Bunker-Outing: Geheimnis von gestern

Der Widerstand gegen das Wef ist nicht nur laut. Auch fein versteckt und leise geht es. Beim Enttarnen der geheimen Kommandozentrale der Armee beispielsweise.

Seit letztem Dienstag muss die Schweizer Armee um ein Geheimnis weniger besorgt sein. Die Kommandozentrale für den Wef-Einsatz wurde gerade enttarnt: Sie liegt in einem unterirdischen Bunker im Waldstück Foppas, auf halbem Weg zwischen Parpan und Valbella im Kanton Graubünden. Einige Medien – darunter die WOZ – sind am Dienstag von der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA), der Juso, der Jungen Grünen und der Theologischen Bewegung für Solidarität und Befreiung zu einem Ausflug in die Bündner Berge eingeladen worden.

Überraschung im Wald

Das schmale Strässchen, das von der Kantonsstrasse abzweigt, ist schneebedeckt. Reifenspuren mit grobem Profil weisen darauf hin, dass hier schwere Fahrzeuge verkehren. Und siehe da: Schon kurz nachdem sich die Gruppe der dreissig mehrheitlich jungen ArmeegegnerInnen in Bewegung gesetzt hat, taucht auch schon der erste Armee-Personentransporter auf. Der mit Soldaten beladene Lastwagen entschwindet in einer lang gezogenen, leicht ansteigenden Linkskurve weiss in weiss ins winterliche Nirgendwo. Nach wenigen Minuten Fussmarsch wird die Schneelandschaft zur seltsamen Szenerie. Leistungsstarke Scheinwerfer, veritable Antennenbäume, eine Containerbaracke; und ein grossräumiger Zaun drum herum. Ein gutes Dutzend Soldaten stehen Wache. Keine Spur dessen oder derer, die sie mit der Waffe im Anschlag beschützen. Dann ein paar Schritte auf dem frisch gewalzten Winterwanderweg, entlang dem äusseren Abschrankungsring. Die kleine Holzscheune ist derart mit Tarnnetzen behangen und Stacheldrahtrollen eingezäunt, dass es wenig Fantasie braucht, um hier den Eingang in die unterirdische Kommandozentrale auszumachen. Nur unweit dahinter lugt ein massives Betonportal zwischen den Tannen hervor, als harmlos getarnt mit der Aufschrift «Wasserversorgung».

Paranoia unter Tage

So skurril der sichtbare Teil der schwer bewachten Anlage wirkt, so unbekannt ist deren Innenleben. Dass es sich um die Kommandozentrale für den Wef-Einsatz handeln muss, schliesst die GSoA aus einem dokumentierten Gespräch mit einem WK-Soldaten, der im vergangenen Jahr dort Dienst geleistet hatte. Als er das Aufgebot erhalten habe, rechnete er damit, irgendwelche Gebäude oder Telefonmasten zu bewachen, sagte der anonyme Soldat. «Nicht im Traum dachte ich daran, im Wef-Kommandobunker zu landen.» Die Stimmung unter Tage sei die ganze Zeit äusserst angespannt gewesen, da insbesondere die Offiziere befürchteten, Ziel von Aktionen der Wef-Gegner zu werden. «Einige Offiziere glaubten ernsthaft, dass 'Chaoten' von der Bergseite her auf Schlitten oder Skiern angreifen würden.» Genaueres über Aussehen und Einrichtung des Bunkers war vor Ort nicht zu erfahren, obwohl die protestierenden ArmeegegnerInnen auf einer «Inspektion» der Anlage beharrten.

Aldo C. Schellenberg, Oberst im Generalstab, getraute sich zwar aus der Gitterumzäunung, wollte aber weder bestätigen noch dementieren, dass es sich hier um die Schaltzentrale für den Wef-Einsatz handle. Das Geheimnis wird selbst im Moment seiner Enttarnung gut gehütet. Immerhin ist aus öffentlich zugänglichen Unterlagen einiges bekannt.

Eiger und Palü

Aufschlussreich ist etwa ein Blick in die bundesrätlichen Botschaften über militärische Immobilien der vergangenen Jahre. In der Rubrik «Verpflichtungskredite für Vorhaben bis 10 Millionen Franken» figurieren jeweils mehrere Posten zugunsten von Anpassungs- und Erneuerungsarbeiten an «Anlagen der höheren Führung». Als Bezügerorganisation der Kredite ist die Untergruppe «Operationen» des Generalstabs aufgeführt. In den Bauprogrammen für die Jahre 2002 und 2003 haben diese Anlagen, die nichts anderes als Kommandoposten der Armee sind, sogar Namen. Eiger und Palü heissen zwei davon. Viel Fantasie brauchts nicht, um ans Berner Oberland und an Graubünden zu denken; noch weniger Erfindungsgeist, um Palü mit dem Wef-Bunker bei Parpan in Verbindung zu bringen. In der Botschaft über militärische Immobilien für das laufende Jahr tauchen die beiden Codenamen nicht mehr auf, dafür erfahren wir, dass eine bestehende «Anlage der höheren Führung» zum Kommandoposten ausgebaut wird. Das betreffende Bauprojekt sei zudem ein «Armee XXI relevantes Vorhaben»; also der – oder zumindest ein – Kommandoposten der erneuerten Schweizer Armee.

Laut Handbuch «Schweizer Armee 2004» gibt es verschiedene Arten von Kommandoposten. Subsidiäre Einsätze, wie der rund um das Wef, werden von so genannten Friedenskommandoposten aus geleitet. «Wenn es die Sicherheit oder die Geheimhaltung erfordert, werden auch bei subsidiären Einsätzen (...) die Kriegsstandorte bezogen», ist im Handbuch zu lesen. Gekostet haben die Aus- und Umbauten in den vergangenen Jahren mindestens 25 Millionen Franken. Nicht gerade viel im Vergleich zu den jährlichen Gesamtkosten für militärische Immobilien im Umfang von rund 400 Millionen Franken, aber doch ein stolzes Sümmchen. An das wohl teuerste Bunkerprojekt der Schweiz, den legendären «Bundesratsbunker» bei Kandersteg, kommen die aktuellen Vorhaben jedoch nicht heran. 238 Millionen Franken wurden unter der Blümlisalp verlocht.

Neue Protestform

Doch zurück in den Wald, nach Foppas. Die in weisse Overalls gewandeten «InspektorInnen» setzen ihre Protestaktion fort, behängen die Absperrungen mit Plakaten und Transparenten und bauen bei eisiger Kälte und Schneetreiben auf dem Zufahrtssträsschen einen Schneewall. Redebeiträge werden verlesen, und eine Pressekonferenz wird abgehalten. Doch das ist nur Show, Transparente und Schneewall nur Staffage. Für einmal setzen die ArmeeabschafferInnen nicht auf eine Massenmobilisierung, sondern versuchen, ihrem politischen Ziel mit dem Ausplaudern militärischer Geheimnisse näher zu kommen. Ein zeitgemässes Vorgehen; und unter umgekehrten Vorzeichen durchaus vergleichbar mit dem, was Militärtheoretiker seit ein paar Jahren von ihrem akademischen Feldherrenhügel herabträllern: Informationskriegführung. Bunker eignen sich wunderbar als Objekte für den Geheimnisverrat. Im Gegensatz zu einem klassifizierten Aktenstück, dessen vertraulicher Inhalt öffentlich gemacht wird, hat die Bunkerenttarnung etwas Archaisches; Enthüllen im Wortsinn. Denn oft steht am Anfang des «Outings» die Entdeckung, dass es sich bei der Scheune oder dem Felsvorsprung um den Aussenposten einer unterirdischen Anlage unbekannten Ausmasses handelt. Das ist auch das Dilemma der Armee. Bunker stehen nun mal im öffentlichen Raum, sollten aber nicht erkennbar sein. Das gelingt nur in den seltensten Fällen.

Eine Obsession

Bisher war es in erster Linie eine Obsession von Medienschaffenden, möglichst jedes geheime Loch aufzudecken, das von der Armee irgendwo ins helvetische Gestein getrieben wurde. Dass nun auch politische Organisationen den Volkssport des Bunkerenttarnens für ihre Zwecke entdeckt haben, ist neu. Doch aufgepasst! Im vergangenen Juli hatte der «SonntagsBlick» Bilder und Informationen über eine unterirdische Anlage der Luftwaffe bei Buochs NW veröffentlicht. Dieser Bunker unterliegt der militärischen Geheimhaltung. Deshalb wurde gegen drei Journalisten ein militärgerichtliches Verfahren eröffnet. Nach Ende der Beweisaufnahme blieb der Verdacht nur noch an einer Person haften. Die Verletzung militärischer Geheimnisse wird gemäss Militärstrafgesetz mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, Gefängnis oder Busse bestraft.

Bunkerenttarnen ist mehr als nur ein Spleen, es ist stets Vehikel und Metapher für das Aufdecken von politischen Missständen. Als die WOZ vor nunmehr dreizehn Jahren eine detaillierte Beschreibung des sich im Bau befindenden Bundesratsbunkers veröffentlichte, geschah dies als kritischer Beitrag zum Jubeljahr 1991. Und nach der Fichenaffäre stiess ohnehin alles, was die sich feiernde Eidgenossenschaft geheim halten wollte, auf besondere Skepsis. Auch die Enttarnung des kantonalbernischen Regierungsratsbunkers jüngst in der «Weltwoche» diente Autor Urs Paul Engeler als Sinnbild und Beleg für einen Kanton, der «Geld aufsaugt wie ein Schwamm» und sich trotzdem eine millionenteure Bunkeranlage leistet. Das jüngste Beispiel, die Entdeckung und Enttarnung des Wef-Kommandobunkers durch die ArmeegegnerInnen, prangert den Einsatz der Armee im Inneren an, der nach dem Ende des Kalten Krieges massiv an Bedeutung gewonnen hat. GSoA und Co. haben mit ihrer Aktion klar gemacht, dass sie den Armee-Einsatz genau beobachten und zwar auch dort, wo es nicht erwartet wird. Dazu braucht es keine Massenmobilisierung, sondern gute Spürnasen, die eine harmlose Holzscheune als Eingang eines Kommandobunkers erkennen.