Auf allen Kanälen: Als man «gestampfte Juden» sagte

Nr. 23 –

Wie die vor vierzig Jahren ausgestrahlte TV-Serie «Holocaust» die Diskussion über die dunkle Vergangenheit in der Schweiz anheizte.

So wie in der TV-Serie «Holocaust – die Geschichte der Familie Weiss» war das düsterste Kapitel des Zweiten Weltkriegs hierzulande noch nie erzählt worden: Der amerikanische Vierteiler im Stil einer Seifenoper wurde 1979 erstmals im Schweizer Fernsehen ausgestrahlt. Meryl Streep spielt eine Deutsche, die mit einem Juden verheiratet ist und ins KZ Buchenwald deportiert wird. Doch Streeps Figur überlebt.

Nicht allein in Deutschland, auch in der Schweiz wurde mit der Ausstrahlung von «Holocaust» ein neues Kapitel in Sachen «Vergangenheitsbewältigung» aufgeschlagen. Wie heikel das war, weiss Max Peter Ammann, der damals die Abteilung Dramatik beim Schweizer Fernsehen leitete. Sein Dilemma: Sollte man eine Serie ausstrahlen, die zwar Quote lieferte, aber die Qualitätsstandards nicht erfüllte?

Die Serie hat eine Grundregel ausgehebelt, die für Darstellungen des Holocaust bis dahin gegolten hatte: In der Wahl der ästhetischen Mittel sollte sich die moralische Haltung zeigen. Demnach schickte es sich nicht, den Holocaust mit denselben Mitteln zu erzählen, mit denen sich ebenso gut ein Western oder eine Telenovela machen liessen.

Nach dem enormen Publikumserfolg in Deutschland geriet das Schweizer Fernsehen unter Zugzwang. Ammann berichtet, er habe sich schweren Herzens umstimmen lassen, weil die Serie trotz fragwürdiger Machart eine positive Wirkung habe. Und weil er «Druck von oben» befürchtete – damals habe sich auch mal der Bundesrat in Ausstrahlungsfragen eingemischt.

Auch in der Schweiz war die Wirkung heftig. Bei der deutschen Botschaft in Bern ging eine anonyme Bombendrohung mit dem Stichwort «Todeskommando Holocaust» ein. Schon im Vorfeld der Ausstrahlung wurden beim Schweizer Fernsehen 4000 Exemplare des Begleitmaterials bestellt und später Zehntausende nachgedruckt.

Brodeln in der Bevölkerung

Die SRG-Forschungsabteilung veranlasste nach der Ausstrahlung eine Ad-hoc-Untersuchung. 4 Prozent der Romands, aber nur 0,4 Prozent der DeutschschweizerInnen gaben an, «es gebe auch heute sehr bzw. ziemlich viele Gegner der Juden». Die Aussage «Juden sind Bürger wie alle anderen auch» bejahten wiederum 86 Prozent in der Deutschschweiz, aber nur 76 Prozent in der Romandie.

In einigen der zahlreichen Briefe an das Schweizer Fernsehen wurde das Narrativ der humanitären, Juden rettenden Schweiz verteidigt, aber es klangen auch kritische Töne an: «Wie haben wir im Militärdienst vom einfachen Soldaten bis zum Offizier gedankenlos Ausdrücke gebraucht: ‹Büchsenfleisch› waren eingestampfte Juden! Ich schäme mich im Nachhinein dafür», schrieb ein Zuschauer. Ein Berner mit deutschem Pass schilderte, wie ihn die Schweizer Behörden während des Krieges dazu zwingen wollten, Hitlers Einberufungsbefehl zu befolgen. Eine andere Zuschrift enthielt die Polemik: «Können Sie sich Bundesrat Honegger in seinem Gehaben und seiner überheblichen Art nicht ganz gut in einer Naziuniform vorstellen?»

Diskussion nicht beendet

Eduard Stäuble, der damalige Abteilungsleiter für Kultur und Gesellschaft des Schweizer Fernsehens, sah in «Holocaust» die Möglichkeit, sich «auf die Flüchtlingspolitik der Jahre 1933 bis 1945 zu besinnen und Leistung und Versagen gegeneinander abzuwägen». In diesem Zusammenhang kündigte er auch die dreiteilige Serie «Wach auf, Schweizervolk!» an, die «die Schweiz im Spannungsfeld von Frontismus, Verrat und Selbstbehauptung» kritisch beleuchten sollte. 1981 sorgte Markus Imhoofs Spielfilm «Das Boot ist voll» erneut für Furore.

Die Debatte über die Rolle der Schweiz während des Nationalsozialismus und den Antisemitismus hierzulande ging später mit den nachrichtenlosen Vermögen weiter und wird bis heute geführt. Dies zeigt sich etwa in der Diskussion, ob es so etwas wie «Swiss Holocaust Survivors» gab. Oder ob die hohen Sicherheitskosten der jüdischen Gemeinden deren Problem sind oder doch der Staat für den Schutz seiner BürgerInnen zu sorgen hat. Erst vierzig Jahre nach «Holocaust» gab der Bundesrat hierzu ein klares Bekenntnis ab.

Raphael Rauch ist Postdoktorand an der Theologischen Fakultät der Uni Zürich. Zuletzt publizierte er: «‹Visuelle Integration›? Juden in westdeutschen Fernsehserien nach ‹Holocaust›».