Ausländergesetz, Asylgesetzrevision: Du nicht! Du! Du nicht!

Die Schweiz ist ein Einwanderungsland, das sich demnächst die willkürlichen Einwanderungsgesetze eines autarken Bergbauernvolkes gibt.

Die Schweiz formuliert ihre Migrationspolitik neu. Der Zeitpunkt wäre ideal: Von 2002 auf 2003 sind die Asylgesuche von über 26 000 auf knapp 21 000 zurückgegangen, und in den drei ersten Monaten dieses Jahres nahmen sie im Vergleich zum Vorjahr noch einmal um 14 Prozent ab.

Da sollte eine sachliche Diskussion möglich sein. Da könnte es eine Chance sein, dass der Nationalrat nächste Woche in einer Sondersession das Asylgesetz von 1998 revidiert und ein neues «Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer» (AuG) traktandiert hat.

Leider ist die Chance bereits vertan.

Das AuG dient nach den Worten des Bundesrats der «Regelung der Zulassung und des Aufenthalts von erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Ausländerinnen und Ausländern, die nicht aus EU- oder Efta-Staaten stammen und die nicht zum Asylbereich gehören».

Wo «Ausland» beginnt

Es geht beim AuG also um ein so genanntes «Zweikreisemodell»: im einen Kreis die BürgerInnen aus den EU- und Efta-Staaten, deren Status durch das EU-Freizügigkeitsabkommen geregelt ist; im anderen die «AusländerInnen», das heisst all jene NichtschweizerInnen, die keine verwandtschaftlichen Beziehungen zu EU- oder Efta-BürgerInnen haben.

Das «Ausland» des AuG beginnt an den Aussengrenzen der EU. Heute gibt es in der Schweiz aber rund 15 000 ArbeitsmigrantInnen aus dem EU-Raum und nur rund 4000 aus diesem «Ausland». Nach der EU-Osterweiterung, so schätzt der Migrationsspezialist Marc Spescha, würde der Regelungsbereich des AuG höchstens noch 25 bis 30 Prozent der Migrationsfälle betreffen. Andersrum: In acht von zehn Fällen wird die Schweiz nicht ihr AuG, sondern EU-Recht anwenden.

Trotzdem kann der Schweizer Gesetzgeber nicht auf die Rhetorik der «Ausländerinnen und Ausländer» verzichten. Nachdem die CVP-Nationalrätin Rosmarie Simmen 1993 mit einer Motion ein «umfassendes Migrationsgesetz» gefordert hatte, fand eine willfährige Fachkommission heraus, die Schaffung eines solchen Gesetzes sei «wegen rechtlicher, gesetzgeberischer und politischer Schwierigkeiten» abzulehnen. Zehn Jahre später fehlt dem mehrheitlich bürgerlichen Parlament der politische Wille zu einem «umfassenden Migrationsgesetz» immer noch.

Widerstand von links wie rechts

Und die links-grüne Opposition? Symptomatisch für ihre Kraftlosigkeit ist der Minderheitsantrag, der fordert, dass im Gesetzestitel «Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer» das Wort «über» durch «für» zu ersetzen sei. Wo der Widerstand derart schwächelt, war es zweifellos vernünftig, dass Grüne und SP schon in der vorberatenden Nationalratskommission vorschlugen, das Gesetz per Nichteintretensantrag als unbrauchbar an den Bundesrat zurückzuschicken. Begründung: Das AuG sei ein Abwehr- und Polizeigesetz, es verstärke «den Brain-drain in den Herkunftsländern», es vermische «das Ausländer-, das Asylrecht und die Integrationspolitik», und das Zweikreisemodell sei inakzeptabel.

Widerstand gegen das Gesetz kommt nicht nur von links. Kurt Wasserfallen (FDP) hat einen Rückweisungsantrag gestellt, weil er das Gesetz als Ganzes «strenger ausgestalten» will. Und der Schweizer Demokrat Bernhard Hess will zuerst einmal den Anteil der «AusländerInnen» in der Schweiz auf dem Ist-Zustand stabilisieren.

Deshalb öffnet sich in der nationalrätlichen Eintretensdebatte ein weites taktisches Feld: Eintreten oder nicht eintreten? Nicht eintreten oder rück-weisen? Und wenn rückweisen, dann nur mit einem linken Antrag, oder notfalls im Beiboot eines Kurt Wasserfallen oder eines Bernhard Hess?

Die Fraktion der Grünen und die Mehrheit der SP-Fraktion will vorerst für Nichteintreten stimmen: Zwar sei das geltende Recht schlecht, hört man aus ihren Reihen, aber die Debatte des AuG werde mit grosser Wahrscheinlichkeit etwas noch Schlechteres bringen.

Untaugliche Grundlage

Dass der Entwurf des AuG «ein äusserst widersprüchliches Kompromisswerk» ist, einer anachronistischen Überfremdungsabwehr verhaftet und «als Grundlage für eine weitsichtige Migrationspolitik untauglich», sagt auch Migrationsspezialist Marc Spescha. Aber als Anwalt, der mit dem Gesetz wird arbeiten müssen, differenziert er: «Beim Familiennachzug, bei den Härtefällen, bei den Legalisierungsmöglichkeiten von Sans-Papiers, und im Bleiberecht bringt der Entwurf im Vergleich zum heutigen Zustand teilweise Verbesserungen.» Er wird sich deshalb erst nach den Debatten in National- und Ständerat (frühestens im Herbst) entscheiden, ob er das AuG ablehnt oder nicht.

Was ein Migrationsgesetz wäre

Für Thomas Kessler, den Delegierten für Emigrations- und Integrationsfragen der Stadt Basel, ist das AuG «bis in die Fundamente hinein Ausdruck eines Flickwerks, das mehr die bisherige Gesetzgebung revidiert als neues Recht schafft». Dass die Schweiz heute rund eine Milliarde Franken für Asylpolitik, aber nur gerade 14 Millionen für die Integration ausgibt, verweise auf die Lebenslüge, auf der auch der Gesetzesentwurf zum AuG basiere, dass nämlich die Schweiz kein Ein- und Auswanderungsland sei.

«Es braucht ein grundlegend neues und umfassendes Migrations- und Integrationsgesetz», sagt Kessler, das sich «nüchtern und menschlich» an Wissenschaftlichkeit und Faktentreue orientiere. Seit 1848 sei die Schweiz ein Migrationsland und habe damit gesellschaftlich und wirtschaftlich Erfolg gehabt.

Aus dieser Tatsache müsse das Land seine Identität ableiten und ein Migrationsgesetz auf drei Pfeilern bauen: «Auf einer Welcome-Kultur nach klaren Kriterien, die nicht von Abwehr und Misstrauen dominiert wird, auf einer offensiven Integrationspolitik und auf dem konsequenten Vollzug gegen ausländische Kriminelle» (Mehr dazu auf: www.welcome-to-basel.bs.ch).

Xenophober Wahn

Stattdessen debattiert das Parlament nächste Woche einen Entwurf zu einem neuen Ausländergesetz. Aus der Vorlage spricht die xenophobe Identität eines Menschenschlags, der im Wahn lebt, einem autarken Bergbauernvolk anzugehören, das noch nie einen «Ausländer» gebraucht habe.

Was das neue Ausländergesetz bringt

Das neue Ausländergesetz (AuG) legt fest, welche NichtschweizerInnen wie und wie lange in der Schweiz leben und arbeiten dürfen – und wie mit jenen SchweizerInnen umzugehen ist, die dem Gesetz zuwiderhandeln, weil sie seine Unmenschlichkeiten nicht hinnehmen wollen.

· Aufnahme: Das AuG will eine Elitemigration von «Führungskräften, Spezialisten» oder «anderen qualifizierten Arbeitskräften», deren «berufliche Anpassungsfähigkeit, Sprachkenntnisse und Alter eine nachhaltige Integration in den schweizerischen Arbeitsmarkt erwarten lassen». Erwünscht sind zudem InvestorInnen, UnternehmerInnen sowie «anerkannte Personen aus Wissenschaft, Kultur und Sport».

· Familiennachzug: Er ist quantitativ bedeutungsvoller als die Arbeitsmigration. Darum ist umstritten, wie restriktiv die Fristen für Nachzugsanträge und die Alterslimiten der Kinder festgelegt werden. Wird eine Ehe aufgelöst, können nachgezogene Ehegatten und Kinder nur dann in der Schweiz bleiben, wenn sie «wichtige persönliche Gründe» haben. Die Nationalratskommission will, dass alle bleiben können, wenn die Ehe drei Jahre gedauert hat «und eine erfolgreiche Integration besteht».

· Saisonniers: Der Bundesrat wollte das Saisonnierstatut abschaffen. Die SVP will weiterhin Billigstarbeitskräfte für die Landwirtschaft aufnehmen. Sie fordert deshalb «Aufenthalte bis zu höchstens sechs Monaten (...) für einen bestimmten Aufenthaltszweck» ohne die Möglichkeit einer Verlängerung oder einen Anspruch auf Familiennachzug.

· Aufenthalt: Bei Kurz- und JahresaufenthalterInnen wird ein Wohnortswechsel über die Kantonsgrenzen hinweg bewilligungspflichtig und bei Arbeitslosigkeit verboten. Die Überwachung von «Ausländern und Ausländerinnen» soll verschärft werden, indem die Vollmacht der Behörden, persönliche – auch biometrische - Daten zu sammeln, zu bearbeiten und weiterzugeben, ausgedehnt wird.

· Scheinehen: Hegen Zivilstandsbeamte den Verdacht, Brautleute wollten eine Scheinehe zur Umgehung des AuG eingehen, können sie neu ihre Zustimmung verweigern. Für ihre Ermittlungen dürfen sie im Umfeld der Betroffenen schnüffeln. Wer eine solche Ehe eingeht oder vermittelt, macht sich strafbar.

· Ausreise: Niederlassungsbewil- ligungen können neu widerrufen werden, wenn jemand «im Ausland» in schwerwiegender Weise gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung verstossen hat oder wenn «eine Person, für die er oder sie zu sorgen hat, dauerhaft und in erheblichem Mass auf Sozialhilfe angewiesen ist».

· Abschreckung: Ein Jahr Gefängnis oder eine Busse bis zu 20 000 Franken riskiert, wer die rechtswidrige Ein- und Ausreise oder den rechtswidrigen Aufenthalt einer ausländischen Person erleichtern oder vorbereiten hilft – auch dann, wenn dies aus achtenswerten Gründen geschieht und die Person als Flüchtling anerkannt wird.

Was die Asylgesetzrevision bringt

Neu geregelt werden sollen das Asylverfahren, die Wegweisungsentscheide und der Vollzug des Gesetzes. Der Bundesrat spricht davon, dass das Gesetz den «neuen Herausforderungen angepasst und den Entwicklungen in der EU angeglichen werden soll». Die SP ist der Ansicht, dass die Revision «offensichtlich nur noch der Abschreckung und Vertreibung» diene. Umstritten sind folgende Punkte:

· Nichtstaatliche Verfolgung: Die meis-ten Länder erkennen heute AsylbewerberInnen an, die vor der Verfolgung durch parastaatliche Einheiten, durch mafiöse Vereinigungen oder durch Dorfgemeinschaft, Sippe oder Ehemann fliehen («Schutztheorie»). Mit zwei wichtigen Ausnahmen: Deutschland, das nächstens eine EU-Richtlinie im Sinn der Schutztheorie übernehmen wird, und die Schweiz. Hier wird die «Zurechenbarkeitstheorie» angewendet, die einzig dem Staat zurechenbare Verfolgung als Fluchtgrund anerkennt. Der Aargauer FDP-Asyl-Hardliner Phi-lipp Müller will den Satz «Es gilt der Grundsatz der Zurechenbarkeitstheorie» ins Gesetz einfügen.

· Asylverfahren: Umstritten ist die «Drittstaatenregel», wonach Gesuche von Leuten, die aus einem «sicheren Drittland» einreisen, nicht mehr geprüft werden sollen. Diese Regel kann für das Binnenland Schweiz, das 98 Prozent der Asylsuchenden auf dem Landweg erreichen, die faktische Aufhebung des Asylrechts bedeuten. Umstritten sind weiter die Verkürzung der Beschwerdefrist bei Nichteintretensentscheiden, die Internierungslager («Bundeszentren») und die Arbeitsverbote, die Lockerung des Datenschutzes gegenüber den Herkunftsländern, die Aufnahme von biometrischen Daten, die Gewährleistung einer Rechtsvertretung, die Einführung von Einzelrichterentscheiden bei Rekursen sowie die Ausweitung der Zwangsmassnahmen, insbesondere der Haftgründe.

· Vorläufige Aufnahme: Vorläufig aufgenommen werden heute in der Schweiz Bürgerkriegsflüchtlinge, medizinische Härtefälle oder Menschen in schwerwiegenden persönlichen Härtefällen (die SVP beantragt, dieses Schlupfloch für Einzelfallregelungen bei Sans-Papiers zu streichen). Vorläufig Aufgenommene leben oft jahrelang ohne Integrationsmöglichkeit in einem Dauerprovisorium. Der Bundesrat will diesen Status neu in eine «humanitäre» und eine «provisorische» Aufnahme splitten, wobei Letztere der jetzigen «vorläufigen» entspricht. Der humanitäre Status soll zusätzliche Integrationsangebote bringen. Um Wirkung zu zeigen, müssten diese aber nach Einschätzung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe SFH deutlich verbessert werden, insbesondere beim Zugang zum Arbeitsmarkt, zur Sozialhilfe und zu Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten sowie beim Familiennachzug.

· Entwicklungszusammenarbeit: Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats beantragt, die Entwicklungszusammenarbeit mit Drittländern davon abhängig zu machen, ob diese abgewiesene AsylbewerberInnen zurücknehmen.