Durch den Monat mit Faten Al-Soud (Teil 2): Sind weibliche Asylsuchende einem grösseren Druck ausgesetzt?

Nr. 24 –

Am Anfang war da Enttäuschung: Faten Al-Soud sagt, sie hätte von der Schweiz in Sachen Gleichstellung mehr erwartet. Hoffnung hat sie trotzdem: Die Zukunft gehöre den Frauen.

Faten Al-Soud: «Ich bin in Europa, ich bin im Land der Menschenrechte, und ich habe kein Recht, mich frei zu bewegen.»

WOZ: Faten Al-Soud, am Freitag findet in der Schweiz der Frauenstreik statt. Unterstützen Sie die Bewegung?
Faten Al-Soud: Ja. Ich war schockiert, als ich hierherkam und gesehen habe, dass Frauen auch hier diskriminiert werden. Im Irak waren wir alle überzeugt davon, Europa sei das Paradies für Frauen, dass sie dort frei sind und alles machen können, was sie wollen. Ich wusste nicht, dass Frauen auch hier noch für ihre Rechte kämpfen.

Was hat Sie am meisten erstaunt?
Die Lohnungleichheit. Ich war wirklich entsetzt darüber, ich verstehe das nicht. Im Irak gibt es kein Gleichstellungsgesetz, Frauen müssen zum Beispiel einfach den Mann heiraten, den ihre Familie für sie vorsieht. Aber dass sie für die gleiche Arbeit weniger verdienen als Männer, das gibt es dort trotzdem nicht.

Ist es im Irak vor allem die Familie, die Druck auf die Frauen ausübt?
Ja, als Frau bist du für die Familienehre verantwortlich. Die Familie ist wichtiger als alles andere, auch als das Gesetz: Sie kann bestimmen, ob du einen Hidschab trägst, wen du heiratest, wie du dein Leben führen sollst. Wenn die Eltern zum Beispiel nicht wollen, dass die Tochter studiert, dann ist daran nichts zu rütteln. Mein Vater ist ziemlich liberal, aber wenn er mich unterstützen wollte, mit Geld für eine Reise etwa, musste er das vor der Familie verstecken. Aber auch in der Schweiz ist es ja so, dass es zwar ein Gleichstellungsgesetz gibt, und trotzdem werden Frauen diskriminiert.

Wieso, denken Sie, ist das so?
Ich weiss es wirklich nicht. Im Irak haben die islamistischen Kräfte viel Einfluss, da ist es für mich nachvollziehbar – aber hier sehe ich ehrlich gesagt nicht, wieso man nicht weiter ist. Zum Beispiel finde ich es schon krass, dass es auch hier unter Umständen nicht einfach selbstverständlich ist, sich sexy zu kleiden, sehr kurze Röcke zu tragen zum Beispiel. Das hätte ich nie erwartet. Ich weiss natürlich, dass man das grundsätzlich darf. Aber du kannst eben trotzdem schräg angeschaut werden.

Was hat das in Ihnen ausgelöst?
Ich war enttäuscht. Es ist komisch für mich, dass die Frauen hier noch in so vielem schlechtergestellt sind. Es sind ja ganz unterschiedliche Ebenen: Ich verstehe nicht, wieso es nicht mehr Frauen in den grossen Firmen gibt; es sollte mehr Chefinnen geben zum Beispiel. Wenn du siehst, dass die Frauen hier immer noch demonstrieren, dann zeigt das doch, dass wir ein Problem haben.

Wie werden Sie sich am Streik beteiligen?
Ich bin bei Lucify dabei, einem Medienprojekt von und für Migrantinnen aus verschiedenen Ländern. Wir werden auf die Strasse gehen, den Streik mitverfolgen, Berichte schreiben. Ich finde es wichtig, dabei zu sein. Wir müssen uns international vernetzen, miteinander über die jeweilige Situation in unseren Ländern kommunizieren. Wir müssen gemeinsame Forderungen stellen und einander unterstützen – weil es im Grunde überall um das Gleiche geht.

Welche Forderung ist Ihnen besonders wichtig?
Ich finde, dass auf die spezifischen Umstände und Probleme von weiblichen Asylsuchenden besser eingegangen werden muss. In der migrantischen Community beobachte ich oft, dass Frauen viel mehr Mühe haben als Männer, sich in der Schweiz zurechtzufinden und mit dem Druck umzugehen, der zum Beispiel als Asylsuchende auf dir lastet.

Sind weibliche Asylsuchende einem grösseren Druck ausgesetzt?
Ja. Ich glaube, das liegt unter anderem daran, dass du als Frau mehr gelernt hast, dich unterzuordnen und dich dem System nicht zu widersetzen. Und: Viele Migrantinnen sind wie ich nach Europa gekommen, weil wir in unseren Ländern nicht frei sein konnten. Uns ist gemein, dass unser Leben nicht in den eigenen Händen lag, und jetzt tut es das wieder nicht. Vorher wegen der Gesellschaft oder der Familie – mein ganzes Leben war kontrolliert durch meinen Vater, meinen Bruder, meinen Onkel, dann meinen Ehemann, meine Chefs. Und als ich mich entschied, frei zu sein, konnte ich nicht bleiben. Du kannst nicht bleiben, wenn du als Frau frei sein willst. Dann machen sie dich fertig. Das ist eine völlig andere Ausgangslage, als wenn du dich als Mann entscheidest zu gehen. Es war meine Entscheidung, jetzt bin ich hier, und ich leide wieder, weil ich auch hier nicht frei bin – mit meinem N-Ausweis kann ich nicht reisen und nicht arbeiten. Es ist passiert, was ich auf keinen Fall wollte: Ich bin wieder Hausfrau geworden. Ich bin in Europa, ich bin im Land der Menschenrechte, und ich habe kein Recht, mich frei zu bewegen. Umgekehrt fällt es Männern, die hierherkommen, manchmal doch schwerer, zurechtzukommen: Sie sind es nicht gewohnt, dass sie nicht alles machen können, was sie wollen. Sie wissen nicht, wie es ist, eingeschränkt zu sein.

Haben Sie Hoffnungen, dass der Frauenstreik etwas bewirken wird?
Eigentlich bin ich optimistisch. Ich glaube, die Zukunft gehört den Frauen. Im Moment arbeiten Frauen so viel und hart für ihre Rechte. Ich bin mir sicher, dass wir alles erreichen können, wenn wir es nur wollen.

Faten Al-Soud (40) ist Journalistin und kam vor drei Jahren aus Bagdad nach Bern.