Von oben herab: Auf der Höhe

Nr. 11 –

Stefan Gärtner über die Armee und die Generation Fitnessarmband

Dass ich nur sehr ungefähr weiss, was ein Hashtag ist, hat meinen Alltag bislang nicht beeinträchtigt; dass ich bei Facebook nie war, auf Instagram nichts poste und auf Tinder nicht angewiesen bin, hat mein Leben sogar verbessert, und dass ich aufs dumme Whatsapp nicht verzichten kann, liegt erstens an den allzeit bedeutsamen Nachrichten aus der Kindergartengruppe und zweitens an meinem Natel, das zu alt ist für die von der WOZ-«Anleitung zur digitalen Selbstverteidigung» rekommandierten Alternativ-Messenger. Geduld und Nervenstärke lehren mich mein Tablet aus dem Jahr 2010, dessen Ladezeiten nur von seiner Aufladezeit übertroffen werden, sowie mein Laptop, dessen Lieblingsmeldung die Meldung «Keine Rückmeldung» ist, vorbildliche Entschleuniger beide.

Auch vom zeitgenössisch anzustrebenden «Smart Home» bin ich ziemlich genau ein Lichtjahr weit entfernt: Die Heizung drehe ich von Hand auf, Rollläden, die sich rechnerunterstützt schliessen lassen könnten, habe ich erst gar nicht, und Alexa bin ich zwar dankbar, aber bloss dafür, dass sich an der Wertschätzung, die sie im Milieu geniesst, der Mentalstand des ach so kritischen, rundum idiotisierten Konsumbürgertums ablesen lässt.

Alles also supergut, wie die Leute von heute sagen; wenn ich träger Minimaldigitalist nicht plötzlich vor den Trümmern meiner Zukunft stünde. «Diese App ist nicht mit deinem Gerät kompatibel», informiert mich der Google Play Store, dem ich die «Sport-App» des Schweizer Verteidigungsdepartements «ready – fit for #teamarmee» entnehmen will, dieweil ich «bereit für die Aushebung» bin und darum wissen muss, ob ich mich «körperlich und mental auf der Höhe» befinde.

Es ist nämlich so, dass die Schweizer Armee, wie auch aus deutschen Medien zu erfahren war, Schwierigkeiten hat, ihre Kompanien vollzukriegen, und deshalb die Generation Fitnessarmband «abzuholen» gedenkt per «Wunschfunktion», vermöge deren es möglich ist, «sich individuell auf eine militärische Funktion vorzubereiten». Erst wird, wie ja mittlerweile immer, ein Profil erstellt, dann folgt ein «langfristiges Trainingsprogramm», damit das «Fitnesslevel» stimmt, wenn man denn unbedingt Fallschirmjägerin oder Küchenbulle werden will.

Nein, da ist alles drin: der Wunsch, das Profil, das Training, das Level, und dass die Militarisierung und Uniformierung des Alltags keine Einbahnstrasse sind, sondern der leistungs- und dienstleistungsgesellschaftliche Alltag aus Alexa, Bringdienst und Fitness-App ins Militär zurückwirkt, ist doch eine schöne Sache. Wie die VBS-App, die sich zuvörderst an Vierzehn- bis Achtzehnjährige richtet, ja auch «Informationen zu Motivation, Ernährung und gesundem Lebensstil» anbietet und von der sich die ältere Couchkartoffel, die statt der Militärkarriere bloss einen Waschbrettbauch anstrebt, gleichfalls ihr individuelles Training ausrechnen und vorgeben lassen kann. Denn darin besteht, seit bereits Karl Krausens Zeiten («Wo alle Individualität haben, und alle dieselbe»), die Individualität, dass sie nicht mehr bedeutet, als dass man sich ganz individuell konform machen lassen kann. Dabei helfen optimale Trainingspläne und unverwechselbare Tätowierungen, und als Prototyp unserer späten Moderne muss der individuell bebilderte Fussballer gelten (falls die Frauen hier nicht schon aufgeholt und gleichgezogen haben), dessen kraftvolle, konsumstarke, jederzeit abhängige Individualität («Das ist eine Entscheidung des Trainers beziehungsweise der sportlichen Führung», M. Neuer, FC Bayern München) von der Art ist, wie sie in unseren modernen Bürgerarmeen jetzt auch offiziell ihre Heimat haben soll.

Nur modern muss man sein und abholbereit, digital- und fitnesswillig. Und nämlich auf der Höhe jener Zeit, von der nur die Unmodernen finden, dass sie die Höhe ist.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.