Eingrenzung: Präventiv bestraft

Nr. 23 –

Das St. Galler Migrationsamt verbietet einem jungen Kurden seit 22 Monaten, den Kanton zu verlassen. Der Fall zeigt, wie wenig es braucht, um als Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eingestuft zu werden.

Die Schwelle zur Anordnung von Zwangsmassnahmen wird immer tiefer: Dem Kurden Zeki Ürün werden keine Straftaten vorgeworfen.

Zeki Ürün (26) sitzt in einer Gartenbeiz in der St. Galler Altstadt und versteht die Welt nicht mehr. Es ist noch keine drei Monate her, da bejubelten westliche Medien und Regierungen den militärischen Sieg über den IS. Ein Sieg, der ohne den Einsatz kurdischer Milizen kaum möglich gewesen wäre. Ürün hatte zusammen mit der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) bei der Verteidigung Kobanes gegen den IS mitgewirkt. Zurück in der Türkei, musste er 2017 vor der Verfolgung durch die Regierung fliehen und beantragte in der Schweiz Asyl. Doch anstatt Anerkennung für seinen Einsatz erhielt er zwei Monate nach seiner Einreise eine Eingrenzungsverfügung, die seither immer wieder verlängert wird. Seit 22 Monaten darf er das Kantonsgebiet von St. Gallen nicht verlassen. Als kurdischer Aktivist sei er eine «Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung», wie das St. Galler Migrationsamt knapp begründete.

Ein- und Ausgrenzungen als eine Form ausländerrechtlicher Zwangsmassnahmen können grundsätzlich während und nach dem Asylverfahren angeordnet werden. Der Kanton Zürich beispielsweise belegt abgewiesene Asylsuchende seit 2016 systematisch mit der Bestimmung. Eine Anwendung ist auch für die Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung möglich, ursprünglich vorgesehen, um gegen Betäubungsmittelhandel und kleinere Delikte vorzugehen. Eine so schwammige juristische Begründung aber wie im Fall von Ürün ist laut verschiedenen RechtsvertreterInnen neu.

Auch deshalb hat Ürün, dessen Asylverfahren immer noch hängig ist, Beschwerde eingelegt. Zuerst bei der kantonalen Verwaltungsrekurskommission und, nachdem diese die Eingrenzung aufrechterhielt, auch beim Verwaltungsgericht. Doch auch dieses wies die Beschwerde Ende Mai ab.

YPG gleich IS?

Fabian Rüegger vom Solidaritätsnetz Bern unterstützt Ürün zusammen mit der Juristin Nesrin Ulu rechtlich. Sie halten den Entscheid des Verwaltungsgerichts für rechtsstaatlich bedenklich und willkürlich: «Es lagen zu keinem Zeitpunkt konkrete personenbezogene Anhaltspunkte vor, die einen solchen Eingriff in die Grundrechte rechtfertigen würden.»

Ähnlich verhielt es sich im Fall eines jungen Kurden, dem mit Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom letzten September Asyl verweigert wurde. Auch ihm wurden keine konkreten Straftaten vorgeworfen, aber ihm wurde unterstellt, dass er durch seine Nähe zur türkischen Arbeiterpartei PKK die innere und äussere Sicherheit der Schweiz gefährde.

Im Kern ist die Argumentation im Fall von Zeki Ürün durch alle Instanzen dieselbe. Als Mitglied der YPG habe Ürün an Kriegseinsätzen in Syrien teilgenommen. Die YPG seien als syrischer Ableger der türkischen PKK und als «bewaffnete Einheit der syrisch-kurdischen Partei der Demokratischen Union» zu betrachten. Zudem spiele es keine Rolle, so das Urteil weiter, «welcher Gruppierung einzelne Kriegsteilnehmer angehören oder ob eine bestimmte Gruppierung in der öffentlichen Wahrnehmung einen gerechten Krieg führt oder als Terrorgruppe eingestuft wird». Das heisst in anderen Worten: YPG gleich IS.

Eliane Engeler von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe kritisiert die Gleichsetzung der beiden Organisationen. «Beim IS handelt es sich um eine in der Schweiz gesetzlich verbotene Organisation, bei den YPG nicht.» Das zeige sich etwa auch darin, dass die Mitgliedschaft bei den YPG grundsätzlich kein Asylausschlussgrund sei. Rüegger ergänzt: «Nur die Türkei und Katar betrachten die YPG als Terrororganisation – und offenbar auch der Kanton St. Gallen.» Ürün betonte zudem immer wieder, dass er lediglich humanitäre und logistische Hilfe geleistet habe. Er lehne den bewaffneten Kampf ab. Das Verwaltungsgericht hält dies für eine «reine Schutzbehauptung».

NDB konstruiert abstrakte Gefahr

Zeki Ürün wartet nun seit Sommer 2017 auf einen Entscheid. Und wie er kürzlich erfahren hat, könnte das Verfahren noch länger dauern. Wie sich nach dem Urteil herausstellte, hatte der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) bereits wenige Tage nach der Ankunft von Ürün in der Schweiz eine abstrakte Gefährdungsanalyse über ihn erstellt. Er weise «aufgrund seiner spezifischen Biographie ein Risikoprofil» auf, schreibt das Staatssekretariat für Migration (SEM) in einer summarischen Zusammenfassung der NDB-Analyse. Wieder fehlen konkrete Anhaltspunkte für die Gefährdung, die widerlegt werden könnten. Eine Einsicht in die Dokumente und Quellen des NDB ist in solchen Fällen nicht möglich.

Auch an anderer Stelle zeigt sich, dass die Schwelle zur Anordnung von Zwangsmassnahmen immer tiefer wird. Erst kürzlich publizierte Bundesrätin Karin Keller-Sutter den Entwurf zum «Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit», das auf sogenannte Gefährder angewandt werden soll (siehe WOZ Nr. 22/19 ) Der reine Verdacht, die Sicherheit zu gefährden, reicht aus, um AusländerInnen ohne Strafverfahren zu inhaftieren.

Es ist auch die Abstraktheit der Begründung, die Zeki beschäftigt. Denn er weiss noch immer nicht, was ihm konkret vorgeworfen wird. Bis zum Asylentscheid lebt er weiter in St. Gallen. Der Kanton sei für ihn ein Gefängnis. «Es ist doch unsinnig», sagt er zum Schluss, «offenbar bin ich nur eine Gefahr für Leute, die nicht in St. Gallen wohnen.»