«Parasite»: Sturmfrei im Luxusbunker

Nr. 32 –

Wer ist hier das Ungeziefer? Der koreanische Thriller «Parasite», Gewinner der Goldenen Palme, zeigt eine Home Invasion von unten – und treibt ein abgründiges Spiel mit dem Traum vom sozialen Aufstieg.

Es muss was anderes im Leben geben als Pizzakartons falten: In «Parasite» sucht eine südkoreanische Familie den schnellen Weg nach oben. STILL: FILMCOOPI

Die Familie haust im Souterrain, wo Betrunkene ihnen das Stubenfenster mit Urin spülen. Eine geregelte Arbeit hat niemand von ihnen, gemeinsam falten sie Pizzakartons für einen Hungerlohn. Und wenn die Stadt die Gassen mit Pestizid einnebelt, machen sie nicht etwa die Luken dicht, sondern reissen das Fenster auf: Gratisgift gegen das Ungeziefer in der Wohnung, wie praktisch! Willkommen im tiefsten Prekariat, willkommen in «Parasite», dem neuen Film von Bong Joon-ho.

Nach zwei futuristischen Abstechern im internationalen Massstab fokussiert der 49-jährige Koreaner hier wieder auf die soziale Gegenwart in seiner Heimat. Und knüpft gleichzeitig an Motive an, die ihn zuletzt schon in seiner Comicverfilmung «Snowpiercer» (2013) umgetrieben haben. Das war jener schwer allegorische Thriller über einen Hochgeschwindigkeitszug, der ohne Halt durch eine postapokalyptische Eiswüste rast, während sich in seinem streng hierarchischen Inneren ein Aufstand anbahnt: Das Lumpenproletariat aus dem letzten Waggon kämpft sich durch alle sozialen Klassen nach vorn, um die Kontrolle über den Zug an sich zu reissen. Ein Film wie ein Manifest für die Klimajugend, die es damals noch gar nicht gab.

Kampf mit Pfirsichflaum

Auch die urbane Wirklichkeit in «Parasite» ist jetzt auf fast schon plakative Weise segmentiert, zwischen Souterrain in der Gosse und blitzblanker Luxusvilla hoch über der Stadt. Aber wenn hier wiederum alles auf Klassenkampf angelegt scheint, dann kommt die Revolution diesmal auf den leisen Sohlen der Scharade. Geld, heisst es einmal in diesem Film, sei wie ein gutes Bügeleisen: «Es glättet alle Falten.» Und wenn die Falten vom Geld mal schön weggebügelt und alle Fugen im Haus abgedichtet sind, gibts auch nirgends mehr Nischen, wo sich irgendwer einnisten könnte. Oder?

Alles fängt damit an, dass der Sohn der prekären Kellerfamilie als Aushilfe für einen Freund einspringen soll, der eine Tochter aus reichem Haus in Englisch unterrichtet. Wirklich qualifiziert dafür ist er zwar nicht, aber so ist das mit der Hochstapelei: Alles nur eine Frage der beglaubigenden Kraft der Darbietung. So kann er sich auch das Englischdiplom schönreden, das seine Schwester ihm mit Photoshop fabriziert hat: Er will ja auf jeden Fall studieren, jetzt hat er sein Diplom halt einfach schon im Voraus ausgedruckt.

Weil das alles so reibungslos funktioniert, kommt der junge Mann auf den Geschmack – und bald hat er seiner ganzen Familie einen Job im Haus der reichen Leute verschafft. Die Schwester gibt sich als Kunsttherapeutin für den natürlich hochbegabten Knirps aus, der Vater ersetzt den Chauffeur, nachdem man diesen mit einem kompromittierenden Slip aus dem Weg geräumt hat. Um zuletzt auch noch die Mutter als Bedienstete in die Villa einzuschleusen, greifen sie gegen die altgediente Haushälterin zu noch feinerer Munition: Pfirsichflaum! Der Trick mit dem Pfirsich ist auch filmisch die Krönung der Raffinesse, mit der sich die Familie von unten einen Platz in diesem Wohlstandsbunker aus Glas und Beton erschwindelt – und da wissen wir noch gar nichts vom doppelten Boden, auf dem dieser Film gebaut ist.

Rabiat und illusionslos

Das asiatische Kino beweist ja in jüngster Zeit regelmässig einen scharfen Blick für die sozialen Verwerfungen der Gesellschaft. Erst die mittellose japanische Diebesbande in «Shoplifters», die auf engstem Raum eine solidarische Zweckfamilie bildete. Dann der koreanische Thriller «Burning», der in einem amourös aufgeladenen Dreieck den feinen und nicht so feinen Unterschieden zwischen neuem Reichtum und vererbter Armut nachspürte. «Parasite» mutet nun manchmal wie eine Synthese dieser Filme und ihrer Motive an. Leichter und zugleich böser als diese beiden, gleitet er mühelos zwischen den Genres, vom komödiantischen Auftakt bis zum grimmigen Showdown.

Wobei Bong Joon-ho hier zuallererst ein bewährtes Genre auf den Kopf stellt. Der klassische Home-Invasion-Thriller ist ja in seiner Struktur latent reaktionär: Da muss stets das eigene Haus (also immer auch: die eigene Nation) bis aufs Blut gegen eine wie auch immer geartete Bedrohung von aussen verteidigt werden. «Parasite» kehrt die gängige Perspektive um: Die Luxusvilla soll hier nicht gegen aussen geschützt, sondern von unten eingenommen werden – sie bildet den Horizont für die Fantasie vom sozialen Aufstieg.

Doch auch wenn die Unterwanderung des Hauses durch die arbeitslosen Eindringlinge zunächst auf einen Umsturz mit spielerischen Mitteln hindeutet: Klassenkämpferische Energie ist hier nur bedingt am Werk. Die «Parasiten» legen zwar einiges an hochstaplerischer Erfindungsgabe an den Tag, aber zuletzt bleiben sie doch in ihren kleinbürgerlichen Aufstiegsträumen gefangen – und reiben sich vor allem unter ihresgleichen auf. In «Snowpiercer» liess Regisseur Bong noch einen utopischen Ausweg offen, hier nun treibt er seine Invasion auf dem Villenhügel im letzten Drittel folgerichtig auf ein ebenso rabiates wie illusionsloses Finale zu. Und die Revolution bleibt, was sie in «Parasite» von Anfang an war: eine Scharade derer, die sich nichts anderes leisten können.

«Parasite» läuft bereits im Kino. Hauptdarsteller Song Kang-ho wird am Filmfestival in Locarno mit einem Excellence Award und einer kleinen Werkschau geehrt. Öffentliches Gespräch zusammen mit Regisseur Bong Joon-ho: Dienstag, 13. August 2019, 13.30 Uhr, im Spazio Cinema.

Parasite. Regie: Bong Joon-ho. Südkorea 2019