Blockade in Fideris statt Demo in Davos: Ein Traum für Fanatiker

Es hätte in Davos eine starke Demonstration geben können. Die Sonne strahlte vom stahlblauen Himmel, Schneeberge und frisch verschneite Tannenwälder boten ein bezauberndes Panorama. Zehntausend Leute wären am doppelt und dreifach eingegitterten Kongressgebäude vorbeimarschiert, um den führenden Wirtschaftsbossen ihre Verachtung zu zeigen. Die Demo hätte, abgefilmt von dutzenden von Fernsehkameras, verfolgt von hunderten von JournalistInnen, ein deutliches Signal in die Welt gesendet: gegen die unkontrollierte Macht der Konzerne, gegen den Krieg und für soziale Gerechtigkeit weltweit. Die Grosskundgebung hätte Mut gemacht für weitere Aktionen.

Hätte, hätte, wäre, wäre.

Statt Davos wurde Fideris zum Symbol. Die drohende Konfrontation in Fideris hielt wohl bereits tausende davon ab, überhaupt den Weg ins Bündnerland auf sich zu nehmen. An diesem Ort verdichtete sich das polizeilich-militärische Dispositiv. Hier sollten die DemonstrantInnen auf ihrer Anfahrt nach Davos als potenzielle GewalttäterInnen behandelt und nach Gutdünken kontrolliert werden. Die aufgebauten Sperren, Gatter und Zelte waren ein Traum für Ordnungsfanatiker. Hunderte von Genfer Bereitschaftspolizisten sollten einen Kessel bilden und allen von vornherein klar machen, wer hier die Macht hat.
Die Entscheidung des Oltner Bündnisses, diese Kontrollen zu boykottieren, war deshalb verständlich. Bei tausenden von Demonstrierenden bestand die Gefahr, dass sich die Situation hochschaukelte. Es gibt immer einige Selbstdarsteller, die glauben, eine im dümmsten Moment abgefeuerte Knallpetarde sei eine emanzipatorische Handlung. Eine polizeiliche Tränengasgranate, als Antwort in die wartende Menge gefeuert, hätte eine Panik auslösen können.

Es gab aber noch andere gute Gründe, Fideris nicht zu akzeptieren:
• Weil Demonstrieren ein Grundrecht ist und nicht die Polizei bestimmen darf, wer mitlaufen soll.
• Weil Kontrollen für Demos nicht mit Kontrollen an Fussballspielen zu vergleichen sind; das eine findet im öffentlichen Raum statt, das andere in einem privaten Gelände.
• Weil alle durch die Personenkontrollen erfassten Daten nur den Schnüffelstaat stärken.
• Weil kein Präjudiz geschaffen werden soll.

Fideris war von staatlicher Seite aus ein Versuch, den Spielraum für polizeiliche Kontrolle und Datenerfassung weiter auszubauen. Die Erfahrungen der vierzigköpfigen Reisegruppe, welche zwei Tage später an einer bewilligten Kundgebung gegen die staatliche Flüchtlingspolitik in Davos teilnehmen wollte, sprechen Bände. Die Polizei hielt den Bus der Gruppe vor Davos an und wollte sämtliche Ausweise der Mitfahrenden sehen. Die Gruppe weigerte sich und musste unverrichteter Dinge wieder nach Hause fahren.
Fideris hätte mit genügend politischem Druck deblockiert werden können. Dass dies nicht gelang, ist der Uneinigkeit der Linken zuzuschreiben. Die sozialdemokratische Parteileitung distanzierte sich vom Oltner Bündnis. Sie stufte Fideris als unbedenklich ein und brüskierte damit auch gleich noch ihre Jugendorganisation. Für den Bündner SP-Präsidenten Peter Peyer ist «die Zeit des Schnüffelstaates vorbei», und man müsse auch der Polizei eine positive Veränderung zugestehen.
Auch die Grüne Partei, Mitglied im Oltner Bündnis, war in ihrer Rolle heillos überfordert. Ohne innere Überzeugung, sondern weil die Verweigerungsposition nicht mehr kommunizierbar gewesen sei, wie Nationalrätin Pia Hollenstein sagt, wollte man sich plötzlich den Kontrollen in Fideris doch unterziehen.
Über die Position der Gewerkschaften herrschte Tage vor der Demo ebenfalls Konfusion. Die Leitung der Metallgewerkschaft Smuv fand die Sperre von Fideris zunächst akzeptabel. Erst am Samstag selbst wurde klar, dass alle per Reisecar angereisten GewerkschafterInnen die Fideriser Schleusen ablehnten und sich den Kontrollen nicht unterziehen wollten. Die GewerkschafterInnen spielten daraufhin eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen mit der Polizei. Dadurch konnten wenigstens die Insassen eines Zuges ohne Schleusenkontrolle Fideris passieren. Die GewerkschafterInnen fuhren daraufhin weiter nach Davos, im Glauben, die Schleusen seien nun endgültig vom Tisch. Sie vertrauten fälschlicherweise dem Wort des polizeilichen Unterhändlers.
Wie geht es jetzt weiter? Die Gewerkschaften GBI und Smuv sagten am Montag an einer Pressekonferenz, dass sie künftig eine aktivere Rolle in der Antiglobalisierungsbewegung spielen wollten. Von der SP-Leitung und den Grünen haben sie sich klar distanziert. Auch die SP-Nationalräte Nils de Dardel und Franco Cavalli sowie die SP-Delegation, die an den Weltsozialgipfel nach Porto Alegre reiste, verurteilten die Manöver ihrer Parteileitung. Cavalli widersprach der Behauptung der SP-Leitung, die DemoorganisatorInnen vom Oltner Bündnis hätten tausende daran gehindert, sich in Fideris den Kontrollen zu unterziehen.
Für das nächstes Mal, meinen bürgerliche Kommentatoren und die Bündner Regierung, sollten sich die Gewerkschaften zusammen mit der SP an die Spitze der Bewegung stellen und das Gesuch für die Demobewilligung einreichen. Vielen GewerkschafterInnen dürfte aber ein solches Szenario Mühe bereiten. Die SP ist zur Mobilisierung von DemonstrantInnen ungeeignet. Gerade die GBI, welche innerhalb der nächsten zwei Jahren eine umfassende Fusion mit der Gewerkschaft Smuv durchzuführen gedenkt, vertritt eine sehr kämpferische Linie. Streiks und Blockadeaktionen gehören schon fast zum Tagesgeschäft. Das rückt sie in die Nähe von BewegungsaktivistInnen und eher weg von der legalistischen Sozialdemokratie.
Auch die AktivistInnen des Oltner Bündnisses müssen nun überlegen, wie es weitergehen soll. Für eine erfolgreiche Demo nächstes Jahr in Davos wäre eine grössere Trägerschaft nötig. Am Samstag selbst waren die Kräfte schlicht zu klein, um gleichzeitig in Davos, Fideris und Landquart mit genügend Leuten präsent zu sein. Eine engere Zusammenarbeit von Oltner Bündnis und Gewerkschaften wäre sinnvoll. Knackpunkt bei einer solchen Zusammenarbeit dürfte die Gewaltfrage sein, genauer: die Definition, von welchen Handlungen sich die OrganisatorInnen der Demo abgrenzen wollen.