Kommentar zur Ausschaffung von «Terroristen» in Folterstaaten: Barbarische Schweiz

Nr. 12 –

Sollen «Terroristen» in Länder ausgeschafft werden, in denen ihnen Folter droht? Ja, sagt das Parlament, obwohl dies Völkerrecht verletzt.

Es ist Zeit für Neuwahlen. Das war noch nie so deutlich wie in dieser Frühlingssession. Der Nationalrat betrieb Sozialabbau auf Kosten von Kindern. Der Ständerat schmetterte die Konzernverantwortungsinitiative sowie eine stärkere Kontrolle von Waffenexporten ab.

Der Gipfel der Schamlosigkeiten folgte dann aber am Dienstag: «Terroristen» sollen künftig auch dann ausgeschafft werden, wenn ihnen im Herkunftsstaat Folter droht. So hat es nach dem Nationalrat auch der Ständerat entschieden. Die Forderung des CVP-Nationalrats Fabio Regazzi verstösst gegen zwingendes Völkerrecht und die Bundesverfassung. Dass sich die Motion mit diesem Argument nicht erledigt hat, ist ein Armutszeugnis für die rechte Mehrheit in Bern.

Der Rechtsstaat gründet auf einem zentralen Grundsatz: Er liefert StraftäterInnen nicht dem Rachegedanken aus. Dieses humanitäre Grundprinzip erhebt die moderne Justiz über die Barbarei und unterscheidet den Schweizer Rechtsstaat von der Willkürjustiz diktatorischer Regimes. An diesem Prinzip darf nicht gekratzt werden.

Genau das aber tut die rechtsbürgerliche Mehrheit im Bundeshaus, wenn sie sich zu Folterknechten macht: Denn ob die Schweiz selber foltert oder Straftäter an Folterregimes überstellt, macht keinen Unterschied. Wie gut ein Rechtsstaat funktioniert, lässt sich in friedlichen Zeiten schlechter messen als in der schwierigen Gegenwart: Die terroristische Bedrohung stellt die westlichen Demokratien vor grosse Herausforderungen, die Bevölkerung ruft nach Sicherheit.

FDP-Ständerat Andrea Caroni traf mit seinem Votum für einmal ins Schwarze: «Wir foltern nicht, und wir lassen nicht foltern», sagte er in der Ratsdebatte. Der Ausserrhoder rief dazu auf, die höchsten Werte nicht im blinden Eifer gegen die blinden Eiferer zu zerstören – «damit wir nicht eines Tages werden wie sie».

Die Mehrheit seiner FDP-Fraktion aber kippte während der Ständeratsdebatte auf die Seite der MotionsbefürworterInnen. Dasselbe gilt für die sogenannten ChristdemokratInnen der CVP. Dass der Vorstoss aus ihren Reihen kommt, ist kein Zufall: Fabio Regazzi gehört zu jenem CVP-Flügel, der immer wieder mit Antiislamismus Stimmung macht. Und dass Regazzis Vorstoss muslimfeindlich ist, steht ausser Frage: Schliesslich grenzt seine Motion TerroristInnen klar ein auf «Dschihadistinnen und Dschihadisten, die für Taten in Zusammenhang mit dem IS verurteilt wurden».

Wären mit dem Vorstoss extremistische KatholikInnen gemeint, wäre dem Ständerat wohl aufgefallen, wie grundfalsch er ist. So aber führte eine dumpfe Mischung aus antimuslimischen Ressentiments, Ignoranz und Wahlkampfeifer zur Annahme des Vorstosses. Ein Grossteil der BefürworterInnen wollte wohl in erster Linie Handlungsfähigkeit demonstrieren: Die Medien berichteten in jüngster Zeit immer wieder von einer «Schaffhauser IS-Zelle», deren Mitglieder wegen drohender Todesstrafe nicht ausgeliefert werden.

Ein Teil des Ständerats scheint aber schlicht nicht begriffen zu haben, worum es geht. So wurde argumentiert, man wolle dem Bundesrat etwas mehr Spielraum bei Abschiebungen in unsichere Herkunftsländer verschaffen. Die Umsetzung des Vorstosses müsse freilich unter Einhaltung von völkerrechtlichen Grundsätzen passieren. Das ist ein Witz: Regazzis Vorstoss verlangt ganz explizit, DschihadistInnen auch in Folterstaaten auszuliefern, was völkerrechtlich sauber nicht möglich ist. Die Motion verkommt damit im besten Fall zu heisser Luft.

Doch der politische Übereifer hat in Sachen Terrorismusbekämpfung System. So will das Parlament noch dieses Jahr ein Paket aus präventiven und strafrechtlichen Massnahmen zur Terrorbekämpfung beraten. Die FDP drängt darauf, dass jegliche Form der Terrorunterstützung mit einer Mindeststrafe von einem Jahr geahndet wird. Auch diese Forderung geht am Ziel vorbei. Denn erstens ist die Definition von Terrorismus äusserst schwammig. Und zweitens gibt es im Schweizer Strafrecht Bestimmungen für alle Verbrechen, die man als DschihadanhängerIn oder als Mitglied einer anderen terroristischen Organisation begehen könnte. Schafft man im Strafgesetz solche speziellen Kategorien, bestraft man nicht mehr die Schwere der einzelnen Tat, sondern die Gesinnung der TäterInnen.