Swiss Connection der AfD: «Mit krimineller Energie»

Nr. 15 –

Der Immobilientycoon Henning Conle aus Zürich soll hinter Spenden an die AfD stehen. Ulrich Müller von der NGO Lobbycontrol erklärt die Verbindung des Grossbürgertums zum Rechtspopulismus und die Notwendigkeit von Transparenz in der Parteienfinanzierung – auch in der Schweiz.

«Wenn man an der Oberfläche kratzt, kommt immer die Goal AG hervor»: Der gut überwachte Sitz der SVP-Werbeagentur im zürcherischen Andelfingen.

WOZ: Ulrich Müller, letzte Woche machten der «Tages-Anzeiger» und andere Medien den Spender für AfD-Fraktionschefin Alice Weidel publik. Hat es Sie überrascht, dass es sich um einen deutschen Milliardär handelt, der in Zürich wohnt?
Ulrich Müller: Nein, überrascht hat es mich nicht. Nur der Name Henning Conle als Parteispender war mir neu. Wir sind schon länger davon ausgegangen, dass es Oberschichtennetzwerke sind, die die AfD verdeckt unterstützen.

Wenn Sie von Netzwerken sprechen: Gehen Sie davon aus, dass Conle nicht der einzige verdeckte Geldgeber der AfD ist?
Wir wissen jetzt mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass Conle der Wahlkampfspender für Weidel war. Auch im Fall der Unterstützung des Parteivorsitzenden Jörg Meuthen gibt es Verbindungen zu Conle. Ungeklärt ist die Finanzierung des Wahlwerbevereins «Recht und Freiheit», der für die AfD Werbung in der Höhe von mehr als zehn Millionen schaltete. Da ist schon anzunehmen, dass es mehrere Geldgeber geben könnte. Bei Ihnen in der WOZ tauchte ja auch schon eine Spur von der Vereinszeitung «Deutschlandkurier» zu Baron August von Finck junior auf, einem weiteren deutschen Milliardär mit Sitz in der Schweiz.

Ulrich Müller, Lobbycontrol

Was sagt es über die AfD aus, dass sie vom Grossbürgertum unterstützt wird?
Die Partei vereint eine unterschiedliche Klientel, und offensichtlich gibt es sehr reiche Leute, die ein Interesse daran haben, sie zu unterstützen. Man sieht ja auch, dass die AfD in steuerpolitischen Fragen – bei der Forderung nach Abschaffung der Erbschafts- oder der Grundsteuer – einen sehr vermögensfreundlichen Kurs fährt.

Sie vertritt nicht nur die sogenannten kleinen Leute, wie sie gerne vorgibt?
Nein, die Gründung der AfD durch den Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke erfolgte aus der Oberschicht. Und es zeigt sich, dass dieser Teil immer noch in der Partei relevant ist: Die Wirtschaftsliberalen haben wichtige Positionen in der Partei inne, und mit Meuthen und Weidel wurden gerade solche Leute verdeckt unterstützt.

Bemerkenswert ist, dass der mutmassliche Spender transnational agiert: Er besitzt Immobilien in London und lebt in der Schweiz. Gleichzeitig unterstützt er in Deutschland eine nationalistische Partei. Welche Motive verfolgt einer wie Conle?
Diese müssen sich erst noch erhellen, aber es sind vermutlich nicht nur nationalistische, sondern auch wirtschaftspolitische. Schon bei Donald Trump hat man gesehen, dass er von vermögenden Rechten unterstützt wurde, weil Teile des Kapitals mit ihm Deregulierungen oder einen Rückbau des Staates erreichen wollen. Marktradikale oder libertäre Ansätze allein sind nicht mobilisierungsfähig genug, um Wahlerfolge zu erzielen. Erst das Konglomerat von neoliberalen und nationalistischen, populistischen Tönen bringt den Erfolg.

Gehen wir etwas näher auf das Konstrukt der Spenden ein. Dabei scheint es sich um ein eigentliches System zu handeln, bei dem immer wieder die Werbeagentur Goal AG von SVP-Werber Alexander Segert in Andelfingen auftaucht. Welche Funktion hat sie?
Insgesamt hat man den Eindruck, dass die einzelnen Spenden sehr eng zusammenhängen und die Goal AG als Koordinatorin der Spenden auftritt. Sie hat für Meuthen Wahlkampagnen organisiert und gefälschte Listen mit angeblichen Spendern an die AfD geschickt. Diese hat die AfD ungeprüft an die Bundestagsverwaltung weitergereicht. Das Gleiche hat die Agentur für Guido Reil getan, der ebenfalls im Vorstand der Partei sitzt. Weil sich die gefälschten Spenderlisten mit jener für Alice Weidel überschneiden, könnte die Goal AG auch in ihrem Fall mitgewirkt haben. Zudem ist bekannt, dass sie der zentrale Akteur hinter dem Werbeverein «Recht und Freiheit» ist. Wenn man an der Oberfläche kratzt, kommt immer die Goal AG hervor. Der Verein scheint eher eine Fassade zu sein als ein eigenständiger Akteur.

Warum dieses aufwendige Versteckspiel?
Es gibt offensichtlich ein sehr grosses Interesse daran, die wahren Geldgeber zu vertuschen. Zum einen aufseiten der Geldgeber oder des Geldgebers: Sie können hinter den Kulissen Einfluss auf Parteien und Wahlen nehmen und müssen das nicht transparent machen. Es ist hochproblematisch, dass mit krimineller Energie daran gearbeitet wurde, die Bundestagsverwaltung und die Öffentlichkeit zu täuschen. Auf der anderen Seite hat auch die AfD ein Interesse daran zu verbergen, dass sie von Superreichen unterstützt wird: Sie hängt sich ja gerne das Aussenseitermäntelchen um.

Die AfD streitet bis heute ab, dass es sich bei der Unterstützung um Parteispenden handelt, die in Deutschland ab 10 000 Euro namentlich deklariert werden müssen.
Nach Parteienrecht handelt es sich bei Meuthen, Reil und Weidel klar um Parteispenden. Das Verhalten der AfD ist der Skandal im Skandal. In der Partei findet bislang keine Aufklärung statt, man hat sich vielmehr willfährig an den Vertuschungsmanövern beteiligt. Meuthen wurde noch zum Spitzenkandidaten für die Europawahl nominiert, als längst ein Prüfverfahren gegen ihn lief. Der Druck auf Meuthen und Weidel nimmt aber zu. Ich glaube, der Punkt wird kommen, an dem die AfD feststellt, dass sie ihre Strategie des Wegduckens in eine Sackgasse geführt hat.

Die Partei erhielt die verdeckten Spenden ab 2016 – in einer Phase, als sie noch kein Anrecht auf staatliche Zuwendungen hatte. Kann man sagen, dass es sich bei den Spenden um eine zentrale Anschubfinanzierung der AfD handelte?
Sicher war es für die AfD wichtig, dieses Geld zu bekommen. Die Spenden haben die Wahlerfolge der Partei begünstigt, auch wenn man den Anteil daran nicht genau beziffern kann. Als die Partei so weit etabliert war, bekam sie über die staatliche Parteienfinanzierung Ressourcen, um weiterzuarbeiten.

Das Parteienfinanzierungsgesetz fördert in Deutschland die Transparenz über die Spenden mit. Was bringt diese in politischen Debatten?
Die Bürgerinnen und Bürger wissen im Idealfall vor einer Wahl, wer bestimmte Parteien mit grossen Spenden unterstützt. Und sie können danach bei politischen Entscheidungen hinterfragen, ob diese ihren Geldgebern gegenüber gefällig waren. Die Transparenz hat auch eine Schutzfunktion. Eine Partei überlegt es sich genauer, sich einem Spender gegenüber erkenntlich zu zeigen, wenn sie offenlegen muss, dass sie von ihm Geld bekommt.

Politik ist nun einmal Interessenvertretung. Wen überrascht es, dass Parteien Entscheide zugunsten ihrer Unterstützer fällen?
Die Interessenvertretung sollte aber nicht vom Geld abhängen, das jemand in die Politik einspeist. Es ist nicht meine Vorstellung von Politik, dass mit Geld bestimmt werden kann, dass das eigene Anliegen mehr zählt als das von anderen. Schliesslich lautet ein demokratisches Grundprinzip, dass eine Person eine Stimme hat. Sinnvoll ist, dass kleinere Spenden einer Privatperson nicht öffentlich sind, damit man sich nicht gegenüber dem Arbeitgeber oder im persönlichen Umfeld rechtfertigen muss. Wenn aber Grossspenden ohne Transparenz und Kontrolle in die Politik hineinfliessen, kann es die Demokratie aushebeln.

Die Schweiz kennt gar kein Gesetz zur Parteienfinanzierung.
Das ist aus deutscher Sicht erstaunlich, so wie es vermutlich aus Schweizer Sicht erstaunlich sein kann, dass es bei uns auf Bundesebene keine direktdemokratischen Mittel gibt. Ich finde es positiv, dass es in der Schweiz nun eine Initiative gibt, die Transparenz in die Parteienfinanzierung bringen will. Das wäre ein tolles Signal, wenn die Schweiz sagen würde: Wir haben beides, direkte Demokratie und Transparenz!

Der Politikwissenschaftler Ulrich Müller (47) hat 2005 Lobbycontrol mitbegründet. Die NGO mit Sitz in Berlin und Köln bietet Aufklärung über Machtstrukturen und Einflussstrategien in Deutschland und der EU. Auf der Website lobbycontrol.de findet sich eine ausführliche Dokumentation der AfD-Spendenaffäre.

Diagramm-Grafik: So wurden die AfD-Spenden getarnt
So wurden die AfD-Spenden getarnt Grafik: WOZ

So wurden die AfD-Spenden getarnt

1,25  Milliarden Franken: So hoch soll das Vermögen des Immobilientycoons Henning Conle sein. Gemäss «Tages-Anzeiger», «Süddeutscher Zeitung», WDR und NDR soll Conle die AfD-Fraktionschefin Alice Weidel mit 130 000 Euro unterstützt haben. Die Spende lief über die Zürcher Pharmafirma PWS. Dem Bundestag, der die Finanzen der Parteien prüft, gab die PWS eine Liste mit vierzehn angeblichen SpenderInnen ab: Weil die Einzelspenden unter 10 000 Euro lagen, hätten nach deutschem Parteienrecht ihre Namen nicht öffentlich gemacht werden müssen. Sie entpuppten sich aber als Strohmänner und -frauen. Zu Conle als Spender führte Strohmann P. M. Er arbeitet in einer von dessen Firmen.

Ähnlich waren die Spenden an die AfD-Politiker Jörg Meuthen und Guido Reil konstruiert. Passend zur Höhe der Spenden waren zehn beziehungsweise sechs Strohleute vorgeschoben. Absender der gefälschten Listen war die Werbeagentur Goal AG. Auch hier findet sich der Name P. M., der zu Conle führen könnte. Die grösste Spende ist jene an den Werbeverein «Recht und Freiheit». Er wird von der Goal AG koordiniert. An der Gründung beteiligte sich H. S., der sich auch auf der Spendenliste für Meuthen findet. So hängen alle Spenden zusammen.