Wahlen in Zürich: Der Empirist und das Klima

Nr. 12 –

Als Aussenseiter gestartet, hat der Grünen-Politiker Martin Neukom plötzlich realistische Chancen, Zürcher Regierungsrat zu werden. Der 32-Jährige aus Winterthur setzt auf eine betont nüchterne Kampagne.

Sein Lieblingswort? «Konkret.» Regierungsratskandidat Martin Neukom interessiert sich in erster Linie für «das, was funktioniert».

Die politische Konjunktur spielt Martin Neukom zweifellos in die Hände. Seit Wochen bestimmt die vor allem von jungen Leuten getragene Klimabewegung in der Schweiz wie auch international die öffentliche Diskussion, was für den Grünen-Politiker, der bei den Wahlen am Sonntag für einen Sitz im Zürcher Regierungsrat kandidiert, ein Glücksfall ist.

Wenn anfangs von Neukoms Kampagne die Rede war, hiess es, der Winterthurer sei «weithin unbekannt» und habe deswegen nur Aussenseiterchancen. Nun aber ist er in Umfragen Thomas Vogel von der FDP dicht auf den Fersen – und ein Triumph Neukoms plötzlich nicht mehr ausgeschlossen.

Kein Wunder also, dass Vogel kürzlich gegenüber der NZZ meinte, dass die Klimafrage die Debatte über Gebühr dominiere – um dann noch nachzuschieben, dass sein Konkurrent «am äussersten linken Rand» politisiere: ein wenig subtiler Versuch, den WählerInnen ein bisschen Angst vor Neukom zu machen. Dass diese Strategie aufgeht, ist eher zu bezweifeln: Wer sich mit Martin Neukom unterhält, bekommt rasch den Eindruck, es hier mit jemand überaus Beflissenem zu tun zu haben – einem patenten jungen Mann, dem man am liebsten sofort die eigene Altersvorsorge überantworten würde. Neukom ist Pragmatiker durch und durch, einer, der stets nach dem hier und jetzt Realisierbaren fragt. Nicht von ungefähr ist das Wörtchen «konkret» der Lieblingsbegriff des Grünen.

Punkten mit Glaubwürdigkeit

Zum Interview in einer Bar nahe der Zentralbibliothek – das von Neukom favorisierte Café Zähringer, ein selbstverwalteter Betrieb, ist geschlossen – erscheint der Politiker strahlend. «Natürlich ist das super: Ich bin als Aussenseiter gestartet und habe jetzt ernsthafte Siegeschancen. Das gibt Energie für den Schlussspurt», sagt der 32-Jährige, der zum Broterwerb als Ingenieur arbeitet und dabei zur Solarenergie forscht. Dass er von der Klimabewegung profitiert, bestreitet der Grüne gar nicht erst. Aber er betont auch: «Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich eine Klimakampagne mache. Dadurch bin ich jetzt, da plötzlich alle vom Thema reden, glaubwürdiger.»

Immer wieder verweist Neukom auf seinen «Klimaplan» – eine relativ detaillierte Agenda, die er für den Fall seiner Wahl zum Regierungsrat vorgestellt hat. Da wäre etwa der Punkt Gebäudesanierung: Künftig sollen Neubauten prinzipiell emissionsfrei sein, und auch die Sanierungsrate bestehender Gebäude müsse deutlich gesteigert werden, heisst es im Papier. Dafür will Neukom einen nach und nach sinkenden CO2-Grenzwert für bestehende Gebäude im Kanton Zürich einführen; bis 2050 sollen diese komplett fossilfrei sein. Zudem soll eine clevere Raumplanung wie auch eine Attraktivitätssteigerung des Velos – durch Ausbau entsprechender Wege – das Auto zurückdrängen.

Im Vergleich zur Parole «System change, not climate change!», die die jungen AktivistInnen auf der Strasse rufen, wirken diese Massnahmen spröde. Das möge schon sein, erwidert Neukom. «Aber ich schaue eben danach, was sich umsetzen lässt. ‹System change› ist mir zu abstrakt, auch wenn ich die Forderung grundsätzlich unterschreiben würde», sagt er. «Die Frage ist ja, was wir mit ‹System› meinen und wie wir es genau verändern wollen.» Generell aber halte er es für richtig, das grosse Ganze in den Blick zu nehmen, anstatt beim Einzelnen anzusetzen.

Gewiss, auch ihn ärgere es, wenn in seinem Umfeld jemand munter einen Flug nach dem anderen buche: «Es gibt allerdings im politischen Diskurs diese Tendenz zur Individualisierung – und das halte ich für kontraproduktiv. Interessanterweise argumentieren derzeit gerade die Rechten so: Natalie Rickli meinte kürzlich, dass halt jeder selbst schauen müsse, was er gegen den Klimawandel tun kann.» Ein Problem dieser Dimension jedoch dadurch lösen zu wollen, dass der Einzelne ein bisschen verzichte, sei absurd, sagt Neukom. Viel entscheidender sei eine adäquate Politik; das Lieblingsbeispiel des Grünen ist dabei die Subventionierungspolitik, mit der die deutsche Regierung der Solarenergie zum Durchbruch verholfen habe. Das klingt auch nicht besonders elektrisierend; Neukom findet dennoch, man könne davon in der Schweiz lernen.

Moral taugt nichts

Moralische Appelle hält er dagegen für fehl am Platz. Er sei «Empirist», sagt Neukom: «Mich interessiert das, was funktioniert. Wenn die Empirie, also die Erfahrung, zeigen würde, dass der erhobene Zeigefinger zum gewünschten Verhalten führt, würde ich auch sagen: Gut, machen wir das. Aber ich habe eher den Eindruck, das Gegenteil ist der Fall.» Wahrscheinlich meint das Neukom tatsächlich genau so, wie er es sagt. Allerdings dürfte ihm diese Position im Rennen um Stimmen aus dem Bürgertum auch nicht schaden – immerhin hat die Rechte diesem über Jahre eingebläut, dass man sich vor grünen MoralpredigerInnen hüten müsse.

«Ja, womöglich ist das auch ein bisschen Strategie», sagt er. «Aber entscheidend ist doch wirklich nicht, ob die Leute ein gutes oder schlechtes Gewissen haben, sondern dass wir das Problem lösen.» Dem Klima, sagt Martin Neukom, seien unsere Gewissensbisse jedenfalls ganz sicher gleichgültig.