Kommentar zur Seenotrettung: Die Schweiz am Meer

Nr. 34 –

Beim Tauziehen um das Rettungsschiff Open Arms vor Lampedusa fallen zwei Dinge auf: das Unwissen der Politik und die Untätigkeit der Schweiz.

Zuletzt waren es noch 83 Menschen, die in Lampedusa an Land gingen, nachdem sie zum Teil fast drei Wochen auf dem Rettungsschiff Open Arms vor der Küste Italiens hatten ausharren müssen. Ursprünglich hatte die «Open Arms» rund 160 Menschen an Bord. Über die Wochen konnten Minderjährige und medizinische Notfälle an Land gehen. Die letzten vierzehn Personen, die das Schiff noch auf See verliessen, waren am Dienstag aus Verzweiflung ins Wasser gesprungen – hatten also abermals ihr Leben auf dem Weg nach Europa riskiert. Sie wurden von der italienischen Küstenwache an Land gebracht. Diese Verzweiflungstat war schliesslich der Auslöser für die Staatsanwaltschaft von Agrigent, die sofortige Anlandung des Schiffs sowie dessen Beschlagnahmung anzuordnen.

Was im mittlerweile schon standardmässigen Tauziehen um die «Open Arms» einmal mehr deutlich wurde, ist, wie wenig die PolitikerInnen Europas über die Realitäten auf einem Rettungsschiff wissen. Erst nach neunzehn Tagen des Wartens hatte Spanien der «Open Arms» scheinbar grossmütig Algeciras bei Gibraltar als sicheren Hafen angeboten – mit über 1800 Kilometern der am weitesten entfernte Hafen im Mittelmeer. Die Crew stiess auf grosses Unverständnis, als sie das Angebot ablehnte. Manche sahen dies als Beweis dafür, dass es der NGO um mediale Aufmerksamkeit statt um die Sicherheit der Geretteten ginge.

Doch ein Rettungsboot ist kein Kreuzfahrtschiff mit ausgeruhten TouristInnen, deren Reise eine etwas abenteuerliche Wendung nimmt. Es ist nicht dafür gemacht, über hundert Menschen währen drei Wochen würdig zu beherbergen: Die Flüchtlinge schlafen dicht gedrängt an Deck, der Witterung und dem Wellengang ausgesetzt. Es besteht ständig die Gefahr, dass jemand über Bord geht – besonders nachts. Essen und Wasser sind rationiert, an ausreichende Hygiene oder einen Rückzugsort ist nicht zu denken.

Man ist gefangen in einer «Eisenkiste», wie «Open Arms»-Gründer Òscar Camps die Situation an Bord in einem Tweet beschrieb. Die Besatzung arbeitet weitgehend unter den gleichen Bedingungen, muss sich mit wenigen Personen um Menschen kümmern, die geschwächt, schwerst traumatisiert sind, mit Selbstmord drohen. Unter diesen Bedingungen eine fünftägige Seereise anzutreten, wäre nicht nur verantwortungslos, sondern lebensmüde.

Wenn es also jemandem um die mediale Inszenierung ging, dann Italiens vorerst ausgebremstem Innenminister Matteo Salvini. Er verweigerte der «Open Arms» die Einfahrt – auch dann noch, als sich sechs europäische Länder zur Aufnahme der Geflüchteten bereit erklärt hatten.

Unter diesen Ländern befindet sich notabene nicht die Schweiz: Wie immer hält sie sich dezent im Hintergrund. Als hätte das Geschehen auf dem Mittelmeer nichts mit ihr zu tun, nur weil sie keine Küste hat. Noch nie hat sich eine Schweizer Stadt zur Aufnahme der Bootsflüchtlinge bereit gezeigt, wie das Städte wie Barcelona oder Kiel schon getan haben. Auch vom Bundesrat ist nichts zu hören, politischen Druck gibt es kaum.

Die SP hat am Wochenende das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement aufgefordert, alle Flüchtlinge der beiden Schiffe Open Arms und Ocean Viking (Letzteres wartet mit über 350 Geretteten an Bord weiterhin auf einen sicheren Hafen) unbürokratisch aufzunehmen. Auch die Grünen sagen auf Anfrage, die Schweiz solle – statt dem Engagement in Libyen und bei der Grenzschutzagentur Frontex – lieber Personen von Rettungsschiffen aufnehmen.

Während die SVP auf die Anfrage der WOZ gar nicht erst antwortet, fordert die FDP lapidar, der Bundesrat müsse das Schengen-Dublin-System stärken. CVP und BDP sehen dringenden Reformbedarf des Systems, die Schweiz müsse sich solidarisch mit den Ländern an den Aussengrenzen zeigen. «Wenn die Möglichkeit besteht, Bootsflüchtlinge aufzunehmen, soll die Schweiz selbstverständlich mit gutem Beispiel vorausgehen», schreibt die BDP.

Das sind schöne Worte. Doch um den unsäglichen Blockaden auf dem Mittelmeer ein Ende zu setzen, braucht es endlich Taten – und politischen Druck. Damit sich auch die Schweiz nicht mehr der Verantwortung entziehen kann.