Repression in Russland: Risse im System Putin

Nr. 25 –

Erst verhaftet, dann überraschend freigelassen: Die Causa um den Journalisten Iwan Golunow illustriert die Willkür der russischen Behörden – und die Nervosität des Regimes.

In gewisser Weise ist sie typisch für Russland unter Wladimir Putin: die Geschichte von Iwan Golunow, dem Investigativreporter, dem die Moskauer Polizei Drogen unterjubelte. Typisch, weil sie einmal mehr eindrucksvoll illustriert, wie willkürlich die Behörden agieren. Und weil sie zeigt, dass die Repression alle treffen kann, immer und überall. Doch zugleich ist die Causa Golunow auf ihre Art auch wieder untypisch: weil es nur wenige Tage dauerte, bis Golunow wieder ein freier Mann war.

Angefangen hatte alles am 6. Juni. Golunow, der für das russische Onlineportal «Meduza» mit Sitz im lettischen Exil vorwiegend über Korruption in der russischen Hauptstadt recherchierte, war gerade auf dem Weg zu einem Informanten, als er mitten in Moskau verhaftet wurde. Der Vorwurf: Drogenhandel – ein Delikt, das bis zu zwanzig Jahre Straflager nach sich ziehen kann.

Fingierte Beweise

Das Muster, nach dem die Polizei dabei vorging, ist altbekannt. Rund ein Drittel aller russischen Häftlinge sitzen wegen Drogendelikten im Gefängnis. Der entsprechende Artikel 228 des Strafgesetzbuchs wird deswegen auch «Volksparagraf» genannt – er ist ein beliebtes Mittel, um unliebsame Personen aus dem Verkehr zu ziehen. So war es zuletzt etwa dem tschetschenischen Menschenrechtler Ojub Titijew ergangen, der wegen Drogendelikten für vier Jahre ins Straflager musste, nun jedoch unter Auflagen freikommen soll.

Bei Golunow erlaubte sich die Polizei dann aber offenbar zu viele Fehler. Erst musste sie zugeben, dass die Fotos, die ein Drogenlabor in der Wohnung des 36-Jährigen zeigen sollen, gefälscht waren. Dann stellte sich heraus, dass bei den Beweismitteln die Fingerabdrücke des Verdächtigen fehlten. Golunow selbst gab an, in Polizeigewahrsam misshandelt worden zu sein. Nach wenigen Tagen verkündete der Innenminister persönlich die Freilassung des Reporters – und entliess die zuständigen Polizisten. Das Parlament kündigte derweil sogar an, die Drogengesetze zu lockern.

Golunows Freilassung war eine Protestwelle vorausgegangen, wie sie Russland schon lange nicht mehr erlebt hat: Hunderte JournalistInnen gingen auf die Strasse, Promis riefen zur Solidarität auf. Drei grosse Publikationen veröffentlichten eine gemeinsame Titelseite mit der Parole «Ich/Wir sind Golunow». Sogar kremlnahe Medien kritisierten die Behörden. Und auch im Ausland erhielt der Fall viel Aufmerksamkeit.

Doch wer nun meint, Golunows Freilassung sei allein diesem gesellschaftlichen Engagement zu verdanken, täuscht sich. Wahrscheinlicher ist, dass der Fall der russischen Führung noch aus anderen Erwägungen zunehmend unangenehm wurde.

Am Erscheinungstag dieser WOZ stellt sich Präsident Putin in seiner jährlichen Fernsehshow den Fragen der Bevölkerung. Traditionell nutzt er den Anlass, um sich als gütiger Machthaber zu präsentieren, der die Anliegen seiner Untergebenen ernst nimmt. Fragen zu einem unrechtmässig inhaftierten Journalisten hätten diese Inszenierung nur gestört – zumal Golunow keine typische oppositionelle Figur ist, die Gefahr also gross wäre, dass sich die RussInnen mit ihm identifizieren. Auch die Solidarität kremlnaher Medien lässt sich damit erklären, dass die Führung die Sache schnell aus der Welt schaffen wollte.

Denn dass der Befehl zur Verhaftung aus dem russischen Machtapparat selbst kam, bezweifeln die meisten BeobachterInnen. Gemäss Medienberichten hatte sich Golunow zuletzt mit dem Moskauer Bestattungsbusiness befasst, in dem sich – so der Verdacht – hochrangige Geheimdienstler am Geschäft mit dem Tod bereichern sollen. Deshalb liegt die Vermutung nahe, dass ebendiese Kreise den Reporter zum Schweigen bringen wollten – und damit den Präsidenten erzürnten.

Beunruhigende Proteste

Die rasanten Entwicklungen im Fall Golunow deuten dennoch auf die Nervosität des Regimes hin, die nicht nur durch schlechte Umfragewerte, sondern auch durch Grossproteste in der Provinz befeuert wird. Im Norden des Landes etwa gehen AnwohnerInnen seit Monaten gegen den Bau einer Mülldeponie auf die Strasse, für deren Bau ein Wald abgeholzt werden soll. AktivistInnen befürchten zudem eine Umweltkatastrophe: Über das Grundwasser könnten Giftstoffe bis in die Barentssee gelangen. Inzwischen hat Putin angekündigt, sich der Sache höchstpersönlich anzunehmen.

Ähnliches liess sich kürzlich am Ural beobachten. In der Stadt Jekaterinburg protestierten Tausende gegen den Bau einer Kirche mitten im Stadtzentrum, für die ein beliebter Park weichen sollte. Putin ordnete eine Umfrage an – und liess die Pläne anschliessend auf Eis legen.

Die beiden Episoden belegen die Strategie des Präsidenten: Indem er den Unmut der Bevölkerung auf die Lokalbehörden richtete, lenkte er diesen Unmut von sich weg. Ein ähnlicher PR-Coup gelang ihm nun auch im Fall Golunow.

Dass Hoffnungen auf einen «Russischen Frühling» wohl dennoch verfrüht sind, zeigte sich derweil schon am Tag nach Golunows Freilassung: Bei einer Solidaritätskundgebung wurden mehr als 500 Personen festgenommen, darunter auch der prominente Kremlkritiker Alexei Nawalny. Einmal mehr offenbarte sich dabei die Willkür des Apparats.