatalanInnen, die in Madrid vor Gericht stehen. Foto: Jordi Boixareu, Alamy

Fast könnte man meinen, Spanien sei in einer endlosen Wahlkampfschlaufe gefangen. Vergangenen Freitag kündigte der sozialdemokratische Ministerpräsident Pedro Sánchez für den 28.  April vorgezogene Parlamentswahlen an. Dazu kommen Ende Mai Kommunal- und Regionalwahlen sowie die Europawahl. Für Regierungspolitik bleibt da wenig Zeit, aber diese wird seit zwei Jahren ohnehin fast ausschliesslich von einem Thema bestimmt: Katalonien.

Sánchez sah anscheinend zu Neuwahlen keine Alternative mehr, nachdem das Parlament seinen Haushalt abgelehnt hatte. Es war ein Budget, das höhere Ausgaben in der Sozialpolitik vorsah und vielen Regionen mehr Geld versprach, auch Katalonien. Dennoch stimmten die katalanischen Parteien ERC und PDeCAT gemeinsam mit dem rechten Partido Popular (PP) und den neoliberal-konservativen Ciudadanos gegen den Haushalt.

Tatsächlich hätte das Timing für die Abstimmung kaum schlechter sein können. Die Abstimmung fand just in der Woche statt, in der in Madrid der Schauprozess gegen zwölf KatalanInnen – zehn PolitikerInnen und zwei Aktivisten – begann. Ihnen wird «Rebellion» vorgeworfen, weil sie am 1.  Oktober 2017 ein – für Spaniens Justiz – illegales Referendum zur Abspaltung ihrer Region vom Zentralstaat abgehalten hatten und zugleich das Regionalparlament die Souveränität Kataloniens deklariert hatte.

Nichts zu verhandeln

Die Anklage wegen Rebellion ist zwar auch nach spanischer Gesetzgebung zweifelhaft (zumal weder Waffengewalt noch Sprengstoff eingesetzt wurden), erlaubte es aber, den Fall von Barcelona nach Madrid an den Obersten Gerichtshof zu verlegen. Dessen RichterInnen und den Generalstaatsanwalt beruft der «Generalrat der Justiz», der wiederum aus Richtern und Anwältinnen besteht, die von den Parteien ernannt werden. Seit einigen Jahren sitzen dort mehrheitlich PP-nahe JuristInnen – und so drohen den Angeklagten, die bereits seit eineinhalb Jahren in Vorbeugehaft sitzen, Strafen von bis zu 25 Jahren Gefängnis.

Ausserdem hatte Sánchez kurz vor der Abstimmung zum Haushalt alle Verhandlungen mit der ERC und dem PDeCAT abgebrochen, deren Ziel auf katalanischer Seite die Durchführung eines neuen Referendums war. Das jedoch lehnt Sánchez ab. Nicht nur wegen der renitenten Gegenwehr von rechts, sondern weil er auch in der eigenen Partei mit dem Rücken zur Wand steht.

Seit Jahren stilisiert die Rechte den katalanischen Unabhängigkeitsprozess zur Schicksalsfrage für das Land hoch und lenkt damit von anderen Problemen ab, allen voran vom Korruptionssumpf. Mit dem Wahlerfolg der rechtsextremen Partei Vox in Andalusien entbrannte zudem ein Wettkampf darum, wer am lautesten nationalistische Positionen vertritt. Und das nicht nur ganz rechts, sondern auch beim sozialdemokratischen PSOE. Dessen konservativer Flügel stösst in dasselbe Horn wie PP und Ciudadanos: In Katalonien gibt es nichts zu verhandeln.

Schon im Herbst 2016 hatte dieser Flügel in einem internen Putsch Sánchez als Generalsekretär abgesetzt, als dieser mit den katalanischen Unabhängigkeitsparteien und der Linkspartei Podemos über eine regierungsfähige Koalition verhandeln wollte. Ein halbes Jahr später wählte ihn die Basis zwar wieder ins Amt, aber glücklich waren die sogenannten «Parteibarone» nie mit ihm, sie bevorzugten die Andalusierin Susana Díaz. Dass diese im Dezember nach fast vierzig Jahren die andalusische Regierung an PP, Ciudadanos und Vox verlor, ist unter anderem diesem internen Kampf geschuldet: Die Wahlbeteiligung war mit 58 Prozent so gering wie fast nie; viele PSOE-WählerInnen, die für Sánchez und gegen Díaz sind, blieben der Urne fern.

Gegenwind von allen Seiten

Sánchez wiederum behauptet, die Katalonienfrage im Dialog lösen zu wollen, weigert sich aber, über das aus katalanischer Sicht Wesentliche zu sprechen. Vor zwei Wochen akzeptierte er die Forderung von ERC und PDeCAT nach einem neutralen «Berichterstatter» der Verhandlungen, brach dann aber die Gespräche plötzlich ab – wegen des Aufschreis von rechts und in der eigenen Partei. Mit Gegenwind von allen Seiten und dem abgelehnten Haushalt ordnete er vorgezogene Neuwahlen an, die nur dem rechten Rand zugutekommen dürften.

Denn laut Umfragen könnte der PSOE die Wahl zwar gewinnen, aber es würde bei weitem nicht für eine regierungsfähige Mehrheit reichen. Podemos ist derweil zerstritten und verliert stetig an Stimmen. Dasselbe gilt für die Vereinigte Linke (IU), deren Basis die 2016 mit Podemos eingegangene Wahlkoalition nicht akzeptieren will.

Den katalanischen Unabhängigkeitsparteien wiederum scheint die Abspaltung von Spanien wichtiger als alles andere. Unterstützt werden sie dabei von einem guten Teil der Bevölkerung: Letzten Samstag demonstrierten wieder rund 200 000 KatalanInnen in Barcelona gegen den Prozess in Madrid und für das Recht auf Selbstbestimmung. Es dürfte aber zweifelhaft sein, ob die Protestierenden unter einer rechten Regierung in Madrid eher ihre politischen Ziele erreichen werden.