Von oben herab: Köppels Kehricht

Nr. 25 –

Stefan Gärtner liest das «Extrablatt»

Es ist nicht immer leicht, ein linker Kolumnist zu sein: die Impertinenz und Borniertheit überall, der Klassenhass und der totale Unwille, über Privilegien auch nur nachzudenken. Das macht es andererseits leicht, ein linker Kolumnist zu sein, weil man ja nur aus dem Fenster sehen muss.

Oder in den Briefkasten. Die Schweizer Vollpfosten-Partei SVP hat jetzt die Schweizer Haushalte mit einem «Extrablatt» beglückt, und fast ist es eine Wohltat, bei den vielen Ambivalenzen, die der Tag so bringt, mal etwas ganz zügellos Monovalentes in die Hand zu kriegen, den Hammer in die «Fresse» (Andrea Nahles) sozusagen, falls es nicht wiederum und ambivalenterweise so ist, dass der fanatischste Quatsch die grösste Komik birgt, «weil dieser schöne Wahnsinn das schönste Leben ist» (Ludwig Tieck, «Franz Sternbalds Wanderungen»). So bösartig wie lustig etwa der rechtspopulistische Dreh, alles, was einem nicht in den Kram passt, als «Ideologie» zu verunglimpfen: «Vernunft statt Ideologie», fordert das ideologiefreie «Extrablatt», denn «links-grüne Ideologen versuchen», die Erderhitzung «schamlos auszunutzen, um ihre untauglichen Rezepte salonfähig zu machen. Wir sollten widerstehen und vernünftig handeln.» Und nämlich lieber die wahren Schädlinge draussenhalten: «1 Million Zuwanderer – 59 Milliarden Liter Wasserverbrauch!» lautet die überzeugende Rechnung, denn da, wo das Nichtschweizer Gesindel herkommt, ist ein umweltgerechter Wasserverbrauch schon deshalb üblich, weil es fliessend Wasser oft gar nicht gibt. Kaum sind also die Fremden im Land und entdecken, dass man erstens sich und zweitens sein Auto waschen kann, verbrauchen sie «grosse Mengen an Wasser, Treibstoffen und Strom. Für ihre tägliche Versorgung mit Lebensmitteln und Gütern sind mehr Lastwagentransporte nötig, und letztlich muss der Kehricht dieser Million zusätzlicher Einwohner abtransportiert und entsorgt werden.»

So wie der Kehricht der Nationalräte Albert Rösti und Adrian Amstutz oder, natürlich, von Roger («Daltrey») Köppel, der «gegen den Missbrauch des Klimawandels für politische Zwecke» kämpft, während er den Klimawandel für seinen höchstpersönlichen politischen Zweck selbstredend nicht missbraucht, sondern bloss mit verständlicher Leidenschaft einspannt: «Für die grünen Bevormunder und Umverteiler ist die Schweiz ein Bankkonto, von dem sie das Geld abheben können, das andere vorher einbezahlt haben», z. B. die, die dem Nationalrat und Unternehmer Amstutz ihr Mehrprodukt geschenkt haben und sich, wo sie schon nicht zu ihrem Recht kommen, mit ein bisschen Faschismus Ausdruck verschaffen; einem Faschismus, der sich gegen die richtet, die den Schweizer Wohlstand an der Peripherie bezahlen und die an ihm schon deshalb nicht teilhaben dürfen, weil das Ökosystem das gar nicht aushielte.

Dass das global gesehen sogar stimmt, setzt aber nicht die volksparteilichen Schweinereien ins Recht, sondern die ältere Diagnose, dass Faschismus nichts weiter als ein in der Krise radikalisierter Kapitalismus ist, und der reagiert auf die ökologische Krise, falls nicht durch Leugnen (Köppel: «Der Klimawandel ist eine Tatsache. Seit Millionen von Jahren»), dann mit jener «Naturalisierung der Ungleichheit», die der vor Bolsonaro ins Exil geflohene brasilianische Soziologe Jessé de Souza in einen Buchtitel gepackt hat. Wir dürfen, weil wirs dürfen (und systembedingt müssen), die anderen dürfen nicht, sonst «wird dieser Planet wieder wie einst vor Jahrmillionen menschenleer durch den Äther ziehen. Die ewige Natur rächt unerbittlich die Übertretung ihrer Gebote», wie ein seinerzeit populärer deutscher Politiker einmal warnte, der zwar ein Unternehmerfreund und krimineller Quatschkopf war, aber auch ein vollkommen schamloser Bevormunder.

Weshalb zwischen ihn und die SVP auch ein Extrablatt Papier passt.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.