Kommentar zur Schweizer Klimapolitik: Von allem ein bisschen

Nr. 40 –

Entschlossen gegen die Klimaerwärmung? Schweizer PolitikerInnen und Medien beschäftigen sich nur ein bisschen damit. Lieber bewegen sie sich auf der Metaebene und diskutieren etwa das Medienphänomen Greta Thunberg.

Endlich erfährt die gefährlichste Krise der Gegenwart mehr Aufmerksamkeit. Wenigstens ein bisschen. Die FDP merkt, dass Klimapolitik nicht einfach schlecht für die Wirtschaft ist, und vollzieht eine umweltpolitische Wende. Wenigstens ein bisschen. Der Ständerat zimmert ein CO2-Gesetz, das besser ist, als man erwarten durfte. Wenn auch bei weitem nicht gut genug. Der Bundesrat bekennt sich dazu, das Pariser Abkommen ernst nehmen zu wollen. Wenigstens mit Worten. Die Klimabewegung ist die grösste Bewegung seit langem, in der Schweiz gingen am Samstag in Bern 100 000 Menschen, in der Woche zuvor Zehntausende SchülerInnen in verschiedenen Städten auf die Strassen. Die Medien haben berichtet – ein bisschen.

Doch die Debatte, die es nun endlich gibt, bevorzugt die Metaebene. Sie diskutiert das Medienphänomen Greta, die unerwartete Politisierung der Jugend, die Auswirkungen auf die Wahlen – aber nicht, dass in der Schweiz Wälder sterben, weil der Sommer zu trocken war, und dass die extreme Trockenheit des Jahres 2018 bald normal sein wird. Nicht, dass die Korallenriffe, von denen ein Viertel der marinen Biodiversität abhängt, bei einer Erderwärmung um zwei Grad quasi vollständig absterben werden. Nicht die «Systemübergänge in einem Ausmass, wie es sie noch nie gegeben hat», die es laut wissenschaftlichem Konsens braucht, um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen. Man hat verstanden, dass die Treibhausgasemissionen 2050 auf netto null fallen müssen, aber nicht, dass es darauf ankommt, wie viel bis dann noch ausgestossen wird. Und es gibt keine Debatte, wie die Schweiz ihrer Verpflichtung nachkommen kann, ärmere Länder im Kampf gegen die Klimakrise zu unterstützen.

Dass mit der Aufmerksamkeit fürs Thema auch die LeugnerInnen der Klimakrise ihren Boom erleben: geschenkt. Bedenklicher sind die Stimmen, oft von Journalisten (selten Journalistinnen) in Chefpositionen, die durchaus finden, man müsse den Klimawandel ernst nehmen, die aber einem gesunden Menschenverstand das Wort reden, ohne sich um den Wissensstand zu kümmern: Nur nicht übertreiben! Ein charakteristisches Beispiel solcher Kommentare publizierte die NZZ just am Tag der Klimademo auf ihrer Frontseite.

«Greta» im Titel, wollte Auslandchef Peter Rásonyi die Aktivistin Thunberg doch nicht kritisieren: Sie sei ja «nur ein Kind, das für seine Aussagen und Theorien nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann». Wie infam. Wobei er es doch nicht ganz lassen kann: «Extrem» sei ihre Sprache, wenn sie «der politischen Weltelite entgegenschleudert: ‹Menschen leiden. Menschen sterben.›» Extrem ist, wer Leiden Leiden, Sterben Sterben nennt.

Doch Thunberg ist gut informiert, Rásonyi nicht. Der Weltklimarat IPCC, schreibt er, «empfehle», die Erderwärmung «auf 1,5 Prozent» (sic!) zu begrenzen. Das ist aber keine Empfehlung (das IPCC empfiehlt grundsätzlich nichts), sondern verpflichtendes internationales Recht. Der Auslandchef der NZZ hat das wichtigste internationale Abkommen des 21. Jahrhunderts offenbar nicht gelesen. Seine Antwort auf Thunbergs Protest ist die Fausts an Gretchen; die typische Erwachsenenausrede fürs Nichtstun: «Es ist eben sehr kompliziert.»

Nein, es ist einfach: Aufhören, Erdöl, Erdgas und Kohle zu verbrennen respektive aus dem Boden zu holen (für die Schweiz: das Aus-dem-Boden-Holen zu finanzieren). Aufhören, Wälder zu zerstören und Feuchtgebiete trockenzulegen (für die Schweiz: das mit Freihandelsverträgen zu erleichtern). Beginnen, Schäden rückgängig zu machen (wobei die Schweiz als reiches Land besonders in der Pflicht steht).

Es ist entwaffnend einfach – aber das Einfache ist nicht leicht. So wie die Lösung des Problems eines Alkoholikers einfach ist (aufhören zu trinken), aber nicht leicht. Leichter ist es, auf die Überbringerin der Botschaft einzudreschen.

Marcel Hänggi ist Mitinitiant der Gletscherinitiative.