Kost und Logis: Retten wir das Gastgewerbe!

Nr. 36 –

Ruth Wysseier über eine gute Geschäftsidee

Vor ein paar Tagen war ich endlich zum ersten Mal in der «Moospinte» im bernischen Münchenbuchsee. Zu Zeiten ihres legendären Küchenchefs Chrüter-Oski hatte ich es nie geschafft. Auch diesmal kam ich nicht zum Essen – es ging mir ums Zuschauen. Im schönen Garten wurden die Tische für ein mehrgängiges Mittagessen für 56 Gäste gedeckt.

Grund für meinen Besuch war das Aushilfspersonal in Küche und Service, das hier Gastronomieluft schnupperte und um das sich bei diesem Bankett alles drehte. Es waren wohl ein Dutzend Jugendliche, die unter kundiger Anleitung Bestellungen aufnahmen, Brotkörbchen verteilten, Wein einschenkten und Suppe servierten. Was sogleich auffiel: wie eifrig, konzentriert, motiviert und freundlich sie waren. Was auch auffiel: Es waren alles junge Menschen mit Downsyndrom, denn die Benefizveranstaltung war organisiert vom Verein «Mensch21!», der ein Bistro gründen will inklusive Jobs für sie. Das ist sicher eine Idee mit Zukunft, wenn man sieht, dass in den Niederlanden die Geschäftsidee «Brownies & downieS» – Cafés mit Arbeitsplätzen für Menschen mit Downsyndrom – schon vierzig Filialen im Franchisesystem hat.

Die klassische Gastronomie steckt zweifellos in einer Krise, einer ökonomischen, aber auch, was schlimmer ist, in einer Sinnkrise. Spitzenköche geben ihre Sterne zurück, weil sie unter dem Leistungsdruck zerbrechen, auf dem Land schliessen die Beizen, weil das Konzept Familienbetrieb ausstirbt und niemand mehr bereit ist, so viele Stunden, Abende und Wochenenden zu arbeiten. Auswärts essen hat seinen Charme verloren. Statt entspannt etwas Gutes zu geniessen, fotografieren die Leute ihre Teller, bis alles kalt ist, und wenn sie ein Haar in der Suppe finden (natürlich bildlich gesprochen), wird das Lokal in die Trip-Advisor-Hölle verdammt. Die Speisekarten lesen sich wie Medikamentenbeipackzettel, von vier Gästen leiden bestimmt drei unter irgendwelchen Unverträglichkeiten, Phobien oder Ideologien, die sie quengelnd vorbringen.

Wo ist die Freude geblieben, die Sinnlichkeit, Leidenschaft und Kreativität? Nun, man findet sie zum Beispiel im gut besuchten Restaurant Vallemaggia in Locarno, wo ich während des Filmfestivals mit meiner Nichte essen ging. Die Küche ist vorzüglich, das Ambiente freundlich und entspannt. Das Team des Pro-Infirmis-Restaurants setzt sich aus Gastrofachleuten und IV-BezügerInnen zusammen; die Angestellten, das spürt man, sehen sich nicht als Personal, sondern als Teil eines erfolgreichen sozialen Projekts.

Natürlich ist es einfacher, gut gelaunt zu arbeiten, wenn das Lohnbudget durch IV-Renten entlastet wird und es deshalb genügend MitarbeiterInnen gibt, die sich um die Gäste kümmern. Aber natürlich ist es auch unendlich viel sinnvoller, wenn die vifen Kids aus der «Moospinte» künftig in ihrem Bistro statt in einer IV-Werkstatt arbeiten können. Das wäre definitiv verschwendetes Talent.

Ruth Wysseier ist Winzerin am Bielersee. Sie hat Erfahrung im Gastgewerbe, ihre Nichte hat Erfahrung mit Trisomie 21: www.woz.ch/0626/integration/ein-lob-des-eigensinns.