Umweltpolitik: Wege aus der Abhängigkeit

Nr. 42 –

Notrecht? Solaroffensive? Massive CO2-Abgabe? Oder eine dritte Parlamentskammer? Vorschläge, wie die Schweiz möglichst schnell von den fossilen Energien wegkommen könnte.

Solarpanels über der Wiese: Im waadtländischen Payerne müssen Schafe ihre Weidefläche bereits teilen. Foto: Jean-Christophe Bott, Keystone

Es muss nun verdammt schnell gehen. Die Staatengemeinschaft, einschliesslich der Schweiz, hat mehrere Jahrzehnte vertrödelt, in denen man sich schrittweise von den klimaschädigenden fossilen Brennstoffen hätte befreien können. Jetzt pressiert es: Laut dem neusten Uno-Klimabericht sind beispiellose Anstrengungen nötig, um die Klimaerwärmung zu verlangsamen.

Nach den Wahlen vom Sonntag kommt in der Schweiz die Stunde der Wahrheit. Der Bundesrat hat sich inzwischen zum Ziel gesetzt, den Treibhausgasausstoss bis 2050 auf netto null zu senken. Die Grünliberalen wollen netto null bis 2040, die Grünen gar bis 2030, wie es auch die Klimastreikbewegung fordert. Die SP wiederum hat einen «Marshallplan» entwickelt, der auf hohen staatlichen Investitionen basiert, aber etwa auch die Pflicht zur Sanierung von schlecht isolierten Gebäuden beinhaltet.

Für Philippe Thalmann, Umweltökonom an der ETH Lausanne, ist es eine Frage der Fairness, dass ein reiches und hochindustrialisiertes Land wie die Schweiz seinen Ausstoss möglichst schnell auf null senkt. Dieses Ziel bis 2030 zu erreichen, sei nicht unmöglich: «Das bedingt jedoch wohl Notrecht», schränkt er ein. Nur so könnte ein Bündel von Massnahmen schnell in Kraft gesetzt werden. Mit einem revidierten CO2-Gesetz allein sei das nicht zu schaffen. Wie kann die Schweiz also ganz konkret möglichst schnell klimaneutral werden?

Weg von Auto und Ölheizung

In den letzten Wochen sind einige Debattenbeiträge zu diesem Thema erschienen. Dabei ist den ExpertInnen klar, dass es kurz- bis mittelfristig auch Verbote braucht, um den Umstieg zu schaffen. Unbestritten ist etwa, dass man den Einbau neuer Ölheizungen per sofort stoppen könnte, zumal nachhaltige und ähnlich günstige Alternativen vorhanden sind.

Ausserdem braucht es eine CO2-Lenkungsabgabe, die die Menschen zum Umstieg bewegen würde: weg vom Benzin- und Dieselauto, weg von der alten Ölheizung. Im neuen CO2-Gesetz, das der Ständerat kürzlich beraten hat, ist diese Abgabe allerdings viel zu tief, um diesen Effekt zu erzielen. Die Gewerkschaftszeitung «Work» fordert deshalb, die Abgabe pro Tonne CO2-Ausstoss jährlich um zehn Franken zu erhöhen. Der anonyme Autor (vermutlich der ehemalige SP-Parteipräsident Peter Bodenmann) gibt sich überzeugt, dass die Schweiz durch eine «intelligente Steuerung des notwendigen ökologischen Umbaus» sowie die Nutzung des technischen Fortschritts bis 2030 «relativ problemlos» klimaneutral werden könnte.

Noch weiter geht der Autor Beat Ringger in seinem kürzlich veröffentlichten Buch «Das System-Change-Klimaprogramm»: Faktisch per sofort soll die CO2-Abgabe auf fossile Energieträger, Flugtickets und den Konsum von Fleisch aus Massentierhaltung so erhöht werden, dass sie massiv spürbar ist. Ein Liter Benzin würde demnach zwei Franken kosten, ein Flug 300 Franken zusätzlich. Wie das «Work» will auch Ringger die so eingenommenen Gelder vollumfänglich zurück an die Bevölkerung verteilen. Er rechnet mit tausend Franken pro Person und Jahr, die jene belohnen, die sich klimafreundlich verhalten.

Während beim «Work» und bei Ringger die Höhe der Abgaben ziemlich willkürlich ist, bringt der Klimacampaigner Peter Vogelsanger auf seiner Website «Klimaatelier» eine auf den ersten Blick bestechend einfache Variante ins Spiel: Die CO2-Abgabe soll gleich hoch ausfallen, wie die Kosten sind, um die entsprechende Menge CO2 wieder aus der Luft zu entfernen. Die nötige Technologie dafür gibt es inzwischen. Der Preis, um eine Tonne CO2 aus der Luft zu entfernen, liegt laut Vogelsanger derzeit bei rund 650 Franken. Der Liter Benzin würde so um rund 1.50 Franken verteuert. Dasselbe soll auch für importierte Güter gelten, zu deren Herstellung Treibhausgase emittiert wurden, wie etwa Batterien für Elektroautos. Das würde Kostenwahrheit herstellen.

Die Technologie, die nötig ist, um CO2 aus der Luft zu entfernen, erfordert aber sehr viel (nachhaltigen) Strom, der dann an anderen Orten fehlt. Ausserdem sind Milliardeninvestitionen nötig, um die Technologie serienreif zu machen und grossflächig einzusetzen. Der Vorteil ist allerdings absehbar: Je mehr investiert wird, desto schneller würde wohl auch der Preis sinken. Umweltökonom Thalmann hat jedoch grundsätzliche Bedenken gegenüber einem sofortigen massiven Anstieg der CO2-Abgabe: «Sie ist dann eine Strafe und keine Lenkungsabgabe mehr.» Wer noch vor kurzem ein Benzinauto gekauft oder eine neue Ölheizung installiert habe, würde «praktisch enteignet».

Ein Vorteil des langen Zauderns

Eine zentrale Rolle auf dem Weg aus der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern kommt hierzulande der Solarenergie zu. Sie kann den nötigen Strom liefern, um etwa gut isolierte Gebäude mit Wärmepumpen zu beheizen und damit Ölheizungen zu ersetzen. Sie kann zudem zur Elektrifizierung des Verkehrs beitragen und somit Benzin und Diesel ersetzen. Und sie kann, zumindest teilweise, den Strom der AKWs ersetzen. In seinem kürzlich erschienenen Buch «Sonne für den Klimaschutz» entwickelt SP-Fraktionspräsident Roger Nordmann einen Ansatz, wie die Schweizer Energieversorgung dank Fotovoltaik grundlegend umgebaut werden kann. Abgesehen von wenigen Wintermonaten, in denen CO2-ausstossende Gaskraftwerke unterstützend wirken sollen, könnte die Schweiz nachhaltig genügend Strom für das ganze Land produzieren.

Nordmann rechnet vor, dass dazu nur «ein Bruchteil» jener Investitionen nötig sei, die in den sechziger Jahren für Wasser- und Atomkraftwerke getätigt wurden. Das ist der Vorteil des langen Zauderns: Ein Solarpanel kostet heute noch ein Zehntel des Preises von vor fünfzehn Jahren. Andererseits ortet Nordmann, der auch Präsident von Swissolar ist, ein riesiges Potenzial auf Gebäudedächern und an Fassaden, auf Strassen, Parkplatzüberdachungen, Autobahnböschungen und sogar auf Stelzen über Weideflächen. In den Alpen seien Fotovoltaikanlagen besonders effektiv, da dort die Strahlung intensiver ist und auch im Winter nur selten Nebel herrscht. Dennoch: Speziell in den Wintermonaten wird der Ertrag zu tief sein.

Nordmann will deshalb den Strom speichern. Wenn Solaranlagen zu viel Strom produzieren, soll damit Wasser in die Stauseen gepumpt werden. Deshalb müssten auch die Staumauern erhöht werden. Zudem könnten intelligente Stromnetze Überschussproduktionen erkennen und dynamische Lastenverschiebungen in Gang setzen, sodass bei Stromüberschuss etwa Wasserboiler aufgeheizt würden.

Synthetisches Öl aus der Wüste

Das «Work» warnt allerdings davor, einseitig auf den Ausbau der Solarenergie zu setzen: «Man handelt sich damit nur eine Menge Probleme ein.» Im Sommer habe man zu viel Strom, im Winter zu wenig. Die angestrebte Stromautarkie sei «ein Schuss ins eigene Knie». Besser sei es, die Entwicklungsländer ihren Standortvorteil nutzen zu lassen – «ganz im Sinne eines nichtimperialen Marshallplans». So soll die Nationalbank zwanzig Milliarden Franken für den Bau von Solarkraftwerken in Nordafrika investieren, mit denen sich – etwa mit aus der Luft gewonnenem CO2 – synthetisches Heizöl produzieren liesse. Um die Zeit zu überbrücken, in der es zu wenig einheimischen Strom aus Solar-, Wind- und Wasserkraft gibt, könnten mit diesem Öl Notstromaggregate betrieben werden.

So gut die Idee tönt – wirklich ausgereift ist sie nicht. Synthetischen Brennstoff herzustellen, ist zwar möglich – es gibt inzwischen mehrere Verfahren dazu –, doch im grossen Stil machbar ist es noch nicht. Der Ansatz von Ringger geht da weiter. Zwar setzt auch er auf neue Technologien, schmiedet aber gleichzeitig Pläne für einen gesellschaftlichen Wandel, bei dem weniger Konsum ein zentrales Element ist: ein System Change eben.

So schlägt er etwa vor, die Arbeitszeit zu verkürzen und staatlich bezahlte Sabbaticals einzuführen, um den Konsumismus zu bremsen. Zudem soll die Sharing Economy gefördert und Werbung verboten werden, die den Konsum anheizt. Ganz im Geist des «Green New Deal» aus den USA will Ringger auch klimagerechte Jobs fördern, speziell im Bereich der Care-Ökonomie.

Wahlrecht ab fünfzehn

Für diesen Umbau will Ringger die ganze Gesellschaft mobilisieren. So sollen Klimaräte an Schulen und Universitäten, in Dörfern und Quartieren mit staatlichen Stipendien gefördert werden – und, nach dem Vorbild der Klimabewegung, als «Kristallisationspunkt des Wandels» dienen. Institutionell verankert werden soll diese Kraft in der Schaffung einer dritten Parlamentskammer, die in allen klimarelevanten Geschäften mitreden könnte. Alle Personen mit Jahrgang 1990 und jünger sollen dort ab ihrem 15. Lebensjahr das passive und aktive Wahlrecht haben.

Die Pläne von Ringger sind zwar eine gute Diskussionsgrundlage für die Frage, wie Veränderung langfristig stattfinden könnte. Für den nötigen kurzfristigen Wandel scheinen sie jedoch kaum tauglich. Unklar bleibt, wie Ringger das Bewusstsein der Menschen in wenigen Jahren grundlegend verändern will. Kein Thema ist für ihn etwa der Warenfetischismus. Wieso wollen so viele Leute teure Markenprodukte? Ein viel zu grosses Auto mit einer Maximalgeschwindigkeit, die nie gebraucht wird? Diese «Materialschlacht», wie Ringger es nennt, lässt sich nicht von heute auf morgen beenden. Konsumverbote würden vor allem Frustration hervorrufen und zu politischen Blockaden führen.

Was Beat Ringger jedoch den rein technokratischen Vorschlägen voraushat: Er bringt konkrete Ideen, wie eine breite gesellschaftliche Debatte in Gang gesetzt werden kann. Ohne diese Debatte wird es sowieso nicht gehen.

Beat Ringger: «Das System-Change-Klimaprogramm» (kann auf www.denknetz.ch kostenlos heruntergeladen werden).

Roger Nordmann: «Sonne für den Klimaschutz». Zytglogge Verlag. Basel 2019. 190 Seiten. 26 Franken.