Pop: Die Tinder-Therapie

Nr. 8 –

Es kann schnell passieren, dass man diese Frau unterschätzt. Nicht technisch natürlich, ihr Stimmumfang ist gewaltig, und auf Knopfdruck imitiert sie verblüffend genau den Gesang von Shakira, Britney Spears oder Céline Dion. Schwer tut Ariana Grande sich eher mit dem Charakter. Ihr fehlen die Skandale von Miley Cyrus, der nekrophile Charme von Lana Del Rey oder die aggressive Erotik von Rhianna. Doch wie ihr aktuelles Album «Thank U, Next» zeigt, braucht sie den Blick in den Abgrund gar nicht. Ihr Pop ist ein Wohlfühlprogramm – und trotzdem nicht belanglos.

Trouble gab es in Grandes Leben in letzter Zeit sowieso genug. 2017 tötete ein Selbstmordattentäter nach einem ihrer Konzerte in Manchester 22 Menschen, darunter viele Kinder. Letzten Herbst starb ihr Exfreund Mac Miller an einer Überdosis, wenige Monate nach ihrer Trennung. Das letztjährige Album «Sweetener» war ein musikalischer Entwicklungsschub, verlieh ihrem bis dahin eher generischen R ’n’ B einige experimentelle Kanten. «Thank U, Next» ist musikalisch geradliniger, die Songs sogar noch stärker. Zum trotzigen Hedonismus gesellt sich jetzt ein neckischer Humor.

Meint sie das ernst: Shopping und Champagner gegen den «bad shit», wie es in «7 Rings» heisst? Und wie steht es mit «Thank U, Next», wo Grande ihren ehemaligen Boyfriends für die wertvollen Lektionen dankt (von «love» bis «pain») und die Titelzeile auf «fuckin’ grateful for my ex» reimt? Typen daten wolle sie 2019 keine mehr, sagt sie, und besingt die Tinder-Therapie: In «Make Up» vertreibt Gelegenheitssex den Kummer und im grossartigen Albumfinale «Break Up with Your Girlfriend, I’m Bored» irgendwie auch. Dieser Song zeigt zudem, wie minimalistisch dieses Album produziert ist. Statt wie einst spektakuläre Saltos zu schlagen, schlängelt sich Grandes Stimme entspannt zwischen wohligen Bässen und scharfen Höhen hindurch. Ein paar Echos und Chöre, viel mehr gibt es hier nicht. Als würde man ein gutes Steak nur mit Salz und Pfeffer würzen.

Ariana Grande: Thank U, Next. Republic. 2019