#digi: Twitter als Hilfssheriff

Nr. 21 –

Seit einigen Jahren stehen soziale Netzwerke und Nachrichtendienste wie Twitter, Facebook oder Whatsapp im Vorfeld von Wahlen unter Druck. Der Vorwurf lautet, die Firmen würden zu wenig gegen Falschinformationen und Täuschung während Wahlkampagnen unternehmen. Einen Monat vor der Europawahl vom 23. bis 26. Mai veröffentlichte Twitter deshalb eine «Richtlinie zur Integrität von Wahlen». Diese legt fest, dass der Dienst nicht verwendet werden dürfe, um «Wahlen zu manipulieren oder zu beeinträchtigen». Damit reagiert Twitter auch auf den Anfang des Jahres von der EU-Kommission veröffentlichten «Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation». Dieser verpflichtet Plattformen, Wahlmanipulation aktiv zu bekämpfen.

In den letzten Tagen griff Twitter nun rigoros durch und sperrte mehrere Konten. Auffällig ist, dass dabei viele satirische oder AfD-kritische Beiträge beanstandet wurden und vor allem Menschen aus dem linken Spektrum betroffen sind – etwa die SPD-Politikerin Sawsan Chebli, der Jurist Thomas Stadler oder der Account der «Jüdischen Allgemeinen Wochenzeitung». Schuld sind für einmal keine fehlprogrammierten Algorithmen, sondern Menschen. Diese können neu Beiträge melden, die im Zusammenhang mit Wahlen Falschinformationen verbreiten würden. Anschliessend prüfen ModeratorInnen, ob die Beiträge die Kriterien für Manipulation erfüllen oder nicht.

Das ist in zweierlei Hinsicht problematisch. Erstens betreibt Twitter offenbar starkes «Overblocking» – es wird mehr gesperrt, als tatsächlich angebracht wäre. So handelt es sich bei vielen bemängelten Beiträgen offensichtlich nicht um Manipulationsversuche – oder sogar erkennbar um Satire. Die Meldefunktion lädt damit dazu ein, politisch anders Gesinnte mundtot zu machen.

Zweitens fungieren die privaten sozialen Netzwerke seit Jahren als öffentliche Kommunikationsplattformen. Mit ihren Moderationsregeln ziehen also Konzerne die Grenzen der Meinungsfreiheit – und hebeln demokratische Mechanismen aus. Ironisch ist, dass Twitter argumentiert, Wahlmanipulation stehe im Widerspruch zu den Grundrechten und der Meinungsfreiheit. Das stimmt – doch dazu gehört auch, dass der Rechtsstaat entscheiden muss, welche Äusserungen erlaubt sein sollen und welche nicht.