Rap: Der Tretti ist für alle da

Nr. 41 –

Weltgewandter als bei Trettmann klang Chemnitz nie. Trotzdem sind von ihm nach dem zweiten Album keine musikalischen Revolutionen zu erwarten.

Feinfühlige Alternative für den Mainstream: Trettmann. Foto: kitschkrieg.de

«Nur damit du weisst, wo ich herkomm’», reicht er noch nach. Es ist Spätsommer vor zwei Jahren. «Grauer Beton» heisst die Ballade, und in Deutschland wundern sich alle Hellhörigen über den Poeten aus der Plattenbausiedlung; die Rapmagazine überbieten sich im jargonistischen Lobgesang, auch das Feuilleton staunt. Erzählt wird die Geschichte des seltsamen Neulings Trettmann, Jahrgang 1973, aufgewachsen in einem marginalisierten Aussenbezirk von Chemnitz, das einmal Karl-Marx-Stadt hiess, wo die Postleitzahlen seit der Wiedervereinigung mit einer Null beginnen und die Dinge früher nicht alle schlecht waren, das Heute wenig gut ist und das Morgen nichts zählt.

Erstaunlicher als das biografische Sujet ist die musikalische Gestik. Mitten in der erwachenden Hochsaison eines auf Autotune gurgelnden und doch sehr deutschen Mehrheitspops schafft Trettmann nämlich ein Kunststück: Er singt von den Wunden der Wende – und schlägt seine Bögen so rund und rhythmisch raffiniert, dass man das «Wohngebiet Fritz Heckert» eher in der Karibik vermuten würde als am Autobahnring von Chemnitz. Stefan Richter heisst der Typ mit bürgerlichem Namen, der dem deutschen Pop den Soul zurückgebracht und dem generischen Klang des Stimmverzerrers Autotune etwas Beseeltheit abgerungen hat.

Reggae auf Sächsisch

Im Grunde hat er auch vor seinem plötzlichen Aufstieg nie etwas anderes gemacht. Als Ronny Trettmann ist er schon in den nuller Jahren in den Dancehalls unterwegs und singt fröhliche Reggaenummern in sächsischem Dialekt. Style und Codes sind wichtiger als Substanz, politischere Zeilen gelten einer allgemein gefassten Menschenliebe, es geht um Respekt und Ganjarauchen und den Sommer. 2006 wird «Sommer ist für alle da» Ronny Trettmanns erster kleiner Hit.

Erst 2016, jetzt im Verbund mit dem Kreuzberger Produzentenkollektiv Kitschkrieg, erreicht er ein breiteres Publikum. Den Namen Ronny hat er abgestreift, das neue Label schneidert Trettmann den bis heute prägenden Schwarzweissminimalismus auf den Leib. 2017 geht das Ding durch die Decke – vier EPs und ein krönender Abschluss: Das Debütalbum «#DIY» landet im deutschsprachigen Raum in den meisten Bestenlisten der Popjahresabrechnung und wird als Hip-Hop-Meilenstein verbucht.

Dasselbe noch einmal

Zwei Jahre später ist der Teppich also vorfreudig ausgerollt, in den deutschen Städten hängt die Annonce für das zweite Album grossformatig in den Einkaufsstrassen. Trettmann scheint über die Rolle des liebenswürdigen Underdogs und Spätzünders, die ihm gut angestanden war, hinausgewachsen. Mitte September erschienen, wird das selbstbetitelte Werk in der Kritik mit durchzogenen «Das-zweite-Album-Rezensionen» abgehandelt – und tatsächlich scheint es Trettmann und Crew hier mehr um die Patentverwaltung am Kitschkrieg-Sound zu gehen als um einen musikalischen Aufbruch.

Alles noch da: das lässige Anlehnen an Soul, Dub und Bassmusik, die minimalistische Sortiertheit als musikalische Schwarzweissfotografie, der konsequente Einsatz des stimmlichen Gurgelwassers, abgedunkelte Pianoeinwürfe da und dort. Auch thematisch bleibt Trettmann in der dreieckigen Komfortzone aus Liebe, Rave und bübischer Dominanzpose. Mit «Stolpersteine» wird an derselben Stelle wie beim Vorgängeralbum eine nachdenkliche Consciousness-Nummer eingestreut. Der Plan, eine flüchtige Liebesgeschichte mit dem deutschen Erinnerungsdiskurs zu verschränken, bleibt lyrisch allerdings wenig fruchtbar. Schliesslich sind es die unverblümten Annäherungen an einen für das Spotify-Auditorium optimierten Gleichstrompop, die ein wenig ratlos machen. Die Wiedererkennung der Marke aber greift, die Sonnenbrille sitzt, und die Hitsingle «Zeit steht» sticht.

Aber die Zeit steht nicht still. Der im Internet aufgewirbelte Musikmarkt streckt sich nach den gültigen Erfolgsformeln und ist gleichzeitig um eine immer rastlosere Trendforschung bemüht. Ein denkbar hartes Pflaster für den Zweitling, ein umso härteres noch für einen Künstler wie Trettmann, für den die Zeitrechnung schon einmal komplett zurückgestellt wurde – in einem Alter, da andere sich für ayurvedische Ernährung zu interessieren beginnen oder in den Bergsport flüchten.

Trippelnd gegen steife Hüften

Dass er auch auf dem neuen Album politisch nicht über einen gut gemeinten Versuch hinauskommt, war zu erwarten. Denn Trettmann ist kein Lyriker der grossen Diskurse, noch wird er zum verlässlichen Herzschrittmacher deutschsprachiger Popmusik werden. Dafür ists ihm zu wohl hinter der schwarzen Sonnenbrille. Auch mit dem zweiten Album bietet er dem Mainstream eine feinfühlige Alternative an – und wenn er in «Bye Bye / Delicious» nach einer Minute und zehn Sekunden zur ersten Strophe aufschlägt, so anmutig trippelnd und hinreissend, wie es nur ihm gelingt, dann fällt es schwer, einem Roger-Federer-Vergleich zu widerstehen. In Momenten wie diesen ist Trettmann Meister seiner Kunst. Dann ist er der seltsame Junge, der dem deutschen Dancehall die Hüftsteifheit ausgetrieben hat.

Trettmann: Trettmann. Soulforce Records. 2019